Handwerksburschen-Lieder

Der Abschied

Meine alte, gute Mutter,
Die nähte die halbe Nacht;
Sie hat mir aus feinem Linnen
Ein feines Hemd gemacht.
Meine wunderschöne Schwester,
Die hat einen freien Sinn;
Die stickte mit stolzer Seide
Meinen stolzen Namen darin.
Und morgens, um halber viere,
Da hat der Hahn gekräht;
Nun schnüre seinen Ranzen,
Wer auf die Reise geht!
Und morgens, um halber fünfe,
Da hab ich meinen Vater geweckt;
Der hat drei rostige Kronen
In meinen Sack gesteckt.
Wir standen unter der Linde,
Da ward mein Herz so schwer;
Meine treue Mutter meinte,
Sie sähe mich nimmermehr.
Mein Vater ward so stille,
Meine Schwester schluchzte darauf –
Da ging in den Weizenfeldern
Die goldene Sonne auf.
[218]
Und vor den Toren klang es:
»Ade, du dumpfige Stadt!
Nun freue sich, wer ein freies,
Ein lustiges Leben hat!«

Auf hohem Berge

Ich stand auf hohem Berge
Und blickte ins Tal hinab:
Dort wohnen die kleinen Menschen,
Die lange geliebet ich hab!
Dort ragt die graue Kirche,
Die ist schon alt genug;
Dort schrieb mich einst der Küster
Ins große Kirchenbuch.
Und drüben steht die Kapelle,
Dort sang ich den ersten Choral;
Der Kantor spielte die Geige
Und schlug mich mannigmal.
Doch wo die Linden rauschen,
Da glänzt ein schneeweißes Haus;
Dort schauen die Monatsrosen
Hoch oben zum Fenster hinaus. –
[219]
O blühet fort, ihr Rosen,
Ohn Not und Ungemach,
Bis daß ich euch wiederschaue
Wohl über Jahr und Tag;
Bis daß ich wieder wandle
Die heimlichen Gassen hin,
Bis daß ich wieder küsse
Meine lustige Nachbarin.

Im grünen Walde

Sie lagen im grünen Walde,
Sie lagen im grünen Gras,
Da sangen sie alsobalde
Diskant, Tenor und Baß.
Der Schneider sang Diskante,
Der Schuster, der blies Tenor,
Der Schreiner gar galante,
Der brüllte den Baß hervor.
Zuerst begann der Schneider
Und tanzte mit leichtem Schritt:
»Ich mache die windigen Kleider
Nach Wiener und Hamburger Schnitt.«
[220]
»Und ich«, erhub mit Grüßen
Der Schuster und lachte dazu,
»Ich mache manch zierlichen Füßen
Den reizenden, zierlichen Schuh.«
Und kräftig brüllte der Schreiner,
Daß das Reh im Walde sich barg:
»Geschickter wie ich ist keiner,
Ich mache so Wiege als Sarg.«
Und Schreiner und Schuster und Schneider,
Sie sangen zusammen im Takt:
»Ohn windige Schneider, leider,
Da ginge schier alles nackt!
Und wäre kein Schuster lebendig,
Da liefe man üblen Trab;
Und ohne den Schreiner, anständig
Käm keiner hinab ins Grab.« –
So sangen sie wohl im Walde,
Es blitzte das grüne Gras.
Es klangen an Strom und Halde
Diskant, Tenor und Baß.
[221]

Drei schöne Handwerksburschen

Drei schöne Handwerksburschen,
Die schwammen wohl über den Rhein;
Sie traten bei einem Meister
Zur kleinen Türe hinein.
Der erste sprach mit dem Meister,
Der zweite grüßte die Frau,
Der dritte küßte die Tochter
Mit Augen so lieb und blau.
Und als sie den Wein getrunken
Und auch gegessen den Fisch,
Da saßen mit krummen Beinen
Zusammen sie auf dem Tisch.
Und schlugen wie Nachtigallen
Und stachen mit Nadeln drein
Und nähten die Hosenlätze
Bis gegen den Sternenschein.
Wie lieblich blitzten die Sterne
Zu Köln, in der alten Stadt!
Ein jeder der drei Gesellen
Seine Nadel zerbrochen hat.
Der erste sprach mit dem Meister,
Der zweite grüßte die Frau,
Der dritte küßte die Tochter
Mit Augen so lieb und blau.
[222]
Und schwammen zurücke wieder
Wohl über den rauschenden Strom –
Die großen Glocken klangen
Herab von dem großen Dom.

Um die Kirschenblüte

Und um die Kirschenblüte,
Da haben wir logiert,
Wohl um die Kirschenblüte
In Frankfurt einst logiert.
Es sprach der Herbergsvater:
»Habt schlechte Röcke an!«
»Du laus'ger Herbergsvater,
Das geht dich gar nichts an!
Gib uns von deinem Weine,
Gib uns von deinem Bier;
Gib uns zu Bier und Weine
Auch ein gebraten Tier!«
Da kräht der Hahn im Spunde –
Das ist ein guter Fluß!
Es schmeckt in unsrem Munde
Als wie Urinius.
[223]
Da bracht er einen Hasen
In Petersilienkraut:
Vor diesem toten Hasen
Hat es uns sehr gegraut.
Und als wir war'n im Bette
Mit unsrem Nachtgebet:
Da stachen uns im Bette
Die Wanzen früh und spät.
Dies ist geschehn zu Frankfurt,
Wohl in der schönen Stadt,
Das weiß, wer dort gelebet
Und dort gelitten hat.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Weerth, Georg. Handwerksburschen-Lieder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-966A-C