[69] [78]Georg Weerth
Kriegserklärung
der schwarz-weißen
gegen die schwarz-rot-goldnen
Annoncen

Wir simpeln, anspruchslosen Leute in der Provinz, die wir unsern billigen Piesporter trinken, wir schauen mit einer gewissen Ehrfurcht nach der Residenz hinüber, wo man Weißbier genießt und die Geschicke der Welt entscheidet.

Wie mag es doch in der Residenz aussehn? fragte ich mich oft. Die Frauen haben gewiß kleinere Füße wie hier. Die Friseure tragen gewiß größere Locken wie die unsrigen. Welch geistreiche Barbiere wird es nicht in Berlin geben! Ähnliche Betrachtungen überstürzten mich stets in Menge.

Eine gewisse Scheu, eine gewisse Ängstlichkeit hat mich bisher abgehalten, Berlin einmal beim Lichte zu besehen, von Angesicht zu Angesicht, so recht in der Nähe, Nase gegen Nase. Ich würde mich gar zu komisch in meinem Provinzialrock ausnehmen, in meiner Sonntagshose, in der grünen Krawatte, mit dem ehrlichen, gutmütigen Gesichte, das uns Provinzialisten eigentümlich ist.

Berlin muß eine wunderschöne Stadt sein! Und nun vollends erst nach der Revolution, nach der Umwälzung des Straßenpflasters, wo jeder rauchen darf! Große Errungenschaft!

Ach Gott! Bis auf den heutigen Tag blieb ich in Köln.

[78] Ich habe Berlin noch immer nicht gesehn: Das Bild muß mich daher für die Wirklichkeit entschädigen – um doch wenigstens zu erfahren, wie es in Berlin hergeht, lese ich die »Vossische Zeitung«, d.h. die Annoncen.

Die Annoncen waren bisher immer das einzige, was ich von einer Zeitung verdauen konnte. Die Politik verachte ich; nichts ist langweiliger als so ein leitender Artikel über irgendein konstitutionelles Kamel, über einen republikanischen Elefanten oder über anderweitige Tiger, Esel und Maulwürfe.

Die Politik ist herzlos; die Annoncen voller Gemüt. Lauter Bekenntnisse schöner Seelen. Hier ein Glückwunsch, dort ein Steckbrief, dann eine Fallite, ferner ein Stellgesuch usw. Man tut da tiefe Blicke in das menschliche Leben, und man begreift, wie Gott alles weise geordnet hat und wie die Welt voll ist seiner Güte.

Annoncen sind poetisch!

Wenn ich lese, daß frische Heringe angekommen sind, denke ich da nicht auch an den Heringsfang, an die Gefahren der See, an den Donner der Brandung, an den Flug der Möwe, an den Fliegenden Holländer – den einzigen interessanten Holländer, den es je gegeben hat?

Sehe ich, daß man eine neue Sendung Zitronen ankündigt, fallen mir da nicht sofort die Orangenwälder Italiens ein, der tiefblaue Himmel jenes seligen Landes, Venedig und Neapel, Raffael und Tasso, der Heilige Vater und mein verstorbener Onkel Jakob, dem man einst in der Romagna 14 preußische Friedrichsdor straßenräuberte?

Annoncen sind meine Leidenschaft. Ich schwärme für Annoncen. Die Annoncenliteratur ist die einzige, welche der Nachwelt aufbewahrt zu werden verdient.

[79] Die Annoncen der »Vossischen Zeitung« liebe ich aber über alles. Ganze Mitternächte, wenn andere Leute sich längst in den Wein, in die Liebe oder in die Betten versenkt haben, da brüte ich noch über den Annoncen der »Vossischen Zeitung« wie ein Türke über dem Koran, wie ein verständiger Ochs über einer leeren Krippe, wie ein Kuckuck über fremden Eiern.

Haben Sie je schon einmal die »Vossische Zeitung« gesehen?

Sie ist auf dem elegantesten Löschpapier gedruckt, welches die ältere und die neuere Zeit aufzuweisen hat. Solange die Welt stand und solange der »Hamburgische unpartheyische Correspondent« auf Tabakstütenpapier erschien, solange erscheint auch die »Berlinische« oder die »Vossische Zeitung« geradeso, wie sie augenblicklich vor mir liegt.

»Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Im Verlage Vossischer Erben«, so heißt es am Kopfe des Blattes. Gleich darunter folgt dann unser preußisches Wappen, der Adler mit der Krone, gehalten von zwei wilden Männern, ähnlich denen, die man auch auf Wirtshausschildern sieht, namentlich in Krefeld bei Hornemann, dem ewigen Jüngling, der das bekannte, außerordentlich gute Diner gibt, zu 20 Silbergroschen preußisch, ohne Wein, um 1/2 2 Uhr mittags.

Die »Vossische Zeitung«, dieser klare Born der Intelligenz in der uckermärkischen Sahara: er war mein Trost in der Dürre des Lebens. Ich liebe ihn wie einen alten Schlafrock, wie einen warmen Pantoffel, wie einen treuen Hosenknopf.

Die »Vossische Zeitung« fand ich probat zu allen Zeiten, [80] wenn ich lachen wollte, weinen, schlafen, mich ärgern, mich zerstreuen, mich schämen für das Vaterland oder mich nicht schämen an dem Orte, wo keine Scham ist.

Durch die »Vossische Zeitung« lernte ich auch Berlin kennen. Ich kenne Berlin, trotzdem daß ich nie da war. Ich kenne es wie ein Polizeidiener, wenn er nüchtern, wie ein Eckensteher, wenn er betrunken ist. Sollte je einmal Berlin durch Feuer, Wasser, Schwefel, Sand, Bier untergehen oder als deutsches Andenken von unserm Freunde Nikolaus wie ein Zahnstocher in die Westentasche gesteckt werden, so mögen nur die wohllöblichen Versicherungsanstalten zu mir kommen, und ich will ihnen aufgeben, wie das Verlorene zu ersetzen ist an Menschen, Häusern, Lieutenants, Wagen, Pferden, Pudeln usw.

Aus der »Vossischen Zeitung« lernte ich auch das einzige, was ich von Politik und von dergleichen unwichtigem Zeuge weiß. Mit Schrecken sehe ich nämlich, daß seit der Revolution, von der ich zufällig etwas erzählen hörte, zwei sehr bestimmte Parteien in Deutschland entstanden sind, die sich, wie Anhänger der weißen und der roten englischen Teerose, dereinst gewaltig in die Haare zu fallen drohen.

Die eine dieser Parteien soll sich, nach der »Vossischen«, namentlich in Süddeutschland aus schwarz-rot-goldnen Kappen, Pfeifenköpfen und Uhrbändern entwickelt haben, die einige alte Burschenschaftler in ihrem Herzen und in ihren Rumpelkammern zufällig aufbewahrten.

Die andere Partei, die gewöhnlich den Dativ mit dem Akkusativ verwechselt, hat sich dagegen unsere alten [81] guten Farben: Schwarz und Weiß, in den Stürmen der Zeit bewahrt und läßt diese durch die Lüfte flattern. Lange habe ich nicht begreifen können, was diese Couleuren miteinander zu hadern haben. Erst seit ich den Personen auf die Schliche gekommen bin, welche die beiden Parteien repräsentieren, ist mir alles deutlich geworden.

Zu den Schwarz-Rot-Goldnen gehören alle möglichen und unmöglichen Menschen, von dem ersten Professor bis zum letzten Pedell, von Gervinus in Heidelberg bis zu Franz Fleutchen in Bonn. Die Schwarz-Weißen werden dagegen repräsentiert durch den Dr. W. Bötticher, durch den Wehrreiter im 20. Landwehr-Kavallerie-Regiment, Schlesinger, durch einen westpreußischen Landwehrmann des Kreises Conitz, durch den vormaligen Gymnasiallehrer A. Drahn, durch den Herrn F. von Bülow und durch einen geborenen Berliner.

Wie gesagt, die schwarz-weißen Annoncen stehen in offener Fehde mit den schwarz-rot-goldnen. Die letzteren halten sich noch etwas zurück. Die erstern werden aber mit jedem Tage hitziger, und wie mutige Trompeter sprengen sie über die löschpapierne Fläche der »Vossischen Zeitung«. Da haben wir z.B. unsern Wehrreiter im 20. Landwehr-Kavallerie-Regiment, Schlesinger; das ist so ein Haupt-Annoncenhahn.

»Kameraden!« ruft er der preußischen Landwehr zu. »Werdet ihr auf Befehl des Reichskriegsministers von Peucker am 6. August d.J. dem Erzherzog Johann von Österreich als Reichsverweser Deutschlands huldigen??? Ich nicht! Nach Preußens König huldige ich nur einem, und dieser ist der edle Prinz von Preußen! Ihm bringe ich ein dreimaliges Hurra und rufe wiederholentlich: [82] Er lebe als General en chef der Heere Preußens! Ich bin kein Österreicher! Ich bin ein Preuße, Schwarz und Weiß sind meine Farben.« Kann man sich einen mutigeren Wehrreiter denken als diesen Schlesinger in Charlottenburg?

Man braucht nur die Annonce zu lesen, und der ganze Mann steht vor einem, wie er leibt und lebt. »Kameraden!« ruft Schlesinger aus. Man sieht, wie er mit dem Fuße auf die Erde stampft, wie er den blonden Schnurrbart streicht und wie sich sein rotwangiges, von Sommersprossen übersätes Antlitz in martialische Falten verzieht. »Kameraden!« – Die Anrede hat etwas feierlich Verwegenes; man meint nicht anders, als daß Schlesinger uns mitteilen würde, wie er kleine Kinder fräße, Türklinken, Schuhnägel, Branntweingläser, Ratten und Mäuse. »Kameraden!« sagt Schlesinger. »Werdet ihr dem Erzherzog Johann huldigen?« Man sieht, wie Schlesinger seinen Handschuh auszieht, um ihn sofort zur Fehde hinzuwerfen, falls man seine Frage bejahen werde. Aber er wartet die Antwort gar nicht ab. »Ich nicht!« setzt er hinzu, und die Zähne blitzen durch seinen Schnurrbart. Schlesingers Herz pocht in volleren Schlägen; seine grauen Katzenaugen flammen vor Entrüstung. Schlesinger ist schön, trotz des blonden Schnurrbarts und trotz der Sommersprossen.

»Nach Preußens König huldige ich nur einem, und dieser ist der edle Prinz von Preußen!« Man meint, der Kulminationspunkt der Schlesingerschen Beredsamkeit sei gekommen. Der Wehrreiter Schlesinger macht einen Eindruck, den man fürs ganze Leben im Gedächtnis behält. Aber da kommt noch das Beste. »Ich bin ein Preuße, Schwarz und Weiß sind meine Farben!« – Da haben [83] wir's! Wie Gottes Cherub vor dem Paradies steht der Wehrreiter Schlesinger vor dem Thron. Gut gebrüllt, Schlesinger! Du hast einen Doppelkümmel verdient, echten Brandenburger Doppelkümmel – Schlesinger, ich achte dir!

Nach der Annonce des einzelnen Wehrreiters kommt eine Adresse der westpreußischen Landwehr des Conitzer Kreises. Was wir eben aus einem einzigen Munde vernahmen, es wird uns jetzt massenweis entgegengedonnert.

»Die Frankfurter Bundesversammlung hat zum 6. August eine Huldigung für den deutschen Reichsverweser erlassen. Darauf erklären wir: daß wir demselben nicht huldigen, sondern unserm preußischen König allein treu bleiben werden! Ein braver Soldat kann nur einem Herrn dienen, und wir hoffen mit Zuversicht, daß alle unsere Kameraden diesem Beispiel folgen werden.«

Edle westpreußische Landwehr, man sieht, daß du dankbar für deine genossenen Kommißbrote bist. So etwas tut wohl. Man merkt doch, daß man in Preußen ist. Diese kühlen blonden Conitzer können nur eine Liebe haben. Saint-Just sagte, die Welt sei leer seit den Römern. Die Conitzer Landwehr ruft aus: »Es gibt nichts außer Preußen!« Wie wird sich Schlesinger freuen, wenn er die Adresse dieser Westpreußen liest!

Dem tapfern Wehrreiter und den westpreußischen Landwehrleuten folgt Herr F.v. Bülow. Die Vossischen Erben haben an diesem Manne einen Goldmann. Seine Annoncen sind lang wie die Langeweile; teilweise groß gedruckt. – Die Vossischen Erben werden diesen Mitarbeiter zu schätzen wissen. Der Herr v. Bülow gibt eine [84] geschichtliche Abhandlung, die mit 1810 beginnt und mit 1814 endet. »Wer«, fährt er dann fort, »wer hat der Frankfurter Nationalversammlung die Macht gegeben, den 16 Millionen Einwohnern des preußischen Staates ihre mit Blut erkauften Rechte zu nehmen? Ist denn das ganze preußische Volk befragt worden, ob es den Erzherzog Johann statt seines konstitutionellen Königs zum Oberfeldherrn haben will?«

Der Herr von Bülow hat recht. Die Frankfurter Versammlung nimmt sich Sachen heraus, die haarsträubend sind. Sie kehrt sich weder an Beelzebub noch an Herrn von Bülow – diese Versammlung! Diese zusammengelaufenen Professoren und Advokaten! Ist es nicht eine Schande?

Ein Herr Brm. in Potsdam ist derselben Meinung; er weiß, wie es mit der Frankfurter Versammlung aussieht: »Die Bestimmungen über die Zentralgewalt in Deutschland sind nur ein bloßer Entwurf dreier sonst berühmter Professoren, die hier aber bloß bekundet haben, daß nicht alle hochglänzenden und überkonsequenten Theorien für die Praxis taugen.« Herr Brm. ist ein praktischer Mann; aus ihm kann noch etwas werden – Herr Brm.; wenn er auch gerade kein Abgeordneter zu der Frankfurter Versammlung wird – Herr Brm. Jedenfalls hat er eine Zukunft – Herr Brm. Er wird sich einen Namen machen – Herr Brm. – Einenschönen Namen hat er schon.

Die »Vossische Zeitung« ist reich an Annoncen, reich wie das Meer an Fischen, wie der Himmel an Sternen, wie eine Kaserne an Flöhen.

Die Annonce des Wehrreiters, der Conitzer Landwehr, des Herrn von Bülow und des Herrn Brm. – alles [85] das wird indes von einer Anzeige des Dr. W. Bötticher übertroffen. Wir schwören hierdurch bei allem, was uns nicht heilig ist, daß wir diese Anzeige unverstümmelt abschreiben wollen:


O Land, Land, Land! Höre des Herrn Wort.

(Jerem. 22, 29)


1) »Niemand kann zweien Herren dienen. Entweder er wird einen hassen und den andern lieben, oder wird einem anhangen und den andern verachten.« Matth. 6, 24. Wer das liest, der merke jetzt darauf!

2) »Wer das Schwert nimmt (Gewalt sich anmaßt gegen die Obrigkeit), der soll durchs Schwert umkommen« (Todesstrafe erleiden durch die Obrigkeit. Röm. 13, 2, 4.). Matth. 26, 52. Wer das liest, der merke jetzt darauf! denn so spricht der, dem »alle Gewalt gegeben ist im Himmel und aufErden« (Matth. 28, 18.) und der kein Gesetz, auch nicht das vom Gewissen bezeugte und ins Herz geschriebene Vernunftgesetz (Röm. 2, 15.) je auflöst (Matth. 5, 17.), der Richter der Lebendigen und der Toten.

Dr. W. Bötticher


Herrliche unverstümmelte Anzeige! Ist dieser Dr. Bötticher nicht bibelfest? Wie viele protestantisch-pietistische Kränzchen und Konventikelchen hat der Herr Doktor nicht durchmachen müssen, ehe es ihm gelang, so gewandt mit Bibelzitaten um sich zu werfen! Dieser hamsterfromme Doktor ist nicht weniger gegen die Schwarz-Rot-Goldenen erbost als der tapfere Schlesinger. »Niemand kann zweien Herren dienen«, sagt der Herr Doktor uns, »wer sich Gewalt anmaßt, der soll durchs [86] Schwert umkommen.« Entweder müßt ihr zu dem Schwarz-Weißen oder zu dem Schwarz-Rot-Goldenen treten. Der blasse, teeberauschte Doktor ist unerbittlich. »Land, Land, Land! höre des Herrn Wort.« O ihr Schwarz-Weißen, hört des Herrn Wort, des Dr. Bötticher!

Wenn der Dr. Bötticher vor lauter Bibelsprüchen eigentlich gar nicht zu Worte kommt, so drückt sich der vormalige Gymnasiallehrer A. Drahn um so verständlicher und kürzer aus.

»Warum aus einem Lande einen Fürsten wählen, wo bis jetzt der Stock regierte?« Stockfisch von einem Gymnasiallehrer, hast du nicht selbst dein halbes Leben lang den Stock geführt und deine Jungen geprügelt? Die »Vossische« ist unerschöpflich. Auch in Versen führt sie die schwarz-weiße Begeisterung Berlins mit sich. Da singt ein Mensch namens Julius Spatz:


»Es schallt dem Landesvater
Ein dreifach donnernd Hoch!
Es ist der beste Rater,
Doch ach, ein Volk, es log.
Sein Herz bleibt groß und edel,
Er manches gleich vergißt,
Sonst müßte mancher Schädel
Längst hängen am Gericht.«

Es graust uns. Selig der, welcher vergessen kann! Mit Herrn v.H. in einer andern Annonce rufen wir aus: »Vergessen wir die Vergangenheit, schwarz wie die tief ergreifende Sonnenfinsternis.« Kann man sich etwas Schöneres denken? – »schwarz wie die tief ergreifende [87] Sonnenfinsternis!« Man sieht, daß die Schwarz-Weißen köstliche Kerle zu ihren Verteidigern haben. Tief ergreift uns ihre schwarze Verstandesfinsternis.

Ein außerordentliches Schriftstück ist indes auch noch »Der letzte Wunsch eines 94jährigen preußischen Veteranen«:


»Gnädiger Gott, gewähre die letzte der Bitten
Einem zitternden Greis, der treu im Dienste des Staates
Gekämpft, geblutet für seine geliebten Monarchen! –
Laß ihm noch sehen vor seinem nahenden Ende,
Seinen König und Herrn gebietend, doch auch geliebet
Von seinem Volk, und herrschend im preußischen Lande –
Nicht untertänig sei Er dem fremden Fürstengeschlechte,
Nicht untertänig Sein Volk, das kühn errang sich die Freiheit. –
Laß ihm noch sehen, wie frei der preußische Adler
Hebet sein Haupt dreist zu der Sonne empor,
Ohne die Fänge des Doppeladlers zu fürchten,
Noch sie zu suchen zum Schutz, weder von Ost noch von Süd. –

Potsdam, im Juli 1848.

z P.«


Die Poesie dieses alten Maulwurfs hat etwas Rührendes. Einem 94jährigen Veteranen ist es nicht übelzunehmen, daß er schwarz-weiß bleiben will sein Leben lang und daß er die schwarz-rot-goldne Couleure haßt, die Farbe, die er einst an Pfeifenquästen sah und an revolutionären Pfeifenköpfen. [88] Mit geschwungener Krücke steht dieser 94jährige Veteran vor der Tür seiner Hütte, brummend und polternd, um sich die junge, lasterhafte Welt vom Leibe zu halten, die mit ihren Gelüsten so frech vorüberstürmt und auch gern den alten Mann mit hinein in ihren Strudel reißen möchte. Was bei dem sommersprossigen Wehrreiter der reine Schnapsenthusiasmus, was bei den Landwehrmännern des Conitzer Kreises die bloße Kommißbrotbegeisterung, was bei Herrn von Bülow und Herrn Brm. die göttliche berlinische Affektation, was bei dem Dr. W. Bötticher der blasse, protestantische Teepietismus und was bei den Dichtern Schatz und v.H. die tiefergreifende schwarz-weiße Verstandesverfinsterung zuwege brachte, das kommt in dem zornigen Gebet des 94jährigen Veteranen endlich als etwas Natürliches, wirklich Empfundenes zum Vorschein, und der Spott geht uns aus, die Waffe des Humors versagt uns den Dienst, wir eilen dem würdigen Veteranen entgegen, wir drücken ihm die Hand, und wir bitten ihn, sich ruhig in sein ehrliches Grab zu legen, wo niemand seinen Schlummer stören wird


bis zu der Stund,
Wo die Posaune tönet
Und wo des Himmels goldner Grund
Vom Schritt der Helden dröhnet.

So haben wir denn die »Vossische Zeitung« mit ihren Annoncen und Kriegserklärungen so aufmerksam wie möglich durchstudiert.

Wir sehnten uns nach Berlin – aber auf einmal vergeht uns wieder alle Lust.

Am Ufer des schönsten aller Ströme stehen wir: die Sonne lacht herab auf unsere Hügel, unsere Täler. Wir [89] schwingen unsere Römer, und die kleinen lustigen Gassenbuben singen durch die Straßen der alten, der heiligen Stadt Köln:


»Freiheit und Republik,
Wären wir erst die Preußen quick.«
[90]

Notes
Erstdruck in: Neue Rheinische Zeitung (Köln), Nr. 65, 66 vom 4.8. bzw. 5.8.1848.
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TextGrid Repository (2012). Weerth, Georg. Kriegserklärung der schwarz-weißen gegen die schwarz-rot-goldnen Annoncen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-972C-E