Die zweiundneunzigste Fabel.
Wie ein Seuhirt zum Apte wird.

Vor zeiten, da der geiz hub an,
Den sieg gewan, das land einnam,
Da fliß sich bald die ganze welt,
Zu trachten nach dem geiz und gelt
Mit diebstal, raub, wucher, finanz:
Drauf flißen sie sich gar und ganz.
Zucht und all erbarkeit vergaßen,
Niemand tet sich der kunst anmaßen.
Wer nit mit bracht groß gelt und gut,
Den stieß man aus, wie man noch tut.
Ja wenn Homerus selber kem,
Und all sein Musas mit im nem,
Und brecht kein gelt noch gut noch hab,
Man jagt in aus und blieb schabab.
Denn wir auch von den alten lesen,
Daß vil gelerter leut gewesen,
Da kunst doch mer denn jetzt tet walten:
Noch wurden etlich übel ghalten.
Da sagt man von eim glerten gsellen,
Der tet nach künsten fleißig stellen
Und sich denselben gar ergab,
Daß er verzert sein gut und hab,
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Biß er zu letsten gar erarmt;
Doch fand niemand, dens het erbarmt,
Der im solchs tet mit hilf vergüten,
Biß er zuletst der seu must hüten.
Da war ein fürst im selben land,
Dem stieß ein unfall an die hand,
Daß er bedorft einr großen summen,
Doch wist ers nit all zu bekummen,
Wiewol ers weit zusamen schrapt.
Er het im land ein reichen apt,
Der het ganz rulich lang gehauset,
Den langt er an umb etlich tauset.
Des wegert sich der münch zum teil,
Zeigt an den gbrechen und den feil,
Hoch allegiert des klosters not;
Zum halben teil sich doch erbot.
Da sprach der fürst: »Hör, was ich sag!
Wil dir fürlegen etlich frag;
So du mich kanst in dreien tagen
Wol berichten derselben fragen,
Erlaß ich dir der bstimmten schulden
Für jede frage tausent gulden.
Erstlich sag mir on arge list,
Wie weit hinauf gen himmel ist.
Zum andern sag mir auch gut rund,
Wie tief da sei des meres grund;
Auch wie vil küfen must machen laßen,
Das große mer darin zu faßen.
Und diß sol sein das vierte stück,
Wie weit vom unglück sei das glück.«
Nun war dem fürsten wol bewust,
Daß doch der apt, wiewol er sust
Reich war und großer prelatur,
An weisheit war ein grober bur –
Wie sie auch jetzt zu unsern zeiten
Künnen nur schlemmen, jagen, reiten –,
Solch hohe frag nicht wurd auflösen:
Drumb wolt er in also bedösen.
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Der apt, wiewol ers tet nit gern,
Doch must zu gfallen seinem herrn
Annemen die bstimmten ratzol,
Welch im nit bhagten allzu wol
Und machten im ein groß beschwern,
Wust sich derhalb auch nit zu kern.
Bei seinen brüdern suchet rat:
Da war keiner in höherm grat
Gelerter denn der apt daselb:
Zu seiner axt fand er kein helb.
Für großem leid ins feld spaciert.
Ongfer wirds gewar der seuhirt;
Er kam und neigt sich gegen im,
Sprach: »Gnediger herr, wie ich vernim,
Seit ir nit frölich, wie ir pflegen.
Sagt mir, waran ists euch gelegen?«
Der apt sprach: »Wenn ich dirs schon klagt,
Davon lang schwatzet und vil sagt,
So bistu doch der man zwar nit,
Der mir könt raten etwan mit.
Wenn ich zu Cöln jetzt wer am Rhein,
Da die magistri nostri sein,
Tausent gülden ließ ichs mich kosten,
Weiß aber jetzt kein solchen posten,
Der mir die sach so bald bestellt,
Das unglück für der tür da helt.
Wo ich morgen nit antwort breng,
Werden mir alle löcher zeng,
Beschetzt werd umb vil tausent taler:
So wird mein stat und herrschaft schmaler.
Derhalben mag ich jetzt wol trauren:
Ich stieß den kopf schier an die mauren.«
Der seuhirt sprach: »Damit far schon!
Wer weiß, ob ich euch helfen kan.«
Da sprach der apt: »Schweig du des nun!
Solch ding ist nicht von deinem tun.«
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Er sprach: »Herr, seit nit so verrucht;
Was tet ein ding doch unversucht?
Bit, wölt der demut euch erwegen,
Mir etwas von der sach fürlegen.
Es sein wol ee – ob ichs nit riet –
Vergebens so vil wort verschütt.«
Der apt hub an, verzelt ims gar,
Wies im beim fürsten gangen war,
Und wie die fragen warn gerüst,
Drauf er gar nit zantworten wist.
Er sprach: »Wenn ir mir folgen wolt,
Der sorg ir bald los werden solt
Und euch eins gringen underwinden.
Ließt euch in meinen kleidern finden,
Mich wider in die eur verkappt,
So wolt ich morgen wie ein apt
Vor dem fürsten von eurentwegen
Antwort geben; er solt sich segen,
Und solt leicht, wenn ir das jetzt teten,
Etlich tausent damit erretten
Und geben mir ein klein geschenk.«
Da sprach der apt: »Kum bald und henk
Mein kappen, laß ein blatten schern
Und tu recht wie ein apt gebern,
Und antwort, wie du weist, zun sachen.
Ich weiß jetzt beßer nit zu machen.
Nichtstus wol aus, wil dich begaben,
Daß du dein lebtag gnug solt haben.
Ich hab michs doch wol halb getröst;
Und wurd ich so durch dich erlöst,
Es wer fürwar ein großes wunder.«
Er sprach: »Folgt mir in dem jetzunder:
Wie ich gesagt hab, also tut,
Und habt derhalb ein guten mut.«
Des morgens legt die kappen an
Und trat her in des apts person
Fürn fürsten, daß er antwort geb,
Sprach: »Gnedigr herr, daß ich anheb,
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Wie mir eur gnad hat aufgelegt,
Weil sichs denn jetzt also zutregt.
Die erst frag, die mir für gestellt,
Sich der gestalt und maßen helt:
Der himmel ist nit, wie man meint,
So hoch, wie er da für uns scheint;
Ein kleine tagreis, auch nit mer;
Mit gmeinem spruch ich das bewer.
Da Christus seinen jüngern schwur,
Darnach hinauf zum vatter fur,
Gschahs vor mittag am heilgen ort,
Denselben abent war er dort.
Das mer, dadurch laufen die schiff,
Ist auch nit, wie man meint, so tief,
Daß man sich drumb bekümmern darf:
Ist nit mer denn ein ebner steinworf.
Und wie vil kufen oder töpfen
Man dörft, das mer darin zu schöpfen?
Wo man ein het, die groß gnug wer,
So dörft man sonst kein machen mer.
Das vierte stück merkt auch dabei,
Wie weit glück von dem unglück sei:
Das ist, wie ich mich hab bedacht,
Nit weiter denn ein tag und nacht.
Recht must ich hindern seuen traben,
Jetzt bin ich zu eim apt erhaben,
Und der apt ist aus seinem orden
Komen und zu eim seuhirt worden:
So kurz sich das glückrad umbwendt.«
Der fürst bald merket all umbstend,
Behagt im wol des gsellen red,
Daß er so weislich gantwort het,
Und sprach: »Für dein geschicklichkeit
Soltu bei all der herrlichkeit,
Dazu bei all den gütern bleiben,
Und laß den mönch die seu heim treiben.«
Weil diß wol sein mag ein gedicht,
Und ichs auch nit für ein geschicht
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Dasselb jemand zu glauben treib,
Nachdem ich jetzt nur fabeln schreib,
So zeigt es doch gar höflich an
Und gibt uns gnugsam zu verstan,
Daß man der weisheit, kunst und ler
Erzeigen sol gebürlich er.
Obs wol zum ersten wird geschmeht
Und oftmals ermlich betlen get,
Von ungelerten underdruckt,
So wirds zuletst doch aufgeruckt,
Und tuts zu eren hoch erheben;
Nach ir gebür muß oben schweben,
Und muß, wie etlich davon schreiben,
Die schreibfeder keiserin bleiben,
Und mag die welt, wie man siht heut,
Nit bsteen on gelerte leut.
Man stell sich auch, wie man sich stell,
Oder bring zu wegen, was man wöll,
So kan es doch die leng nit wern;
Der glerten kan man nit entbern.
Drumb sol sie solches nit gereuen,
Ob sie ein weil an armut keuen,
So werdens doch zuletst ergetzt
Und nach gebür zun ern gesetzt,
Und gliebt wird, den man vor hat ghaßt.
Und solchs in ein kurz liedlin gfaßt
Zu Nürmberg durch ein glerten man,
Welchs ich auch hab hinzu getan:
Wie wol umbsunst jetzt alle kunst
An tag wird frei gegeben,
Kein wundern sol, ob er gleich wol
Glert leut siht elend leben.
Denn merk nur auf, bei allem kauf
So wirstu gwiß befinden,
Daß wolfeil macht all ding veracht,
Und bleibt also dahinden.
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Doch schweig und beit ein kleine zeit,
Wird sich schon spiel erheben;
Laß gfallen dir der welt manier,
Wart doch deinr schanz daneben.
Denn weil die kunst hat schlecht kein gunst
Jetzund auf diser erden,
So muß zum end das regiment
Mit narrn besetzet werden.
Darnach aus not dich aus dem kot
Das glück herfür wird rücken,
Und geben gnug durch guten fug,
So du dich vor must schmücken.
Darumb ich rat, doch schier zu spat,
Daß man nach kunst wöll streben,
Denn wolfeil brot sol man zur not
In großer er aufheben.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das dritte Buch. 92. Wie ein Seuhirt zum Apte wird. 92. Wie ein Seuhirt zum Apte wird. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-91E2-D