Die achtundachtzigste Fabel.
Vom lügenhaften Jüngling.

Sich zu versuchen, ein junger knab
Weit hin in fremde land begab,
Daß er vil sehe, hört mancherlei;
War aus ongfer ein jar zwei, drei.
Als er nun wider heimhin kam,
Sein vatter in einst mit im nam,
Daß er gsellschaft het und kurzweil,
Zu einer stadt über zwo meil.
Da schwatzten sie von mancher handen.
Der vatter fragt, was er in landen
Von wunder gsehn und seltzam tier;
Er sprach: »Vatter, nu glaubet mir,
Am mer zu Lissibon im Sund
Sahe ich so gar ein großen hund,
Der ward geschetzt vil tausent wert
Und war vil größer denn ein pfert.«
Der vatter gunt die lügen merken,
Sprach: »Hab bei alln geschaffen werken
Desgleich nit gsehn, gehört, noch glesen:
Es ist ein großer hund gewesen.
Doch findt man gar vil seltzam stücken:
Gleich wie da vor uns ist ein brücken,
Wer des tags hat ein lüg gelogen
Und kumt daselb hinüber zogen,
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Sei selbander oder allein,
Mitten auf der brücken bricht ein bein.«
Der knab erschrack; wolt doch nit gern
Ein lügner sein, der er entbern.
Begab sichs über ein ebne weil,
Sprach: »Vatter, wöllet nit so eiln;
Sagt mir auch etwan seltzam schwenk.«
Er sprach: »Des hunds ich noch gedenk,
Der ist gewesen one moß.«
Er sprach: »Er war nit also groß.
Wenn ich die warheit sagen sol,
Wie sonst ein esel war er wol.«
Da gunten sie der brücken nahen;
Er sprach: »Ich kan mich nit entschlahen
Der gdanken dises hundes halb.«
Sprach: »Er war wie ein järig kalb.«
Sie giengen fort biß umb mittag
Und daß die brück da für im lag.
Der knab sprach: »Wolt euch nit bekümmer,
Ich kans euch zwar verhalten nimmer,
Den schwank, den ich euch vom hund sagt,
Damit ir mich nit weiter fragt,
Er war gleich wie ein ander hund,
Denn daß er umb und umb war bunt
Und scheckecht über seinen rucken.«
Er sprach: »So ist auch dise brucken
Gar nit schädlicher denn die andern,
Magst wol unbschedigt drüber wandern.
Allein hüt dich ein ander mol:
Wenn du wilt liegen, bdenk dich wol,
Daß dus also gar krumb nicht dreist,
Daß du es auch zu fidern weist.«
Wer sich aufs singen sol begeben,
Der muß nit all zu hoch anheben,
Daß ers auch kan zum end ausschreien:
Also wems liegen wil gedeien,
Der muß nit nauf ind wolken treiben,
Hie niden bei der erden bleiben,
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Sonst gets im wie dem edelman:
Der nam sich großer lügen an,
Zeugts mit seim knecht, der bei im war,
Ders im verjahet ganz und gar,
Damit der junker blieb bei eren.
Als er nun tet die lüg vermeren
Und log von lüften und den winden,
Drauf kunt der knecht kein antwort finden
Und sprach zum junkern: »Nit also!
Wolt ir eurs liegens werden fro,
So bleibt hie niden bei der erden,
Auf daß euch mög geholfen werden;
Denn wenn irs allzu grob wolt spinnen,
Werdt irs zuletst nit fedmen künnen.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das dritte Buch. 88. Vom lügenhaften Jüngling. 88. Vom lügenhaften Jüngling. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8FC3-6