[199] Die achtundzwanzigste Fabel.
Vom Fuchs und dem Habich.

Der fuchs zu einem habich sprach:
»Ich bitt dich, sag, was ist die sach,
Daß du die arm einfaltig tauben
So feindlich tust allzeit hinrauben?«
Er sprach: »Ich bin zum richter gsetzt,
Mein krummen schnabel drauf gewetzt,
Daß ich die bösen sol durchechten
Und die gerechtigkeit verfechten,
Auf daß mit frieden sein die fromen.
Sie freßen auf dem land den samen,
Als weizen, erbeiß, wicken, lein:
Drumb muß man sie so treiben ein.«
Er sprach: »Warumb straft nit die rappen,
Den weihen, adlar, geir und trappen?
Die han vil größern schaden tan,
Und lests unschüldig frei hingan?«
»Nein«, sprach der habich, »sie sein mir zhoch;
Wenn ich denselben stellet noch,
Soltens gar bald zusamen rücken
Und reißen mich zu kleinen stücken.
Drumb legn wir gen einander nider:
Sie schonen mein, ich schon ir wider.
Es ist nit ein geringe kunst,
Daß einer hat der herren gunst.
Verfolgstu doch den armen hasen,
Der tut nur auf der erden grasen
Und nur der grünen bletter gneußt,
Und schonst des wolfs, der schaf zerreißt.
Die hüner auch niemand betriegen
Oder offnen schaden zufügen,
Dazu dem menschen gar vil fromen
Und neren sich der kleinen kromen.
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Die gens sein auch niemand schedlich,
Mit kurzem gras behelfen sich;
Doch werdens oft von dir erschlagen,
Wenn dus bein zeunen kanst erjagen.
Wenn man der frommen schonen solt,
So werstu gensen und hünern holt,
Den du doch stets tust widerstreiten,
Wie solchs bekant ist allen leuten.«
Die alten han ein sprichwort bdacht
Und aus erfarnheit an uns bracht
Und sagen: Wenn das gelt zu ser
Get vor die tugent, zucht und er,
Und da die gwalt get übers recht,
Da wer ich lieber herr denn knecht.
Das zeigt uns an der alte boß
Vom heidnischen philosophos:
Der het sein leben so hinbracht,
Daß er sein tag nit het gelacht.
Der sahe ein armen dieb ausfüren,
Den solt man an den galgen schnieren.
Da man in bracht also gebunden,
Er lacht ganz ser; die umb in stunden,
Fragten, warumb er lacht des armen,
Des man sich billich solt erbarmen?
Er sprach: »Solt ich der welt nicht lachen,
Daß sies so wunderlich tut machen?
Seltzamer könt mans nit erdenken,
Die großen dieb die kleinen henken.«
Drumb sein die politisch gesetz
Ein spinnweb und ein fliegennetz,
Welchs die vögel frevlich aufheben;
Die fliegen bleiben drin bekleben.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 28. Vom Fuchs und dem Habich. 28. Vom Fuchs und dem Habich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-90D3-8