Die neunzehnte Fabel.
Von einem trunkenen Pfaffen.

Ich war ein mal auf einem schloß,
Da gschahe ein lecherlicher boß.
Der herr daselb het ein caplan,
Dem ließ er abents sagen an,
Wie er wolt morgen frü ausreiten,
Drumb solt er sich dest ee bereiten,
Daß er des morgens frü aufstund,
Zu zweien urn die meß begund.
Der pfaff denselben bfelh annam.
Wie er bei sein gesellschaft kam,
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Mit den zecht er die ganze nacht;
An metten noch an frümeß dacht
Biß morgens frü, daß man da leut.
Der pfaff erschrack: »Ists um die zeit?«
Einr kam und fordert in hinein.
Er sprach: »Ich wil bald bei dir sein!«
Mit seinen gsellen er da redt,
Sprach: »Hab weder gschlafen noch gbet;
Drumb helft schlafen ein kleine weil:
Die sach komt mir gar in der eil.«
Sie legten sich allsamen nider.
Er sprach: »Ist gnug!« und weckt sie wider.
»Nun müßt ir mir auch helfen beten,
Darf sonst nit vor den altar treten.«
Jeder sprach ein vatter unser;
Er sprach: »Ist gnug! bringt waßer her!«
Da wusch er sich, gieng vorn altar,
Hub an die meß zu lesen gar.
Da er den canon het begunt
Und lang in der memori stunt,
Daß er ein gute weil entschlief,
Der herr ein knaben zu sich rief
Und sprach: »Lauf hin, sag an dem pfaffen,
Daß ers ausmach; wir han zu schaffen.«
Der knab ein wenig in anstieß
Und tet, wie in seine herre hieß,
Daß ers ein ende machen wolt.
Der pfaff erwacht, sprach: »Ists mein schult,
Daß also lang bleibt sten das glas?
Wil lieber trinken deste baß.«
Erwischt den kelch in halbem schlof,
Sprach: »Es gilt dir!« Es gar aussoff,
Meint, er säß noch bei seinr gsellschaft.
Darnach das buch zusamen rafft:
»Per omnia secla!« kert sich umb
Und sprach: »Dominus vobiscum!«
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Darauf das »Ite, missa est!«
Möcht sagen, er wer da gewest.
Bei solcher meß ist wol zu sehn,
Welch er Gott sei damit geschehn.
Und gar gemein bei den papisten;
Darob das herz eins frommen christen
Vor angst und schrecken wol zersprung
Vor solcher gotteslesterung.
Noch wöllens sies mit iren rechten
Als waren gottesdienst verfechten.
Sihe, wie war ist das alt sprichwort,
Welchs ich vor vierzig jaren ghort,
Wo man ein trunken pfaffen sach,
Daß bald der gmeine pöfel sprach:
»Wenn unser Herrgott nit könt schwimmen,
So wer er langest kommen ümme
Und wer lengst von pfaffen ertrenkt,
In irem bier und wein versenkt.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 19. Von einem trunkenen Pfaffen. 19. Von einem trunkenen Pfaffen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9157-9