5. Der betrogene Liebhaber

1.
Kommt ihr Leute kommt und schauet
Mein betrübt Exempel an,
Seht wie einer fallen kan
Welcher auff die Liebe bauet,
Vnd sein Leben auff das Spiel
Eitler Wollust gründen wil.
2.
Wär ich vor so klug gewesen
Als ich itzo worden bin,
Hätte mein betrogner Sinn
Wol was bessers außerlesen,
Aber ach ich armes Kind
War an beyden Augen blind!
3.
Die beliebten Purpur-Wangen
Nahmen mir das Leben ein,
Und erregten durch den Schein
Alles Hoffen und Verlangen,
Biß ich alles was ich fand
Ihr und ihrer Gunst verband.
4.
Was ich dichte, was ich machte,
War auff sie allein gericht,
Sie, mein Engel, war mein Liecht,
Und wann ich an sie gedachte,
[46]
Lieff das Blut in einem nu
Dem verliebten Hertzen zu.
5.
Wann ich gleich in einem Tag
Kaum ein halbes Blickgen sah,
Gieng mir doch der Strahl so nah,
Daß ich ausser aller Klage,
Gleichsam als zu grossem Danck
Manch erfreutes Lust-Lied sang.
6.
Aber nun bin ich verdorben,
Seit mir die Gelegenheit
Zu der gleichen Freundlichkeit
Unverhofft ist abgestorben,
Und mein Hertze keine Statt
Mehr in ihrem Hertzen hat.
7.
Alle Lust ist mir zuwider,
Was ich sehn und hören muß,
Bringt mir lauter Uberdruß,
Und die allerschönsten Lieder
Von der Liebe kommen mir
Abgeschmackt und alber für.
8.
Wann ich ja bißweilen schertze,
Und mein altes Freuden-Spiel
Wiederum verneuen will,
Ach so rufft mein schwaches Hertze
Mitten in der süssen Ruh
Meinem Schmertzen wieder zu.
9.
Zwar ich sehe schon von weiten
Daß die Zeit mich trösten kan,
Doch wiewohl ist der daran,
Welcher solchen Eitelkeiten
Seine Seele nicht ergiebt,
Oder doch gelücklich liebt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weise, Christian. Gedichte. Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken. Überflüssiger Gedancken drittes Dutzent. 5. Der betrogene Liebhaber. 5. Der betrogene Liebhaber. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-990F-2