[174] Die fünfzehnte Fabel.
Vom Juden und einem Truckseßen.

Lang het ein jüd gemert sein schatz
Mit wucher, sucht, geiz und aufsatz
Und vile jar zusamen gschlagen,
Wie denn die reichen jüden pflegen.
Wolt sich damit von dannen heben
Und in ein ander land begeben;
Drumb bat den könig auf ein zeit
Desselben lands umb sicher gleit,
Daß er im gunt ein sichern zug
On all beschwer und ungefug;
Drumb er in erlich tet beschenken.
Dadurch ließ sich zu gnaden lenken,
Sein truckseß hieß er sich bereiten.
Daß er den jüden solt geleiten.
Der rüstet sich, ritt mit im hin;
Der truckseß dacht in seinem sin:
Disen zug wißen wenig leut,
Möchtest erlangen dise beut.
In disem wald wil ich es wagen,
Den jüden würgen; wer wils sagen?
Als sie nun kamen vor den walt,
Da merkt der jüd an seiner gstalt,
Daß er nit gutes het im sin,
Und sprach zum truckseß: »Reit vorhin!«
Sie zohen baß in walt hinein.
Er sprach zum juden: »Hie muß sein!«
Schlug in darnider, sprach: »Leg ab
Dein silber, golt und all dein hab!
Du wirst von mir jetzt hingericht:
Es ist hie niemand, der es sicht.«
Er sprach: »Laß mich doch unerstochen!
Denk, daß kein mort bleibt ungerochen
Von Gott und ungestraft gar selten:
Der krammetvogel wird es melden!«
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(Den er im zeigt an jener hecken)
Und sprach: »Der wird den mort entdecken!«
Dem truckseß war die red vor mer;
Er schlug den jüden nach der schwer,
Nam das silber und güldne pfand;
Den toten leib begrub in sand.
Er macht sich auf und zohe von dar.
Die zeit verlief ins ander jar,
Begieng der könig seinen jartag,
Daselb man im vil freuden pflag.
Wie er nun war zu tisch geseßen,
Der truckseß trug im vor das eßen,
Darunter bracht on als gefer
Ein eßen krammetvögel her.
Bald er sie sahe, gedacht der red
Des juden, herzlich lachen tet.
Der könig fragt in, was er macht,
Daß er so von im selber lacht.
Er schwieg; bald gunt sein herz zu zagen.
Der könig tet in aber fragen
Und wolt je wißen, was es wer.
Zuletzt gezwungen sagt ers her.
Bald ward er vor gericht gestellt
Und im zum tod ein urteil gfellt.
Die Gottes gbot uns ernstlich leren,
Wir solln kein fremdes gut begeren,
Jeder sol sich seinr arbeit neren,
Nit auf eins andern seckel zeren.
Auch ist von Gott gar hoch verboten,
Daß wir kein menschen sollen toten.
Wer menschen blut vergeußt auf erden,
Des blut sol auch vergoßen werden.
Denn Gott hats selb also verschafft,
Kein mort sol bleiben ungestraft.
Ein schön exempel han wir des
Im poeten Euripides,
In der tragedi Hecuba
Vom edlen könig Priamo,
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Und sagt: Als Troia blegert war
Von den greken wol zehen jar,
Schickt sein jüngsten son Polydorum
Von dann, daß er auch nit kem umb.
Mit vil silber und gold beladen,
Geleiten ließ, daß er on schaden
Schiffet zum Polymestor da,
Der ein fürst war in Thracia,
Daß er bei dem als bei eim fründ
Erhalten wurd, obs reich entstünd;
Daß er denn wurd den tag erleben,
Als ein erb möcht das reich erheben.
In dem ward Troia gar verstört
Und all die besten leut ermört,
All die vom königlichen stam.
Da Polymestor das vernam,
Den knaben er vom leben bracht,
Daß er den schatz behalten mocht,
Und warf den toten leib ins mer.
Mittler zeit kam der greken hex
Mit iren schiffen an den fart,
Legerten sich am selben ort.
Brachten gefangen mit sich hin
Hecuba, die edle königin,
Mit irer tochter Polyxena.
Dieselbe sie opferten da
Auf des fürsten Achillis grab.
Darnach irn toten leib man gab
Der mutter, auf daß er mocht werden
Erlich bestattet zu der erden.
Die mutter da mit großem leit
Zum bgrebnus alle ding bereit,
Schickt hin nach waßer an den strand.
Die magt ein toten leichnam fand,
Der königin denselben bracht.
Sie kennt in wol; gar bald gedacht:
Wie, ist ermort mein lieber son?
Das hat der Polymestor tan;
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Als er gehört, daß wir erlegen,
Hat er sich auch der schand erwegen,
Umbs gelts willen mein son erstochen;
Den mort laß ich nit ungerochen!
Erdacht ein list und schicket bald
Zum Polymestor solcher gstalt:
Sie wer zu Troia gfangen gnommen,
Drumb solt er eilend zu ir kommen.
Ee wenn sie wider must zu schiff,
Wolt sie im zeigen einen griff;
Zu Troia leg ein schatz verborgen,
Den mocht er nemen one sorgen.
Den wolt sie im erst zeigen an
Zu gut irm allerliebsten son.
Bald macht sich auf der Polymestor,
Nam seine söne mit im dar.
Die königin ir gmüt tet sterken
Und ließ sich nicht irs leides merken;
Den fürsten ganz erlich empfieng,
In ir gezelt er mit ir gieng.
Da het sie bstellt ein große schar
Frauen, die mit ir kommen dar.
Dem Polymestor zu den stunden
Wurden beid hend und füß gebunden,
Sein kind allbeid vor im erstochen,
Im selb sein augen ausgebrochen.
Dasselb er vor sein untreu hat:
Denn Gott straft alle missetat.
Noch eins ich hie anzeigen muß
Von dem poeten Ibicus.
Der ward in einem wald ermort;
In dem er etlich kranchen hort,
Welch denselben ort überflohen
Und zeilicht durch die luft hinzohen.
Er rief: »Ich werd elend erstochen;
Laßt doch den mort nit ungerochen!«
Die Mörder solchs als torheit achten
Und lang nit mer daran gedachten,
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Biß sie einmal zusamen saßen
In einer stat bei irn genoßen,
Zechten und waren guter ding.
Einer von inen aushin gieng,
Sahe etlich kranchen fliehen her,
Kam wider nein, sprach ongefer
Zu seinen gselln mit großem glecher:
»Da fliegen des Ibici recher!«
Solchs hort der wirt und sagt das nach;
Der missetat folgt billich rach.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 15. Vom Juden und einem Truckseßen. 15. Vom Juden und einem Truckseßen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8DD0-B