[179] Die einundzwanzigste Fabel.
Vom Fuchs und der Katzen.

Es kam der fuchs zu einer katzen
Und tet gar freuntlich mit ir schwatzen,
Rümet sich seiner künsten ser,
Wie gar ein kluger man er wer,
Auf alln betrug verstünd sich wol
Und het der list ein wetscher voll;
Was jeder sach wer gmeß und eben,
Da wist er bald ein rat zu geben.
Da sprach die katz: »Ich mags wol leiden,
Daß du all ferlichkeit kanst meiden
Mit deiner witz und hoher kunst,
Derhalben hast auch meine gunst.
Mich hat mein mutter nit vil glert,
Auch hab ichs nit von ir begert;
Doch tet sie mir ein stücklin schenken,
Dabei ich ir hab zu gedenken.
Dasselb hab ich vor augen stets
Und in der not zum vorteil setz.
Das hat mich oft errettet zwar
Aus todes not und großer far.
Wenn ich die not für handen sich,
Tröstlich darauf verlaß ich mich.«
Wie sie nun mit einander redten
Und auf kein ding sonst achtung hetten,
Bald kamen hund ein großer haufen,
Teten den berg dort abher laufen.
Des ward gewar dieselbig katz,
Lief auf ein baum, da fand sie platz
Und sprach: »Herr Reinhart, seht euch für,
Das unglück helt euch für der tür.
Diß ist mein einig kunst und witz,
Auf disem baum kies ich mein sitz.
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Zieht eure kunst jetzt aus der taschen,
Daß euch die hunde nit erhaschen.
Wißt ir jetzt rat zu allen sachen,
Laßt sehn, es sol sich bald wol machen.«
Da war der fuchs beengstigt ser,
Bald warn die hund hinder im her,
Erwischten in bei seinem rücken,
Zerrißen in zu kleinen stücken.
Es tut uns dise fabel warnen,
Daß wir uns gute künst erarnen,
Die uns in nöten mögen nützen
Und für der ferlichkeit beschützen,
Unnütze studia laßen faren,
Die zeit zu guten künsten sparen.
Der welt ist aber nicht zu sagen,
Nach der theologie tut niemand fragen,
Sagen: Galenus uns reichlich nert,
Justinianus hoch her fert.
Zur heilgen schrift sagens also:
Non est de pane lucrando.
Juristen reiten auf hohen pferden,
Theologi bleiben bei der erden,
Haben oft kaum das brod zu eßen;
Der Lazarus bleibt wol vergeßen.
Es muß der schöpfer himels und erden
Zu Bethlehem im stall gboren werden,
Het in der ganzen stadt nit raum,
Die krippen mocht erlangen kaum.
Also muß auch sein dienern gan,
Alln, die sich seiner nemen an:
Die kluge welt sie stets belacht,
Mit irer theologie veracht;
Das muß man laßen also gschehen,
Und wölln zu letst das end besehen.
Man sagt: gut ärzt und gut juristen
Seind gemeinlich böse christen.
Damit wil niemand versprochen haben:
Es sind all künste Gottes gaben,
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Durch Gottes eingeben bedacht
Und von den alten an uns bracht
Zu dienste Gott und seinem wort,
Wie die schrift zeugt an manchem ort;
Denn diß ist nur die einig kunst,
Die uns bei Gott erlanget gunst,
Daß wir lernen auf diser erden,
Wie wir mögen endlich selig werden.
On dise sind all künst kein nütz,
In nöten gebens keine schütz.
Wenn wir am tod liegen in sünden,
So komt der jäger mit den hunden,
Helt uns für unser sünden vil,
Der ist kein maß und gar kein zil;
Damit uns understet zu reißen:
Denn tut uns das gewißen beißen,
Gleich wie ein hund das as tut nagen.
Denn hebt das herz an zu verzagen,
So fellt all trost menschlicher kunst,
Gold, silber und aller welt gunst,
Und stet der mensch nacket und bloß,
Verlassen, aller hilf trostlos.
Wo er das rechte ziel denn trifft
Und sich kan richten nach der schrift,
Und kan sich an den Christum halten,
Und in sich seiner laßen walten,
Und auf denselben baum entfliehen,
Dahin kein creatur kan ziehen,
So ist er warlich recht gelert,
Hat all sein lebtag wol studiert,
Vil baß denn all philosophi,
All juristen und medici:
Lernen sie nit auch dise kunst,
So ist ir arbeit gar umbsunst.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 21. Vom Fuchs und der Katzen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8EF6-F