[118] Die achtundneunzigste Fabel.
Von einem Schneider und seinem Weibe.

Manch seltzam wunderwüst gesind,
Gar manches loses mutterkind
Findt sich auf erden undern leuten,
Daß, wer solch unkraut wolt ausreuten,
Der must sich bsorgen der beschwerd,
Daß ers nit alles treffen werd;
Als etlich sein, die darnach streben,
Daß sie zu unlust ursach geben,
Tun oft böses, das in zum frommen
Oder zu nutz mag nimmer kommen,
Wie solchs gemein ist undern weiben,
Welch fleißiglich das redlin treiben,
Mutwilliglich ir männer hetzen
Und teglich auf den esel setzen,
Dadurch sie mügen ursach schöpfen,
Dermol ein fremde gans zu rupfen,
Gleich wie eim schneider gschach ein mol.
Der arbeit fast und nert sich wol,
In tun und laßen war ganz frum,
Ließ schlecht recht sein, das unrecht krum.
Der het ein weib, die war nit alt,
Lüstig, fürwitzig, wol gestalt;
Die ward von tag zu tag unbendig,
Halsstarrig, knorrig, wetterwendig;
Ursach zu suchen stets sich fliß,
Daß sie sich von dem man abriß,
Daß ers solt schlagen oder raufen,
Auf daß sie einst möcht von im laufen,
Biß daß zuletst der man auch merkt.
Er gab ir gelt, schickts auf den markt,
Sprach: »Für den groschen kauf mir zwirn.«
Sie kam und bracht ein korb voll birn.
[119]
Der man schwieg still, wie er war bider.
Zum andern mal schickt er sie wider
Hinaus mit gelt, sprach: »Kauf mir wachs!«
Da kam sie heim und brachte flachs.
Der man schwieg, ir auch das vertrug,
Daß er sie weder schalt noch schlug;
Dacht: ist gut, das ichs in mich reib.
Darnach sprach er einmal zum weib:
»Sihe lieber, wie die scher ist schertig;
Eins eisenkremers bin ich wertig,
Der mir ein neue scher solt brengen.
Weil sich die zeit nun tut verlengen
Und doch der kremer außen bleibt
Und mir kein antwort sagt noch schreibt,
Muß ich dennoch ein scheren han,
Bestee sunst nicht fürn handwerksman«,
Und gab dem weib ein schreckenberger,
Sprach: »Gee bald hin zum nüremberger,
Der da vornen sitzt gegem becken,
Ist ein neu haus recht an der ecken,
Und kauf mir bald ein neue scher.«
Sie kam wider, bracht ein pfund schmer.
Der man stutzt auf, ward halber schellig,
Sprach: »Bin ich denn so ungefellig,
Oder ob du sunst zu übel hörst,
Daß du mir stets die wort verkerst
Und hast mirs nun drei mal getan?
Sprech schier, der jarrit gee dich an!«
Sie sprach: »Mein man, verzeih mir das,
Wil ein ander mal hören baß
Und deim befelh baß kommen nach;
Drumb laß dein zorn und tu gemach!«
Da sprach der man: »Ich laß geschehen,
Wil dir noch dißmal übersehen;
Sihe aber zu und tus nicht mer,
Ein ander mal gib baß gehör!«
[120]
Sie sprach: »Ich wil gut acht drauf geben,
Hinfurder deines willens gleben.«
Damit stellt er die sach in ru.
Biß einst auf einen morgen fru,
Da man lengst het zur metten gleut
Und war fast umb die frümeßzeit,
Umb fünf, ein gute stund vor tag,
Wie man sie da zu meßen pflag,
Sprach derselb schneider zu seim weib:
»Ich acht, daß ich daheimen bleib,
Du auch einmal zur frümeß gest
Und so lang in der kirchen stest,
Biß daß die meß sei gar geschehen
Und auch magst unsern Herrgott sehen.«
Das weib nam bald den mantel umb,
Stellt sich, als wolt sie werden frum,
Hin nach der kirchen war ir gach.
Der man schlich heimlich hinden nach
Im finstern, daß sie in nicht sech.
Das weib eilet und war nit treg.
So bald sie umb die ecken kam,
Sahe hinder sich, niemand vernam,
Eilend sie aus der straßen hupft,
Zur schulentür bald einhin schlupft.
Der man wischt bald hinder ir her,
Sprach: »Weib, halt still, schon deiner er!
Ein solch torheit nim nicht zu handen!
Ich meint, du hetst mich baß verstanden,
Und nicht als da ich dich nach zwirn
Ausschickt und du mir brachtest birn,
Da ich dich sendet hin nach wachs
Und brachtest mir ein büntel flachs,
Und zu dem kremer umb ein scher,
Da brachtestu mir ein pfund schmer:
Solchs alles ließ ich da geschehen
Und dir mit gutem übersehen
Und keinen hader drumb gemacht.
Hab allezeit also gedacht,
[121]
Weils reimensweis zusamen kommen,
Hettest auch diß vor das vernommen,
Und war zu frieden in dem allen;
Aber diß laß ich mir nicht gefallen,
Was jetzund hie von dir geschicht,
Denn kirch und schul reimt sich ja nicht.
Ich hieß dich heut die frümeß hören;
So wiltu dich hie laßen leren,
Von den studenten underweisen.
Solch fürnemen kan niemand preisen,
Und ist nichts guts daraus zu hoffen:
Dafür ich dich daheim wil strofen.«
So findt man noch manch üppig weib,
Die wagts dahin auf seel und leib,
Die sich der eren ganz erwegen,
Mutwilliglich in uner legen;
Gilt in gleich, achtens überein,
Obs regen oder die sonne schein,
Ob man im bad frier oder schwitz,
Die gans am nest ste oder sitz,
Sie schlagen alles in den wint,
Wie man derselben manche findt.
Welch man mit solcher wird beladen,
Der muß sein tag in unglück baden
Und wird auch nit daraus erlöst,
Biß in der tot auch selber tröst,
Daß man spricht: ach Gott, hab ir seel!
So wird im gholfen aus der quel.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das dritte Buch. 98. Von einem Schneider und seinem Weibe. 98. Von einem Schneider und seinem Weibe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-915B-1