An Herren Heinrich Wotton, engelländischen rittern

Die morgenrötin kommet her
von aufgang mutiglich geflogen,
die ihren schmuck, pomp, ruhm und ehr
auf einmal jetzund angezogen;
Sie macht mit lachend rotem mund
durch lieb die erd und himmel wund,
sie macht mit schmollend roten wangen
die erd und himmel mit ihr prangen;
Das land mit ihrer zarten hand
bestreuet sie mit gilg und rosen,
und mit süßköstlichem gewand
will sie der weiten welt liebkosen.
[107]
Hör, wie mit doppeltem getös
das fließend schnelle silber rauschet,
wie, diser schönen zeit gemäß,
der bäum laub seine küß vertauschet;
Hör doch, wie Philomele frei
darf ihres schwagers büberei
ihr trübsal, lieb und leid erklingen
und wider und bald wider singen;
wie sie mit übersüßer weis
will lindern, längern und verzwicken
ihr leid, sich selb mit süßem fleiß
und auch die götter zu erquicken.
Warum dan schweig ich nu so lang,
warum soll meine stim sich sparen
und durch ein billiches gesang
der helden lob nicht offenbaren?
Insonderheit der helden lob,
von denen wir ein wahre prob,
wie man den tugenden ergeben
mit ihnen ewiglich mög leben?
So gib mir nu mein instrument,
und du, Thalia, hilf mir singen,
auf daß bis in das firmament
mein würdiges lied mög erklingen.
Heinrich, ein Wotton an geschlecht,
so keines helden stammen weichet,
du bist vom himmel ein gemächt,
der dich mit seinem schatz bereichet
Kein andre dan der götter hand
könt dich an leib, geist und verstand
so leiblich uns abconterfehen,
daß man sie all in dir kan sehen:
Dan Jupiter hat dein geblüt
und Phöbus deinen geist gezieret
und wie Mars, forchtfrei, dein gemüt,
also Lieb dein gesicht regieret.
[108]
Der himmel hat kein schlechte gunst
und trost auf Engelland gegossen,
indem er so vil lehr und kunst
in dein haupt und brust eingeschlossen:
Dein könig, welchem an weisheit,
lehr, gotsforcht und geschicklichkeit
kein könig und mensch gleich zu nennen,
könt solches längsten wol erkennen
Darum er dich oft hin und her
zu großen potentaten schicket,
als der weiß, wie dein tiefe lehr
geschäften, die sehr schwer, beglücket.
Mehr dan der redreich Amfion,
der Thebe mit der maur umrungen,
mehr dan der schönen Mayen sohn,
von welchem Argus war bezwungen;
Mehr dan der Griech selbs, welcher klug
der süßen meerfräulein betrug
mit nicht geringerm lob betrogen,
dan er den umkreis durchgezogen
Und dessen mund mit überfluß
könt eine honigred ausgießen
wie die schnee mit der wolken guß
zu frühlingszeit von bergen fließen.
Kan deines munds wolredenheit,
wie du selbs wilt, das herz bewegen.
kan deiner red vollkommenheit
die stolze seelen niderlegen
Und deine zung in jeder brust
kan lieb und haß, leid oder lust,
müh oder ruh zu wegen bringen,
die willen, die unwillig, zwingen;
Sie kan, wie sie will, das gemüt
anreizen, treiben, halten, stehlen,
[109]
erfüllen mit zorn oder güt,
ja sie kan stein und blöck beseelen.
Vil sprachen feind dir also kund,
als ob sie allzumal dein eigen,
und du kanst mit lehrreichem mund
auch den gelehrtesten vil zeigen.
Darum, der schönste kranz, den man
bei Eurota zurichten kan,
ist zu schlecht, dein haupt zu berühren
und nicht wert sich damit zu zieren;
Sonder, Wotton, der Musen wohn,
die götter, die dich so lieb haben,
die machen selbs ein reiche kron,
dich würdig damit zu begaben.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weckherlin, Georg Rodolf. Gedichte. Gedichte. An Herren Heinrich Wotton. An Herren Heinrich Wotton. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9480-2