Die funfzigste Fabel.
Von Schiffleuten, welche in Nöten die Heiligen anriefen.

Es warn einsmals auf eine zeit
In einem schiff vilerlei leut
Zusamen auf dem wilden mer:
Den kam eilends ein sturm dort her;
Mit großem wind tet weidlich sausen,
Gar grausamlichen einher brausen,
Als ob ers wolt gar underdrücken
Und zerschlagen zu allen stücken.
Als sie nun waren in den wagen,
Den tot für iren augen sahen,
Da rief der ein sanct Barbarn an,
Sanct Niclas und sanct Kilian,
[230]
Sanct Adolf, den großen seefarn,
Sanct Clementen tetens nit sparn,
Und wer sonst ein heilgen tet kennen
Oder in mit namen wist zu nennen,
Den riefens an in solchen nöten,
Welch sie daselb vor augen hetten.
Da sprach der schiffherr zu in allen:
»Eurs bittens trag ich kein gefallen,
Denn ir bittet ganz unbedacht.
Die heiligen haben keine macht,
Sie habens denn von Gott erbeten.
E denn sie samtlich zu im treten
Und durch ir fürbitt hilf erlangen,
Dieweil ist es umb uns ergangen,
Mögen dieweil wol all ertrinken
Und in des meres grund versinken.
Drumb rufet Gott an allesant,
Der heilgen hilf ist lauter tant.
Gott ists allein, der helfen kan:
Den rufen wir in nöten an.«
Sie folgten all des schiffherrn ler,
Riefen Gott fleißig an, daß er
Ir bitt wolt gnediglich entpfahn,
Ir not im lan zu herzen gan
Und in gnediglich hilf verleihen,
Sie aus des todes nöten freien.
Gar bald geschahs; nach irem willen
Tet sich der wind und waßer stillen.
Diß gspräch ist wider die papisten,
Die sein die rechten widerchristen,
Die Gott wol bei dem namen kennen
Und mit dem mund ein vatter nennen,
Sprechen: den rechten Gott wir meinen;
Doch mit der tat in stracks verneinen,
Und ist ir herz gar weit davon,
Wie das anzeiget all ir tun;
[231]
Leren, man sol der heilgen fürbit
In keinem weg verachten nit,
Sie ern mit feiren, fasten, beten,
Sie können uns für Gott vortreten,
Welchs doch die gröst Gottslesterung,
So reden mag menschliche zung,
Daß man Gotts werk der creatur
Zuschreib und einem menschen pur.
Denn Gott hat gsetzt sein lieben son
Neben sich in den höchsten tron,
Uber himmel, erden, tot und leben
Alln göttlichen gewalt gegeben,
Und auf der höhe des bergs Tabor
Befalh er, daß man im gehör
In allen nöten geben solt.
Drumb spricht auch Christus, daß er wolt
In aller not, angst und elend
Bei uns sein biß an der welt end.
Das wölln wir im als christen glauben
Und im sein herrlichkeit nicht rauben,
Wie die tollen papisten pflegen,
Die uns mit totenbein wölln segen.
Die laß man faren, wer sie sind,
In Gottes sachen sind sie blind.
Wir wöllen uns an Christum halten
Und über uns in laßen walten.
Er ist der fels; wer auf in baut
Und seiner göttlichen hilf vertraut,
Der ist erlöst aus aller not
Und sicher vorm ewigen tod.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das ander Buch. 50. Von Schiffleuten, welche in Nöten die Heiligen anriefen. 50. Von Schiffleuten, welche in Nöten die Heiligen anriefen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8E3A-6