Kapitel I
Die Heuler
Wohl dem, der des Tages Last und Hitze getragen hat und in den Schenken der heiligen Stadt Köln seinen kühlen Schoppen Moselwein trinkt!
So dachte ich oft, wenn ich zu Hut und Hausschlüssel griff und die Straße hinabschritt nach jenen Häusern der Fröhlichkeit, die allen Völkern geöffnet sind, den Christen wie den Juden, den Heiden wie den Türken, den Ägyptern wie den Chinesen, auf daß alle ihre Leiden vergessen, ihre Schulden, ihre bösen Frauen, ihre hungrigen Kinder, ihre langweiligen Vettern, ihre kahlen Glatzen, ihre Hühneraugen, ihre Zukunft wie ihre Vergangenheit.
Der Gott des Weines ist ein freundlicher Gott. Lächelnd und rebengeschmückt sitzt er mit seinen nackten und prallen Schenkeln wie ein Reiter flott auf dem Faß. »Heran! Heran!« – so ruft er und winkt mit gefülltem Römer, und durstige Musikanten nahen und feiste Küster und lange Regierungsräte und krumme Fruchthändler, ja Ritter und Banditen zu des Weingötzendienstes erhabener Feier.
Der Wein ist billig. Vier Groschen der Schoppen. So trinket denn Wein, auf daß es euch wohl gehe.
Ich aber saß gestern abend wie gewöhnlich bei.... auf [53] der.... straße und rings um mich her der Bekannten vertraulicher Kreis.
Zuerst der alte Steuerkontrolleur Ehrlich. Ein Fünfziger. Weiß an Haaren, doch rötlichen Antlitzes. Schon seit zwanzig Jahren kenn ich den Ehrlich. Er hat noch nie gelacht; er spricht wenig und ist dennoch unterhaltend. Jeden Abend trinkt er drei Schoppen und zwei halbe. Er ist ein wohlbehäbiger Mann; nicht zu seinem Nachteil kontrollierte er sein Leben lang. Der böse Leumund sagt, daß er nie ein Weib berührt; er ist Junggeselle und hält sich Kanarienvögel und Goldfische; man sagt, er sei sehr geizig, er nähe sich selbst die Hosenknöpfe an und stopfe sich selbst die Strümpfe. Weiß nicht, ob es wahr ist. Ehrlich ist ein höchst achtungswerter Mann; er versteht sich aufs Wetter wie ein Laubfrosch; er weiß immer, wieviel Grad Wärme oder Kälte wir haben. Er raucht.
Zweitens der Rentner Dürr. Er ist lang und hager, wie aus seinem Namen hervorgeht; er gleicht niemandem, denn er ist einzig in seiner Art. Er trägt schwarze kurzgeschorene Haare; Blässe auf den Wangen, keinen Bart und eine Fastnachtsnase. Immer ist er in sehr weißer Wäsche, namentlich, wie alle andern Menschen, im Anfang der Woche. Im schwarzen Frack sieht er ungefähr wie ein Gespenst aus, das auf den Ball gehen will. Ich habe ihn nie etwas anderes essen sehen als Heringssalat. Er machte Seereisen und legte in der Bank eine Sammlung seiner Münzen an; das letztere war nicht zu seinem Schaden. Rentner Dürr weiß viel zu erzählen. Er ist in der Geographie bewandert wie eine Posttaube; er kennt die ganze Erde und sehnt sich daher bisweilen nach dem Himmel.
[54] Seine Hauptbeschäftigung besteht darin, daß er sich entsetzlich langweilt. Er schnupft.
Drittens der Maler Pinsel. Dieser gute Freund ging immer mit dem festen Vorsatze um, ein großer Mann zu werden, und wurde deshalb keiner. Ursprünglich Landschafter, machte er dreißig Jahre Wolkenstudien. Er vergaß darüber die Erde und sich selbst und malt nun Porträts, die sich alle gleichen. Selber kein Genie, begnügt er sich damit, alle Genies gekannt zu haben. Er ist ein wunderlicher Kauz. Vierzehn Tage lang stierte er einst in ein Holzfeuer, um einen Kopf rotflammender Haare zu malen; auch goß er schon Rowlands Macassar-Öl in die Farben und meinte, die Locken seiner Porträts würden besser danach wachsen – half aber alles nichts. Seinen eignen Namen malt er immer am schönsten. In vertraulicher Stunde sagte er mir neulich, die Menschen ennuyierten ihn allmählich; er werde sich auf die Tiere legen; es sei dies der beste Übergang vom Menschen aus, der richtigste Fortschritt. Von Löwen und Tigern wird er sich zunächst auf das Pferd werfen; vom Pferd kommt er ohne Zweifel auf den Esel – schließlich auf den Hund. Hiermit wird er wahrscheinlich seine Laufbahn beschließen.
Maler Pinsel ist ein Vierziger. Er ist ein großer schöner Mann mit ungeheuerm Barte. Seine Figur und sein Barthaar haben es übernommen, der Welt für den ganzen Kerl Respekt abzutrotzen. Er raucht und schnupft.
Der vierte in unserm Bunde ist der Professor Fuchs. Wie alle Schulmeister hat er dünne Beine und noch jämmerlichere Arme. Er sitzt in den Schultern; seine Haare hängen ihm pastoralisch glatt an den Schläfen hinunter. Auf seinem Nasenbein reitet eine große silberne [55] Brille. Er macht lateinische Verse, die niemand lesen kann, und deutsche, die niemand lesen will. Er zitiert alle Augenblick die Griechen und die Römer. Niemand sieht einem Griechen oder einem Römer weniger ähnlich als der Herr Professor Fuchs.
Als fünften Freund haben wir den Herrn Salomon Geyer. Er ist ebenso breit wie lang. Er spekulierte in Quadratfüßen, ohne dabei auf den Strumpf zu kommen. Er sieht deswegen seit einem halben Jahre so böse aus wie der Domkranen bei Regenwetter. Mit aller Welt ist er zerfallen. Er fürchtet sich vor seiner Frau. Trinkt sehr viel.
Der sechste Bekannte ist der Herr von der Windmühle. Ohne Haar, ohne Zahn, ohne Fleisch, ohne Blut, ohne Stimme, ohne Verstand, ohne Geschäft, ohne Liebhaberei, ohne Willen, ohne Leidenschaft – ein Waschlappen von einem Mann – reich wie Krösus.
Der siebte: Herr Puff, ist ein Mann von einnehmendem Äußern. Rund wie die Welt und stark wie ein Elefant. In seiner Jugend fraß er zum Scherz oft ein Branntweinglas, in seinem Alter zog er Kapaunen vor und Enten in Trüffeln. Er wuchs mit Eichen und Buchen auf und wurde ein Holzhändler. Jetzt lebt er vom Fett seiner Jugend. Er kennt nur reiche und dicke Leute. Alle übrigen Menschen sind unter seiner Würde. »Ich heiße Puff!« pflegt er zu sagen, wenn man nach seinem Namen fragt. Die Fenster klirren vom Ton seiner Stimme.
Ein achter Bekannter ist noch Herr Kreuz – sieht aus wie eine chinesische Figur, die man auf die Kommode stellt. Er lebte immer, aber niemand weiß wovon. Vor allen Dingen zeichnet er sich durch seinen Appetit aus. Er ißt zwei Teller Suppe, sieben Stück Rindfleisch, neun [56] Gurken, einen halben Pudding, viel Braten und trinkt den Wein mit Wasser. Glücklich der Wirt, der ihn zu seinem Gast hat!
Der Advokat Verdammlich ist der neunte Mann in unsrer Mitte. Er ist der Hort aller Witwen und Waisen. Er liebt Prozesse und Rheinwein und lebt im Andenken vieler Menschen. Er spricht das Gegenteil von dem, was er denkt, und denkt das Gegenteil von dem, was er spricht. Er kennt alle Menschen, und er kennt sich selbst. Sein Vorteil und der Vorteil andrer Menschen stehen in umgekehrtem Verhältnis. Das Gesetz gibt ihm zu essen, und die Gerechtigkeit gibt ihm zu trinken. Der Advokat Verdammlich ist ein Ehrenmann. Vor allen Dingen ist er ein schwacher und sterblicher Mensch, und der Herr wird Mitleid mit ihm haben am Jüngsten Tage – –.
Doch wozu diese ganze Schilderung? Weshalb suche ich sie alle zu zeichnen, meine treuen Bekannten, meine alten Freunde, die ich jeden Tag sehe, den Steuerkontrolleur Ehrlich, den Rentner Dürr, den Maler Pinsel, den Professor Fuchs, den Quadratfüßler Geyer, den Herrn von der Windmühle, den Holzhändler Puff, den Feinschmecker Kreuz, den Advokaten Verdammlich?
Sitze ich nicht täglich mit ihnen in den Schenken unsrer guten Stadt Köln, den kühlen Moselwein zu trinken, auf daß wir alle unsere Leiden vergessen, unsre Schulden, unsre bösen Frauen, unsre hungrigen Kinder, unsre langweiligen Vettern, unsre kahlen Glatzen, unsre Hühneraugen, unsre Zukunft und unsre Vergangenheit? Gewiß! Oh, verbunden sind wir in Liebe und Freundschaft, miteinander zu trinken, miteinander zu reden, uns zu wehren gegen die Laster des Jahrhunderts, gegen Revolution und Anarchie, gegen Kommunisten und [57] Republikaner. – – Ja, eine Phalanx sind wir, groß und gewaltig: der heiligen Stadt Köln berühmteste Heuler!