10. Das schlaffende Glücke

1.
Mein Glücke schläfft nun lange Zeit
Und will noch nicht erwachen,
Und meine Furchtsamkeit
Kan sich gar wenig Hoffnung machen:
Denn wenn es helffen soll,
So schnarcht es mir die Ohren voll.
2.
Der gantze Leib ist außgestreckt,
Der Mund ist zugeschlossen,
Die Augen sind versteckt,
Die Krafft der Sinnen ist zerflossen;
Nur in der blossen Brust
Treibt noch der Athem seine Lust.
3.
Ich stoß, und brauche was ich kan
Die Kräffte meines Lebens,
Ich schrey die Ohren an,
Doch Müh und Arbeit ist vergebens:
Denn mein Verhängniß spricht,
Dein Glücke schläfft und hört dich nicht.
4.
Wolan mein Glücke schlaff nur fort,
Ich werde zwar indessen
Noch manchen lieben Ort
Vnd manche Lustigkeit vergessen,
Ich werde noch der Pein
Der Ungewißheit dienstbar seyn.
5.
Doch wer zu lange schlaffen muß
Der kan auch lange wachen,
[22]
Vnd kan den Vberfluß
Der späthen Nacht zum Tage machen,
Wenn er die Lager-Statt
Nun lang genug gedrücket hat.
6.
Darum mein Glücke schlaff nur auß,
Vnd bringe mir den Segen
Hernachmals in das Haus,
Itzt will ich dich nicht mehr bewegen,
Die Noth kan nicht bestehn,
Sie muß doch auch zu Bette gehn.
7.
Wo sie mich in der Jugend läst
Bey der Gewonheit bleiben,
So werd ich wol den Rest
Des Alters mehr beglückt vertreiben,
Inzwischen wird die Schuld
Des Glückes leichter durch Gedult.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weise, Christian. Gedichte. Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken. Überflüssiger Gedancken erstes Dutzent. 10. Das schlaffende Glücke. 10. Das schlaffende Glücke. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9869-D