Die fünfunddreißigste Fabel.
Vom Fuchs und dem Igel.

Einsmals der fuchs hin umb mittag
Elend vor einem felsen lag
Und het drei große scheußlich wunden.
Die waren im von zweien hunden
Beim dorf hinder eim zaun gebißen,
Und im sein balg so gar zerrißen,
Daß er erlegen ganz und gar,
Vor onmacht schier gestorben war.
Da gunden sich zu im versamlen
Fliegen, mücken und große humlen;
Mit stechen machten in ganz schwach.
Ein igel das zuhand ersach:
Aus mitleiden lief zuhin bald,
Erschrak von solcher misgestalt,
Doch wist er keine hilf noch trost,
Damit in het der pein erlost.
Er sprach: »Lieber, laß mich verjagen
Die fliegen, mücken, die dich plagen
Und dich mit stechen heftig drücken:
So magst dich je zum teil erquicken.«
[214]
Da sprach der fuchs: »Dich freundlich bit,
Verjag mir dise fliegen nit!
Sie haben jetzund lang gesogen
Und so vil bluts in sich gezogen,
Daß sie zuhand auch nimmer mügen
Mir keinen schaden mer zufügen;
Werden sie aber abgejagt,
Denn werd ich erst aufs neu geplagt.
Wenn andre hungrig wider komen,
Wird all mein kraft und saft genomen,
Als blut, was noch vorhanden wer;
Denn mager mücken beißen ser.«
Ein jeder weiß, und leit am tag
Ganz offentlich, darf keiner frag,
Wenn man die herrschaft wil verkiesen,
So muß man vor der hand verliesen.
Das verneuen kan wol geschehen,
Ich hab aber nit oft gesehen,
Daß man ein beßers het bekummen,
Des man het größern nutz und frummen,
Und daß in jederman tet loben;
Doch wil man stets ein andern haben,
Der nit so scharpf und embßig straft
Und baß vors gmeine bestes schafft.
Das widerspiel sich aber findt.
Ein jeder schätzet, schabt und schindt,
Und muß der arm sich allzeit leiden:
Neu meßer haben scharpfe schneiden.
Man sihts auch an den jungen katzen,
Die haben spitz und scharpfe tatzen.
Drumb denk niemand auf dieser erd,
Daß es derhalben beßer werd.
Herrn bleiben herrn auch fur und fur;
Schliefen sie auch biß um zwölf ur,
Noch bleibens herrn und wöllns auch sein.
Drumb schweig und leid, und wart des dein
Und auf den bruf mit fleiß tu schauen,
Und folg der ler der armen frauen,
[215]
Davon man list in alten jarn,
Da die könig tyrannen warn.
Daselb war auch ein edelman,
Der nam sich aller bosheit an
Mit wuchern, schinden, schatzen, schaben,
Nam gern geschenk und liebt die gaben.
Under dem ein arme witwe saß,
Die het mit schaden glernet das,
Sein tyrannei gar oft empfunden,
Und wie die armen wurden gschunden.
Dieselb oft in der kirchen lag
Und bat Gott fleißig nacht und tag,
Daß er denselben edelman
Wolt fristen und lang leben lan.
Das ward dem haubtman angesagt;
Er wundert sich, die fraue fragt,
Warumb sie fleißig vor in bät,
So er doch wist, daß ers nit het
Gegn ir verschuldt mit keinen gnaden,
Und ir oft zugefüget schaden.
Sie sprach: »Vor zeiten het vier küe,
Darauf ich legt alln fleiß und müe,
Davon ernert mein kinder kleine:
Da kam dein vatter und nam mir eine.
Da bat ich Gott, daß ern hinnem,
Auf daß ein frommer wider kem.
Da het er auch zuhand ein end.
Bald kamestu ins regiment
Und namest mir noch ander zwo,
Behielt ich nur die einig tu,
Und sihe, daß du vil erger bist:
Drumb bitt ich Gott, daß er dich frist.
Denn so du wurdest hingenomen,
So wurd gewis ein erger komen,
Der uns wurd schätzen auf den grat:
Beßer zu bhalten, was man hat.«

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 35. Vom Fuchs und dem Igel. 35. Vom Fuchs und dem Igel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8E98-1