Die einundfunfzigste Fabel.
Vom reichen und armen Man.

Zu Lübeck in der schönen stat
Ein alter bürger saß im rat,
Der war gar reich an gut und hab;
Damit sich nit zu frieden gab.
Er het ein frau und keine erben,
Dennoch hört er nit auf mit werben,
Allzeit dem geld und gut nachtracht.
Davor er weder tag noch nacht
Kein ru nit het, so ser in plagt
Der geiz, wie der poet auch sagt,
[263]
Daß sich gleich mit dem geld und gut
Die lieb des gelds vermeren tut.
Nun ist am selben end der brauch,
Wie sonst in andern städten auch,
Da sind vil tiefer keller graben,
Darin vil leut ir wonung haben,
Die sich nur von dem taglon neren,
Nach kleinem gut auch meßig zeren.
Also saß auch desselben gleichen
Ein armer under disem reichen,
Pflag den leuten die schuhe zu flicken,
Mit holz und henfen drat zu sticken,
Davon er sich, sein weib und kint
Ernert, wie man vil armen findt.
Jedoch war er seins mutes frei,
Sang und war stets frölich dabei,
Des abents er daheime blieb
Und seine zeit also vertrieb.
Des wundert sich der reich gar ser;
Er dacht: was ists doch immermer,
Das disen armen man erfreut?
Nun weiß ich doch, daß er oft keut
An armetei, die in beseßen,
Und hat oft kaum das brot zu eßen.
Vorwar, ich keinen fleiß nit spar,
Biß ich sein wesen recht erfar!
An einem sontag kurz darnach
Also zu seiner frauen sprach:
»Du must dichs nit verdrießen laßen,
Daniden unsern hausgenoßen
Zu gast bitten heut disen tag
Mit seiner frauen, daß ich mag
Von im werden einr frag bericht,
Die mich bekümmert und anficht.«
Er schickt bald seinen knecht hinunder,
Bat in zu gast; das nam groß wunder
Denselben armen man, gedacht:
Wer hat den jetzt so kostfrei gmacht?
[264]
Doch gieng er hin, versagts im nit.
Nach eßens sprach der wirt: »Ich bitt,
Umb ein ding hab ich euch zu fragen,
Drauf wöllet mir die warheit sagen.
Ich weiß, daß euch am gut zerrinnet
Und mit eurm tun nit vil gewinnet,
Mit großer arbeit ir euch nert
Und dennoch kaum des hungers wert,
Und trinket auch gar selten wein
Und dennoch allzeit frölich sein
Beid tag und nacht, abents und morgen,
Als ob ir hetten nichts zu bsorgen.
Nun hab ich gelds und gutes gnug,
An eßen, trinken guten fug,
Mit gutem wein tu mich oft kröpfen;
Kan dennoch solchen mut nit schöpfen.«
Er sprach: »Warumb solt mich betrüben?
Mein gut ist sicher vor den dieben
Zu waßer und zu land; derhalb
Stirbt mir kein pfert noch ku noch kalb;
Es kan kein kaufman mich betriegen
Oder in der handlung vorliegen.
Und wie ich hab ein kleine nerung,
So halt ich auch ein kleine zerung,
Verzer nit mer, denn ich erwerb,
Sorg nit, daß ich dabei verderb,
Und steck mein fuß nit weiter nab,
Denn ich wol zu bedecken hab,
Und mich zu frieden geb damit.
Was ich nit hab, entfellt mir nit.
Ich laß mir an demselben gnügen,
Was mir Gott teglich tut zufügen,
Gedenk, morgen ist auch ein tag,
Der vor sich selber sorgen mag.«
Mit solcher red ward er bewogen,
Daß ern vorbaß nit mer dorft fragen,
Und dacht: er ist recht willig arm;
Billich, daß ich mich sein erbarm.
[265]
Lief hin und bracht bald hundert gulden
Und sprach: »Damit bezalt eur schulden;
Damit ich euch jetzt wil begaben,
Daß ir eur not zu schützen haben.«
Der man ward fro, gieng damit hin
Und dacht bald, daß ers auf gewin
Und auf kaufmanschaft mocht anlegen,
Damit noch hundert brecht zu wegen,
Und tracht mit fleiß drauf tag und nacht.
Damit im selb vil sorgen macht,
Daß er vor müe den kopf stets hieng
Und auf der gaßen traurig gieng;
Des singens er dabei vergaß.
Den reichen ser verwundert das.
Er bat in abermal zu gast.
Der man die hundert gülden faßt
In einen beutel, brachts im wider
Und sprach: »Von der zeit an und sider
Daß ir mir habt die gülden geben,
Ist mir vergan mein bestes leben.
Seht hin, fart wol mit eurem gut!
Ich nem dafür ein guten mut:
Desselben ich vil baß genieß;
Das gelt macht mir bekümmernis.«
Solch einfalt ist gar underkumen,
Und hat der geiz das land eingnumen.
Ich kenn auch jetzt vil armer leut,
Doch halt ich nit, daß man jetzt heut
Under in allen einen findt,
Der gleich wie diser sei gesinnt.
Es sind vil wirt auf allen straßen,
Die leut bei in herbergen laßen,
Doch solt man schwerlich ein bekummen,
Der dem gast zu seim nutz und frummen
Ein kopf von silber oder golt
In sein sack heimlich stecken solt,
Wie man sagt, daß ee sei geschehen.
Ists war, weiß nit; habs nit gesehen.
[266]
Villeicht man sonst wol ein bekem,
Der eim e etwas ausher nem:
So gar ist jetzt die ganze welt
Gericht auf das verfluchte gelt.
Dennoch so ists gewislich war,
Es zeugt die schrift so hell und klar,
Daß man nit zgleich dem geld kan dienen
Und dennoch sich mit Gott versünen.
Denn wer sein datum dahin richt,
Daß er sich nur dem geld verpflicht
Und darin all sein wollust hat,
Der macht das gelt zu einem gott
Und fellt bald in des teufels strick:
Derhalben sich ein jeder schick,
Daß er seins guts ein herre sei,
So ist er viler sorgen frei.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 51. Vom reichen und armen Man. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-910F-D