Die zweite Fabel.
Vom Fuchs und dem Hanen.

Vom fuchs man oft gesaget mir,
Wie er sei ein gar listig tier
Und pflegt die andern tier betriegen,
Umb eigen nutz in oft fürliegen.
Solchs er am hanen hat ereigt,
Wie dise folgend fabel zeigt.
Einsmals, da er het lang geloffen
Und durch vil dicker hecken gschloffen,
Daß im sein bauch war worden ler,
Zohe in eim holen weg daher.
Vom dorf nit weit an einem fluß,
Ungeferlich zwen armbrustschüß,
Da saß ein han auf einem baum
Hoch, daß ern kunt absehen kaum,
Mit dreien hübschen feißten hennen,
Die sich gemestet in der tennen,
Und saßen hoch auf einer eichen,
Daß sie der fuchs nicht mocht erreichen.
Er dacht: was sol ich immer tun?
Ich iß so gern einst von eim hun!
[138]
Da het ein baur ein große buchen
Nider gefellt; da gunt er suchen
Und fand ein weißen span vierecket,
Doch ein wenig lenglecht gestrecket,
Nam in ins maul und trollt sich hin
Auf künftig beut und guten gwin,
Zohe langsam underm baum daher,
Als ob ers tet on als gefer.
Wie in der han von oben sicht,
Kräet laut, leßt sich erschrecken nicht.
Der fuchs legt nider seinen span
Und hebt weislich zu reden an
Und sprach: »Botz, lieber ohm, herr Henning,
Ich het verwett ein alten pfenning,
Daß ich euch hie nit finden solt.
Jedoch, wenn ir mich hören wolt,
Wil euch erzelen seltzam gschicht,
Die nit aus meinem ghirn erticht,
Auch nit aus meinen gedenk besunnen
Oder aus eim toten roskopf gspunnen,
Sondern sind uns vom himel geben,
Daß darnach alle tier solln leben;
Ernstlich wils han gehalten Gott
Haben gleich wie die zehen gebot,
Denn es kein lecherliche boßen,
Sondern mit solchem ernst beschloßen,
Mit brief und sigel stark befest,
Daß mans wol unumbgstoßen leßt.«
Da sprach der han: »Nun sag doch her!«
Er sprach: »Es sind gar gute mer.
Und weil ich euch so lang hab kennt,
Stets für mein lieben ohm genennt,
Halt ich, daß ir des wol seit wert,
Für andern tieren zum ersten bschert,
Daß ir solt sein der erste fründ,
Dem ich solch heilsam red verkünd.«
Er nahet sich zum baume baß
Und setzt sich nider in das gras,
[139]
Er leckt das maul und ruspert sich
Und sprach: »Herr Henning, hört doch mich,
Hört zu mit euren schwestern fleißig.
In diesem jar sieben und dreißig
Hat der bapst in Italia
In der schönen stadt Mantua
Ein gemein concili betracht,
Vil herren da zusamen bracht,
Cardinäl, patriarchen, bischof
Versamlet gar an seinen hof,
Dabei auch ander herrn legaten,
Gschicht von weltlichen potentaten
Als commissari, oratorn,
Die von der herrn wegen da warn,
Und haben all eintrechtiglich
Beschloßen, das sol ewiglich
Ratum, decretum firmiter
Et irrefragabiliter.«
Der han sprach: »Herr Reinhart, sagt her,
Was sein die wunderlichen mer,
Da ir so hoch und groß von rümen,
Mit so vil worten schon verblümen?
Ir gebt ein guten predicanten.
Ja, für die hüner, gäns und anten,
Ir könt latin und alle sprach,
Muß jederman euch geben nach.
Wer gnug, ir het die sophistri
Studiert in der schul zu Pavi;
Das doctorat stünd euch wol an:
Ir seit der schrift ein glerter man.«
Er sprach: »Die sach ists gar wol wert,
Daß man mit vilen worten ert.
Diß aber habens decerniert,
Mit brief und sigel confirmiert:
Nach dem vor vilen alten zeiten
Kein gewonheit war bei den leuten,
Daß sie pflagen fleisch zu eßen,
Und dorft sich des niemand vermeßen,
[140]
Biß daß bei Noha nach der sintflut
Von Gott ward angesehn für gut,
Den menschen fleisch erlaubet hat.
Daraus erfolgt großer unrat,
Denn davon leid und mort ist kommen;
Vil tier daraus ursach genommen,
Daß sie einander han gefreßen
Und aller zucht und er vergeßen
Und sprachen: ist den menschen frei,
Warumb solts uns verbotten sei?
Daraus ist kommen müe und klag.
Nun muß, biß vor dem jüngsten tag,
Und noch in disen letsten tagen,
Die sach gestillt wird und vertragen,
All neid und haß auf diser erdn
Bei allen tieren vergeßen werdn;
Drumb hat der bapst on allen hel,
Villeicht aus göttlichem befelh,
Mit weisem rat und klugem sin
Endlich die sachen bracht dahin,
Ein jedes tier sich solches maßen,
Das ander ungefreßen laßen.
Laub und gras sollen sie genießen
Und damit iren hunger büßen;
Allein der fisch im waßer sei
Menschen und tiern zu eßen frei,
Und sind derhalben frei gegeben.
Denn da all tier verlorn das leben
In der sintflut, wies stet geschrieben,
Da sein die fisch lebendig blieben,
Darumb hats Gott also verschafft,
Daß sie auch wurden einst gestraft.
Und ist diß herrlich neu edict
Reichlich begiftet und gespickt,
Mit brief und sigel stark muniert,
Mit privilegen hoch geziert,
Mag billich gnennet werden zwar
Das rechte gülden jubeljar.
[141]
Ist auch schriftlich in druck gestellt,
Darnach ein jedes tier sich helt,
All punct verfaßt in ein receß,
Ward jetzt zu Frankfurt in der meß
Vorn römer gschlagen an die tür;
Da hiengen achtzehn sigel für,
Da stunden kammerboten bei.
Des ich ein warhaftig copei,
Wie solchs zugangen und beschehn,
Als hie vor augen ist zu sehn«
(Und zeigt im da den weißen span,
Meint, er solt im dran gnügen lan).
»So ists nun allenthalben fried;
Drumb steigt herab und förcht euch nit.
Nim deine schwestern all mit dir:
Dürft euch besorgen nit vor mir.
Den brief wölln wir im wirtshaus lesen
Und haben da ein frölich wesen.
Hab hie noch einen gülden rot,
Den mein mutter nit gsehen hot,
Den wölln wir samtlich da verzern
Und uns hinfurder freundlich nern.«
Da sprach der han: »Es nimt mich wunder
Solch gschwind verenderung jetzunder,
Die ich jetzt hör aus deiner sag:
Es muß nahe sein dem jüngsten tag.
Drumb wil ich glauben deinem wort:
Herr, ich kom jetzund alsofort.«
Der fuchs war fro und sprach: »Nun kum!«
Da macht der han den hals so krum
Und strecket weit aus seinen kragen,
Sahe hin ins felt. Der fuchs gunt fragen
Und sprach: »Sag an, wonach sichstu?
Kom, ich bleib sonst nicht lenger nu.«
Der han sprach: »Wil dirs wol verkunden:
Dort komt ein jäger mit zwen hunden,
Den man den brief auch lesen sol,
Sie sein beid frum, ich kenn sie wol,
[142]
Daß sie auch wißen von den sachen
Und gleich mit uns sich frölich machen.«
Da fragt der fuchs: »Sein sie noch fer?«
»Nein«, sprach der han, »sie ziehen daher.«
Da sprach der fuchs: »Ich gee davon;
Wiltu folgen, das magstu tun.«
Da sprach der han: »Wie so? Ists fried,
So hastu dich zu bsorgen nit.«
Er sprach: »Ob sies noch nit vernommen,
Ließen mich nit zur antwort kommen
Und mich so eilend überfielen:
Wil lieber des gewißen spielen
Und mich hin durch die hecken drengen:
Ein ander mag in zeitung brengen.«
Es ist mancher so gar verschlagen,
Meint etwas damit aufzujagen
Und denkt, er sei so klug allein,
So findt er doch zu zeiten ein,
Der auch geschickt und gegenklug
Kan trug vergelten mit betrug,
Zu dem man sichs gar nicht versicht,
Wie vom hanen dem fuchs geschicht.
Wer einen schalk mit schalk wil letzen,
Der muß ein auf die schiltwacht setzen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 2. Vom Fuchs und dem Hanen. 2. Vom Fuchs und dem Hanen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-907B-1