Die zweiunddreißigste Fabel.
Vom Wolf und Fuchse.

Es gschahe in einem winter kalt,
Der wolf lief durch ein dicken walt,
Gar frü sein narung suchen wolt;
Kam gegen im ein fuchs getrollt,
Wünscht im ein frischen guten morgen,
Sprach: »Dörfst heut vor die kost nit sorgen.
Folg mir, ich wil dich jetzund laben,
Solt mir ein jar zu danken haben.
Kum, sich, da in dem holen weg
Da leit ein feißte seiten speck,
Dran han wir beide gnug zu tragen;
Entfiel eim furman von dem wagen.
Kunt ich dasselbig nit verschweigen,
Must dirs als meinem freund anzeigen.«
Sie zohens under einen strauch
Und füllten iren leren bauch.
Da sie geßen und wurden sat,
Der wolf den fuchs gar freundlich bat,
Sprach: »Reinhart, hör, kans nit verhelen,
Muß dir ein seltzam ding verzelen.
Jetzt bei vier wochen gegen weihnacht
War ich vor hunger schier verschmacht,
Das macht der frost und kalte schnee,
Tet mir in leib und leben wee.
Und wie man sagt, hunger und kelt
Jagen den wolf vom holz zu felt,
Da kam ich auf eins hundes spür,
Der war gelaufen kurz vor mir.
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Ich folget nach demselben pfad:
Trug mich zu einer großen stadt.
Da schlich ich nein am morgen fru,
Stunden noch alle türen zu;
Underm tor fand ein enge lucken,
In dleng tet ich mich durchhin schmucken.
Es regt sich weder katz noch hunt.
Ich sahe mich umb; ein weil da stunt,
Da sahe ich dort ongfer ein loch
In einer maur; darin ich kroch.
Das war gar nider bei der erden.
Lag lang; gedacht, was wils doch werden?
In dem gunt sich das volk zu regen
Und in den gaßen zu bewegen,
Zuletst hub sich ein groß gedön
Von pfeifen, seitenspiel gar schön.
Kroch zu mir nein ein junger hunt,
Der, wie ich merkt, zwar nichts verstunt,
Meint, ich wer auch ein hund wie er;
Gedacht, es het da kein gefer.
Bracht ein stück fleisch, war eben groß:
Desselben ich da mit genoß.
Drumb ließ ich in da ungeworgt;
Denn ich mich sonst eins andern bsorgt
Und dacht, ich wolt das end besehen,
Was nach dem pfeifen würd geschehen.
Zuhand kamen dorther gegan
Ein großer haufen frau und man,
Der gar vil mer denn hundert warn.
Gmeiniglich giengen sie bei parn,
In silbern kleinot, gülden ketten
Und köstlich kleider, die sie hetten.
Die frauen warn mit allem fleiß
In rot gekleidt, mit schleiern weiß,
Von fern sich teten so beweisen,
Als werens hüt von stal und eisen.
Die menner trugen gülden hauben,
Seidene wammes, köstlich schauben,
(Ich dacht: wie ists so ungleich teilt!
Und solchs so manchen armen feilt,
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Die oft das brot nit zeßen haben,
Müßen den durst mit waßer laben,
Als du und ich und unsers gleichen;
An einem haufen hans die reichen.)
Mit zobeln gfütert und mit lüchsen,
Etlich mit mardern, etlich füchsen.
Vil sahe ich von den besten leuten,
Die trugen belz von wolfes heuten.
Eins aber, das mich ser dran wundert,
Dieselben belz warn so gesundert:
Etlich kerten das raue innen;
Dieselben hielt ich baß bei sinnen,
Denn je die belz darumb bedacht,
Zur wärm und nicht zum schein gemacht.
Etlich hetten das raue auskert;
Ob sie des nit wern baß gelert,
Odr ob sies sonst von vorwitz teten,
Odr sonst vor ein gewonheit heten,
Das kan ich warlich sagen nicht.
Vom selben hund begert bericht
Und tets mit aller umbstend fragen;
Er wist mir kein bescheit zu sagen.
Schied so von dann zur selben fart,
Daß ich des nicht berichtet wart.
Drumb bitt ich dich, weistu darumb,
Woher doch solcher wechsel kumb,
Wöllest mich des gründlich berichten,
Damit ich mög mein zweifel schlichten,
Benemen mir die bkümmernis,
Wenn du mich machst der sachen gwis.«
Da ward der fuchs gar spöttisch lachen.
»Es ist ein deutung in den sachen«,
Sprach er, »daß warlich nit verstet
Ein jeder baur, wie das zuget.«
Der wolf sprach: »Lieber, sag mir doch,
Daß ich nit weiter darf fragen nach!
Es muß gar wunderlich sein drumb.«
»Es ist ein groß mysterium«,
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Sprach der fuchs, »doch wil ich dirs deuten:
Die gsellschaft von zweierlei leuten,
Wie mich bedunkt, etlich vom adel,
Dieselben leiden keinen tadel.
Umbsunst ists, daß man sie fast straft
Oder beßrung an in verhofft,
Sie wüten stets wie die tyrannen;
Wenn mans unfreundlich tut anzannen,
So schlahens, beißens umb sich her
Gleich einem lewen oder ber.
Sie schemen sich des mausens nicht,
Haben ir datum so gericht,
Suchens in winkeln vorn und hinden,
Rauben und nemens, wo sies finden,
Underdrucken beid leut und lant
Und sind irs raubens wol bekant,
Gleich wie du deine grauen har
Auskerst und tregst sie offenbar.
Ja, mancher sich des adels rümt,
Den ist ir kranz also geblümt,
Daß man sie bei den federn kennt;
Dennoch man sie gnad junker nennt;
Meinen desselben haben er,
Das bei frommen ein schande wer:
Solch wolf helt jetzt die welt in eren,
Drumb sie das raue außen keren.
Die andern, welch man nennt kaufleut,
Kleiden sich auch in wolfes heut;
Mit geiz den gmeinen man bestelen,
Doch wißen sies so fein zu helen,
Des geiz sein underm hütlin spielen,
Wie das gemein ist jetzt bei vilen,
Und machens auch so gar unsauber,
Daß man sie schiltet vor stulrauber.
Mit irem aufsatz, wucher, liegen
Jetzt fast die ganze welt betriegen,
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Und wenn man sie darumbe straft,
So ists der brauch der kaufmanschaft:
Sind wolf und wöllens doch nit sein,
Schmücken den wolf mit frommen schein,
Undr einr schafshaut und frommen schalk
Verbergen sie den wolfes balk;
Mit gutem gwand und seiden röcken
Sie allezeit den wolf bedecken.
Und sein so wolf von beiden teilen,
Ein jeder leßts an im nit feilen,
Daß er sich solcher tugent fleißt,
Wie solchs der wolfes belz ausweist.«
Die deutung über dise fabel
Darf zwar keiner andern parabel,
Denn wie sie hat der fuchs verklert.
Der ist die zeit wol so gelert,
Daß er den wolf kennt vor den schafen:
Derhalben weiß in nit zu strafen.
So jemand nit gefellt sein deuten,
Der hüt sich vor den wolfes heuten
Und hab mit solchen nit gemein,
Wil er vom fuchs ungscholten sein.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 32. Vom Wolf und Fuchse. 32. Vom Wolf und Fuchse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9019-E