Die sechste Fabel.
Von einer Witwen und einem grünen Esel.
Als ein witwe war wol betagt,
Dennoch ward sie gar ser geplagt
Von einem kützel weit dort unden;
Wolt han ein fleischbeil zu der wunden.
Zur nachbeurn sprach: »Ich tu mich schemen;
Bitt freundlich, wölt euch mein annemen.
Wie sol ich tun? Zwar nit mer kan
Mich so behelfen one man.
Doch förcht ich, daß man mich belacht,
Aus mir ein gmeines sprichwort macht.«
[4]Die ander sprach: »Das kan nit machen!
Ob sie euch einen tag belachen,
Darnach so wirds bald wider still,
Welchs ich euch bald beweisen will.«
Sie het daheim ein esel fal,
Denselben het sie überall
Mit grüner farben malen laßen,
Ließ in füren durch alle gaßen.
Da liefen aus beid jung und alt,
Zu sehn eins solchen esels gstalt,
Wunderten sich ein tag oder zwen;
Darnach tet niemand nach im sehn.
»Dem gleichen wird dirs auch ergan,
So du wirst nemen einen man:
Erst mag sich ein geschwetz erregen,
Welchs ist am dritten tag erlegen.«
Es ist kein ding so wunderlich,
Wenn ichs ein kleine zeit ansich,
Daß mirs denn kommet überflüßig;
Werd ichs zuletst doch überdrüßig.