[202] Die dreißigste Fabel.
Von einem kranken Bauren.

In Sachsen ein alter baur war
Weit über seine sechzig jar:
Der het sein meiste zeit hinbracht,
Daß er nit vil auf Gott gedacht;
Vom glauben, buß, ablaß der sünd
Gar wenig oder nichts verstünd.
Da er zuletst nun sterben solt,
Hiesch den pfarrherrn und beichten wolt.
Der pfarrherr in examiniert,
Wie er im glauben wer gelert;
Von stück zu stück nennts überhaubt,
Fragt in, ob er sie alle glaubt.
Er sprach: »Ich halt sie all zumal,
Und glaub all, was ich glauben sol;
Allein die urstend von den toten
Wil mir in glauben nit geroten.
Wenn wir sein in der erd verwesen,
Wer wirds wider zusamenlesen,
Daß lebend werd an sel und leib?
Vorwar, ichs vor ein merlin schreib.«
Der pfarrherr sprach: »Wirstus nit glauben,
So werd ich dich als rechts berauben,
Das sonst in gmein die christen haben:
Dein leib, nit auf den kirchhof graben,
Beibt unbeleut und unbeklungen,
On alle selrecht unbesungen.
Wie das dein gut gerücht wird krenken,
Gib ich dir jetzund zu bedenken.
Drumb schon dein er, besinn dich baß
Und glaub mir jetzt zu gfallen das,
Auf daß du mögst dein ere fristen
Und sterben wie ein ander christen.«
[203]
Er dacht: es wil den ritten han!
Zuletst sprach er: »Wolan, wolan!
Ich sihe, es wil nicht anderst sein,
So glaub ichs auch und gib mich drein,
Und tu euch solchs zu willn jetzund,
Drumb daß ir seit mein guter frund.
Übrwind ich aber disen strauß,
So sprich ich doch: es wird nichts draus!«
Ich halt zwar, daß ein solcher glaub
Ist nur ein laut, ganz öd und taub
Wie ein nuß, welch der wurm gestochen
Und die unzeitig abgebrochen,
Und ist nit wunder, daß der bur,
Der nicht verstünt tabulatur,
In solchem stück begunt zu strauchen.
Des wol die hohen leut misbrauchen:
Denn wir wißens, ist offenbar,
Daß bapst Leo vor zwenzig jar
Zu Rom hielt zu sanct Lateron
Derhalb ein gmein concilion,
Davon gar fleißig disputiert,
Und ward auch endlich decerniert,
Daß man sich solt darein begeben,
Daß nach disem zeitlichen leben
Ein ander leben wer von noten
Und ein gemein urstend der toten.
Damit klärlich beweisen teten,
Daß sies vor nit geglaubet heten.
Gott bhüt mich vor eim solchen haubt!
Dasselb nicht recht an Christum glaubt.
Ich mag zwar nit eins solchen hirten,
Der mit den wolfen hat geferten;
Da fürt ein blind den andern blinden,
Daß sie sich beid dem teufel finden.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 30. Von einem kranken Bauren. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8DDB-6