Die vierundneunzigste Fabel.
Von zweien Brüdern.
Ein reicher man, da er solt sterben,
Da ließ er seinen zweien erben
Haus, hof, vil hab und großes gut,
Wie noch manch reicher bürger tut.
Nach seinem tod das gut ward teilt
So gleich, daß keim daran nichts feilt.
Weil sie nu waren all beid reiche,
Setzten sie sich daselb zugleiche;
Ein jeder sich desselben nert,
Was im vom erbfall war beschert.
Der eltest bruder fürbaß dacht
Und het seins dinges gute acht,
War heuslich, stellt der narung nach,
Zu allen dingen selber sach,
Wie er versorget weib und kind,
Auf knecht und mägd und als gesind
[104]Gar fleißig sahe im hof, im stall,
Im haus, im keller überall.
Im garten, wiesen, auf dem acker
War er abents und morgens wacker,
Bestellts als selber vorn und hinden
Und ließ an keinem nicht erwinden,
Auf all sein gscheft groß achtung gab:
Drumb nam er zu an gut und hab;
So ser in reichtum fürbaß kam,
Daß jederman groß wunder nam.
Dagegen war der ander bruder,
Der soff sich voll und lag im luder
Und lebt beid tag und nacht im saus,
Kam oft umb mitternacht zu haus
Und hielt sich zu den guten gsellen,
Die stets nach guten trünken stellen,
An weib und kind nit vil gedacht,
Und was das gsind daheimen macht.
In all sein dingen war nachleßig;
Sein tugent war nur faul und freßig.
Damit sein gut und all sein hab
Von tag zu tag nam immer ab,
Und gwan das gütlin bald den sturz,
Daß alle nesteln wurden kurz.
Denn vil vertun und wenig werben,
Das ist der recht weg zum verderben.
Zuletst, da er den schaden sach
Und ward auch in dem seckel schwach,
Da gunt er fast die sach bedenken;
Doch wist er sich nit drein zu lenken,
Fand keinen rat, wie er dem schaden
Vorkommen solt und sichs entladen.
Gieng hin, solchs seinem bruder sagt,
Sein not und unfall herzlich klagt,
Wie sein narung an stück zu stück
Vertürb und teglich gieng zurück;
Bat, daß er wolt mit wort und taten
Behilflich sein und treulich raten,
[105]Und sprach: »Sag, waran ists gelegen,
Daß dich Gott mer denn mich tut segen?
Je mer zunimt dein hab und gut,
Je mer sichs mein vermindern tut.«
Er sprach: »Weil du dich alles guts
Zu mir versihst und wir eins bluts
Sein, auch an einer brust gelegen,
Kan ich nichts laßen underwegen,
Zu raten als, was dir mag nutzen,
Dein hab zu meren und zu schutzen.«
Und sprach: »Da man zelt fünfzehn hundert,
Das gülden jar ward abgesundert,
Zohen vil leut hinauf nach Rom,
Der meinung, daß sie wolten from
Ir sünd büßen und beßer werden:
Des flißens sich mit allen berden.
Die zeit auch unser vatter zoch
Umb heiltum und dem ablaß noch;
Ein köstlich stück der babst im gab,
Das bracht er mit von Rom herab.
Da er nun kurz vor seinem end
Het gmacht sein endlich testament,
Da rief er mir und zu mir sagt:
Ich bin nun alt und wol betagt.
Weil du nun bist mein eltster son,
Wil ich dich etwas wißen lon.
Diß heiltum mit von Rom hab bracht,
Das hat mich groß und reich gemacht;
Denn der art ists und hat die kraft,
Daß großen nutz den frummen schafft,
Dem, der es hat und nit ablegt,
Sondern in eren bei sich tregt
Am hals all tag, beid frü und spat,
Und get über alles, was er hat,
In all sein kammern, auf den söller,
In stall, in hof und in den keller.
So kumt er durch das heiligtum
Zu reichtum, ern und großem rum
[106]Und wird in all seim tun gesegnet,
Daß eitel glück nur auf in regnet.
Und reicht mir hin dasselbig stück
Zu meinem übergroßen glück.
Da lief ich zu auf solch sentenz,
Entpfiengs mit großer reverenz
Und tet, wie mich der vatter hieß,
Und Gott meinr sachen walten ließ.
Zu stund mein hab und gut aufwuchs,
Ward als voll glücks und gutes fugs.
In allem dem, das ich angriff,
War Gott allzeit selb mit im schiff:
Das korn im feld, im stall das vich
Geriet stets wol und meret sich,
Und schlug als haufet zu mir zu.
Mir starb kein pferd noch kalb noch ku;
Das gsind tet alles, was ich wolt,
Ward reich an silber und an golt.
Also hab ich mich eingericht,
Daß mir (Gott lob) jetzt nichts gebricht.«
Da ward der ander fro und sprach:
»Ach, lieber bruder, laß nit nach,
Gib mir des heiltums nur ein teil,
Daß mir davon auch glück und heil
Geschehen mög, und sich vermer
Mein hab und gut, mein glimpf und er.«
Er sprach: »Nach dem wir beide sind
Eins vatters und einr mutter kind,
Dest lieber dich gewer deinr bitt
Und mag dirs zwar verhalten nit.«
Und sprach: »Setz dich ein weil darnider.«
Er gieng hinaus und kam bald wider
Und zohe hervor ein kleinen schrein,
Mit zweien fingern griff hinein.
Ein seiden tüchlin, zsamen gwunden,
War fest vernet und zugebunden,
Das gab er im und sprach: »Hab acht,
Das bündlin nit werd aufgemacht;
[107]Henks an dein hals, tu wie ich sag,
Trags abents, morgens, tag bei tag
An alle örter, an die end,
So weit sich streckt dein regiment.
Wenn du das tust, so wirstu sehen,
Daß alles wird also geschehen;
Nach allem wort der rede mein
Das heilgtum wil getragen sein.«
Er nams bald hin auf solchen bscheid
Und gieng zu haus mit großer freud
Und zeigt solchs an auch seiner frauen;
Lief hin und tet bald umbher schauen
Mit dem heilgtum an allem ort
Nach der ler und seins bruders wort.
Zum erst war auf den söller gstiegen:
Das korn fand er zerstreuet ligen,
War voll geschißen von den katzen
Und gar zerbißen von den ratzen
Und vom gesind also zertreten,
Als hets ein sau mit füßen kneten.
Durchs dach der regen het neintropft,
War hie und da mit stro gestopft.
In allen winkeln auf der bün
Wars ausgewachsen recht grasgrün.
Groß ritzen waren in den dielen,
Dadurch die körner abhin fielen,
On was das gsind sonst het abtragen
Und mit dem meßen underschlagen.
Denn ungedeicht war auch die tür
Und lang kein schloß gewesen für.
Wie er des alles ward gewar,
Der man entsetzt sich ganz und gar.
Eilends hinab in keller lief;
Da stund ein pfütz zum enkel tief,
Er fand kein deichtes, volles faß,
Sie waren unden alle naß.
Vor eitelkeit die dunnen klungen,
All hauptreif waren abgesprungen,
[108]Lag alls verwarlost und vergoßen;
Die tür stund offen, ungeschloßen.
Im selben zorn lief naus in stall;
Da fand er schaden überall:
Das vieh war mager und ganz rauch,
Stund gar in mist biß an den bauch;
Under der krippen lag das heu,
Das braucht man wie das stro zur streu.
Im ganzen stall war nit ein strigel;
Die pferd warn straubicht wie die igel,
Gar ungefüttert, ungetrenkt,
Kein zaum noch sattel aufgehenkt;
Der futterkasten stund weit offen,
Da warn die zigen durchgeloffen.
Bald lief er auch hinaus in garten,
Fand auch daselb die offne pforten,
Zum teil der zaun war gfallen umb;
An andern enden stund er krumb.
Vom obs war gstoln das allerbest,
An bäumen hiengen dorre äst,
Apfel und birn zerstreuet lagen,
Waren halb reif von bäumen gschlagen;
Die gseten kreuter gar zerrült
Und von den seuen ausgewült.
Die potstem und die jungen pfroffen
Etlich im waßer warn ersoffen;
Welch sich hettn waßers halb erquickt,
Warn von disteln und dorn erstickt,
Und die sich sonst erholen kunden,
Die waren von dem vihe geschunden.
Dergleich im feld stund das getreid:
Dadurch giengen vil wegescheid.
An einem ort wars gar erseuft,
Am andern von dem vih zerschleift,
Vil hets der hagel nidergschlagen,
Das best war gschnitten und weggetragen,
[109]On was mit disteln und mit dorn
Durchwachsen war und gar verworrn.
In summa, wo er sich hin wendt,
Wars eitel schad an allem end.
Er sprach: »Der ding mir keins gefellt,
Ich meint, es wer vil baß bestellt
Und als geschehen durchs gesind,
Sihe aber wol, daß sichs nit findt,
Wie ich in solchs tet zuvertrauen.«
Hub bald an hie und dort zu bauen
Beid abents, morgens, spat und fru,
Sahe selb an allen enden zu,
Zur arbeit stets hielt mägd und knecht;
Da giengs von stat, ward alles schlecht,
Und stund mit alln sein dingen baß.
Der alten gsellschaft gar vergaß,
Blieb stets daheim bei kind und weib;
Ein jar, zwei, drei dasselbig treib.
Da wuchs von stund als, was er het,
Und zusehens sichs meren tet,
Daß alles dings war überflüßig,
Nach dem er selb war nimmer müßig.
In haus, in hof und in den stall,
In keller und sonst überall,
Hinaus ins felt und bei dem pflug
Das heilgtum stets gar fleißig trug,
Biß er an allem sahe sein lust.
Jedoch dabei nit anderst wust,
Denn daß als kem durchs heilgtums gnad
Nach seines bruders guten rat.
Drumb wolt er im auch dankbar sein
Und nam vom hals das heilgtum rein
Und kniet vor großer andacht nider;
Darnach bracht ers seim bruder wider,
Mit großer reverenz hinlegt,
Wie man heilgtum zu eren pflegt,
Und sprach: »Bruder, von der zeit an,
Daß du mir hast diß heilgtum tan
[110]Und ichs mit großer er entpfieng,
Damit über all das meine gieng,
Hat mirs in allem wol geglückt,
Mein sach sich recht und fein geschickt,
Get alles fein in seinem schwank:
Derhalben sag ich dir jetzt dank,
Und geb dir Gott das ewig lon
Vor solche güt und woltat fron,
Damit du mich so wol hast tröst.«
Er nam das heilgtum, bald auflöst
Und zeigt dem andern, was er het
Für heilgtum geert und angebet:
Da wars ein stück vom encian,
Welchen der hund het fallen lan.
Die fabel gibt uns disen bericht,
Daß man sich all zu sere nicht
Verlaßen sol auf sein gesind,
Auch nit zu streng, auch nit zu lind
Sol sein im schelten und im strafen,
In allzeit volle arbeit schaffen
Und speisen sie zu guter maßen,
Auch nimmer aus dem gsicht verlaßen.
So weit als dein geschefte reichen,
Must nach in alle winkel schleichen
Und alles dings selbst achtung han.
Das sprichwort sagt: selb ist der man.
Sol dir der kopf recht werden zwagen,
Mustun selb zum barbierer tragen.
Ein könig einst ein weisen fragt,
Wie Xenophon der heid uns sagt,
Und sprach: »Sag, wie sol ichs anheben
Und was vor futter muß ich geben
Mein hengsten und mein besten pferden,
Daß sie feißt, glat und freudig werden?«
Er sprach: »Kein beßer futter weiß,
Davon die pferde werden feißt,
Wie mich erfarnheit hat gelert:
Des herren aug füttert das pfert«;
[111]Das heißt, wo man stets zusicht selb,
Daß in der art recht stet das helb,
So gdeien pferd und alles vich,
Und alles gut vermeret sich.
Desgleichen Aristoteles
Uns auch der maßen brichtet des
Und sagt, es sei kein beßer mist
Und der dem acker nützer ist,
Denn den der hausvatter selb tregt
An schuhen und in acker legt;
Das heißt, daß man selb selb zusicht,
Verlaß sich sonst auf niemand nicht,
Wenns recht sol werden ausgericht.