1. An seine wertheste Dulcimene, als er dieselbe vor seinem Abschiede küssen dürffte
1.
Dulcimene soll ich küssen,
Oder bin ich viel zu schlecht
Reiner Lippen Art zu wissen?
Gib mir doch vor dißmahl recht:
Ein subtiler Kuß, mein Liecht,
Nimmt dir deine Farbe nicht.
2.
Rosen bleiben dennoch Rosen,
Ob der Biene gleich beliebt
Ihren Blättern Liebzukosen:
Drum sey du auch unbetrübt,
Denn du solst mein Rosen-Schein,
Ich die fromme Biene seyn.
3.
Dulcimene bist du böse,
Daß ich endlich meinen Sinn
Von der blöden Furcht erlöse,
Und ein bißgen kühner bin?
Ach nimm doch den freyen Lauff
Meiner Lust nicht übel auff.
4.
Laß mich nur, wer weiß wie lange
Du und ich einander sehn.
Meinem Hertzen ist schon bange
Denn es kan gar bald geschehn,
Daß mein ungewisser Fuß
Frembder Leitung folgen muß.
5.
Itzt bin ich noch bey den Linden,
Doch es ist des Glückes-Spiel,
Welches mich von dir entbinden
Nicht mit Macht entreissen wil,
Und so schick ich mit Bedacht
Mich zur letzten guten Nacht.
6.
Was ich unterdessen lebe
Leb ich dir und meiner Lust,
[74]Biß ich mich darein ergebe
Daß du mich gesegnen must,
Und wer weiß ob morgen nicht
Mir mein Abschieds Urtheil spriecht.
7.
Nun dieweil mir stäts beysammen
In ergebner Treu gelebt,
Und ingleichen Freundschaffts-Flammen
Nach Ergetzlichkeit gestrebt,
So gedencke daß ein Kuß
Unsern Spaß versieglen muß.
8.
Halt mein Liebgen halte stille,
Dieses ist mein erstes mal
Daß ich meinen Wunsch erfülle,
Und vielleicht die letzte Zahl,
Von der angenehmen Last
Die du mir bereitet hast.
9.
Bleib mir nur dabey gewogen,
Und gleich wie der Freundschaffts-Bund
Dich noch niemals hat betrogen,
Also gläube daß mein Mund,
Welcher dich so furchtsam küst,
Blöde, doch beständig ist.
10.
Wilst du meiner bald vergessen
So vergiß mich immerhin,
Denn weil ich am Leib entsessen
An der Seele bey dir bin,
Denck ich doppelt, halb vor mich,
Und, mein Leben, halb vor dich.