Die siebenundsiebzigste Fabel.
Vom Esel und Pferd.

Der grobe esel sahe ein pferd,
War groß und schon, vil geltes wert,
Gebunden sten an einem barren,
Tet in die erd mit füßen scharren.
[115]
Teglich trug man ims futer zu.
Der esel sprach: »Selig bistu!
Stest müßig stets in großer wäl,
Dargegen tu ich arbeits vil
Mit holz und waßer tragen immer,
Dennoch werm oder wesch ich mich nimmer,
Werd übel gspeist und wol geschlagen
In meinen unseligen tagen.
Zu eitelm unglück bin ich geborn:
All hoffnung ist an mir verlorn.
Darzu umbsunst mein herr mich haßt,
Meins diensts mich nicht genießen laßt.«
In dem hub sich im land ein strauß,
Daß man alarma tet rufen aus.
Der reuter sprach zu seinem pferd,
Welchs er het lang gehalten wert,
Den sattel legt im auf gar drat,
Sein harnisch und sein sarewat,
Damit bedeckt ers ganz und gar
Und setzt sich drauf, so groß er war.
Zum haufen zohe er mit sein gsellen,
Must sich das pferd auch frindlich stellen,
Im krieg gewarten schöß und stich.
Der esel sprach: »Gott bhüte mich!
Vorwar, ich hab zu danken Gott,
Daß er mich nicht erschaffen hat
Ein solchen hengst und großen gaul,
Gut ists, daß ich ein esel faul
Und worden ein verachtet tier,
Daran laß ich benügen mir,
Bin wol zu fried in meinem beruf,
Und daß mich Gott ein esel schuf.«
Welch selig helt der gmeine man,
Die seind gemeinlich übel dran.
Also die sich bedunken laßen,
Daß sichs mit inen helt dermaßen,
[116]
Ir gringer stand dünket sie schwer:
Die gen zum esel in die ler
Und tun im iren kummer klagen,
Der wird in wol die warheit sagen.
Es kumt wol, daß ein schuster sitzt,
Uber seiner sauren arbeit schwitzt,
Siht einen könig on gefer
Reiten in großer pracht daher;
Denn denkt er: selig ist der man,
Dem Gott solch gut und ere gan!
Denkt nicht, daß er voll sorgen steckt,
Die er mit gold und seiden deckt.
Dieweil sitzt er auf seinem schemel,
Hebt sein augen frölich gen himel,
Folgt seinem beruf mit gutem gwißen
Und tut mit freud sein brot genießen,
Und ist also dem schuster baß
Denn dem, der auf dem rosse saß.
Wer diß nicht glaubt, frag die dorfmaus,
Wie es ir gieng ins bürgers haus,
Da sie zu gast geladen war,
Zeigt dir die neunte fabel klar.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das erste Buch. 77. Vom Esel und Pferd. 77. Vom Esel und Pferd. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8FE7-5