[130] Die neunundachtzigste Fabel.
Von der Sonnen und Nordenwind.

Aus neid, hoffart der nordenwind
Einsmals sich zu der sonnen findt
Und sprach: »Laß sehn on arge list,
Welcher der sterkest under uns ist.«
Antwort die sonn: »Ich laß geschehen,
Bei jenem boten wölln wir sehen,
Welcher dorther get übers feld,
Wie sichs mit seinem mantel helt;
Wer im denselben kan abjagen,
Der sol den preis von hinnen tragen.«
Bald wet der wind kalt aus dem norden,
Ob er den boten wolt ermorden
Mit großem hagel, eis und schnee,
Das tet dem boten mechtig we.
Half nicht, wie heftig er auch facht,
Biß er den mantel doppelt macht.
Da wider schein die liebe sonne,
Bracht nach dem regen freud und wonne,
Mit hitz tet sie den boten trucken,
Daß im der mantel bald ward drucken,
Und stach auf in mit scharfen stralen,
Daß er sich dleng nicht kunt erholen.
Under einr grünen dicken buchen
Tet er sein ru im schatten suchen,
Warf bald von im mantel und hut,
Wie man in hitz des sommers tut.
Da het die schöne liebe sonnen
Dem Borea den preis angwonnen.
Wider den, der dir nicht ist eben,
Soltu dich nit in kampf begeben;
Ob du villeicht wol sterker bist,
Doch übertrifft er dich mit list:
Mit bhendigkeit tut dir den hon,
Den du mit sterk im nit hetst ton.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das erste Buch. 89. Von der Sonnen und Nordenwind. 89. Von der Sonnen und Nordenwind. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-916D-A