Maria Luise Weissmann
Robinson

[25] Die Fahrt

Ihn trug das Schiff. Und seine Lippen sangen
Hin über Weite, Wasser und den Wind:
O Ferne! Flucht! Entgleitendes Verlangen!
Augen, o Augen, immer noch zu blind,
O Atem, niemals tief genug getrunken,
Nie ganz geborstne Brust, entflammtes Herz,
Nie doch verglüht in Asche hingesunken,
O Stimme, hart, nie ganz geschmolznes Erz:
Euch trag ich hin zu neuen Paradiesen,
O Heimat, fremde und besonnt –
Er dachte noch, als ihn die Wellen stießen
Von Fels zu Fels, er dachte noch: der Mond
Hing nächtens da, wie eine Frau zu greifen.
Dann schlug er hin. Die See ließ von ihm ab.
Er lag ganz still, ein schmaler weißer Streifen
In Tang und Sand.
Er lag fast wie im Grab.
[25]

Robinson findet sich am Strand der Insel

Und dies war alles, was er fand, erwacht:
Es lag ein Leib, voll Schmerz, an einem Strand.
Hin floß ein Meer in hyazinthne Nacht,
Aufbrach in Blau ein unergründlich Land.
Der Wind lief schnell, die spitzen Möwen stießen
Auf Beute rings, und heisre Affen schrien.
Die roten riesenhaften Falter ließen
Klirrende Flügel streifen über ihn,
[25]
Er lag, ein Leib voll Schmerz, gehüllt in Feuer,
Er hob die Hand in Liebe über sich
– Getös der Welt ringsum scholl ungeheuer –
Er sagte streng, begrenzend, wissend:
ICH.

Robinson siedelt sich am Rand der Insel an

Und mit dem Wort wars, daß er dann begann
Die lange Zwiesprach mit sich selbst. Denn, sieh,
Er war allein. Er war im Ozean
Ein kleines Eiland. Und es kam ihm nie
Von draußen Antwort. Keine Flucht gelang.
Doch blieb ihm Sehnsucht stets. Er mochte tauschen
Den kargen Strand nicht um den Traubenhang
Der reichen Gründe, denn ihm war das Rauschen
Des Meeres Hoffnung. So wuchs er am Rand
Von Erde, Wasser, von sich selbst. Es fingen
In ihm Gespräche sich. Er war wie Wand,
Dünn ausgespannt, durch die die Stimmen gingen.

Robinson zimmert einen Stuhl

Ich lehre schwer die ungeübten Hände,
Die von nichts wissen. Und mein Mund ward stumm,
Als ob Erinnerung ihm langsam schwände.
Ich hab ein Ding, behindert, schief und krumm,
Gebaut und muß an ihm nun meine Zunge lehren,
Die »Stuhl« sagt. Mit dem kindlichen, erstaunten Klang.
[26]
Und meine glückbetäubten Hände ehren
Sich in dem ersten Werk. Ein Tun gelang
Von Grund: ich sitze. (Und das ist fast, wie
Dies einmal war, sehr früh: ich bog die Knie.)

Robinson sucht Gott

Ists darum, daß du schweigst, Gott, weil du haust
In dem Verstummenden? Bist du der leere
Schallose Raum, in dem es schweigt, und baust
Dich rund um uns? Bist, den ich kniend ehre,
Der Angespiene Eines, und es gleichen
Gebet und Fluch dir Ohrenlosem längst
Sich aus, eh sie ertönten? Und es streichen
Sich Schmerz und Freude, daß nichts bleibt? Du hängst
Ein großer Ausgleich, bist wie das Bemessen
Der Wage, die im Gleichgewicht besteht?
Alles geht auf? Und daß mir hier, vergessen
Fast von mir selbst, die Einsamkeit vergeht
Und sich erneut, unendlich, trifft dich nicht?!
Du weißt sie drüben gehn in bunten Scharen,
Sie staunen vor den rasch verschäumten Jahren,
Und warfst mich hin: ihr einiges Gewicht.

Robinson tanzt

Heut aber grüß ich dich, o Gott, im Brand
Des frühen Morgens, da ich mich befreit
Aufschwang im Tanz wie eine Welt, verwandt
Dir Gleichgewicht; da, ein vermorschtes Kleid,
[27]
Hinsanken Trauer, Lust. Nichts war, das blieb
Aus dem gebundnen Sein; wie fiel Gewicht
Von Arm und Fuß: ein leerer Raum, so trieb
Ich hin im Raum, ins Leere, es durchbricht
Mich Luft, mich Licht, mich ungeheurer Glanz,
In den ich barst, Gott; bin ich, bin ich nicht?!
Ich tanze dir den grenzenlosen Tanz.

Robinson füttert sein Lamm

Hier sind nicht Städte mehr, die rufen: bau!
Nicht Wein auch, der betörte: komm und schlürfe!
Kein Trug der Sehnsucht um die fremde Frau
Und keiner Tat, daß sie mein Tun bedürfe.
Hier fand sich wieder weit versprengtes Sein
Kristallen, inselhaft, ein klar Gefüge
Aus mir und mir, ersehnt. Und doch zu rein,
Daß es der Ungeweihte reinlich trüge:
Er fing ein Lamm im Weidenkäfig ein
Und pflegt es, zärtliche, geliebte Lüge.

Robinson ist müde

Nun will ich fallen. Fallen wie ein Stein,
Den einer warf. Wollüstig sinken ein
Ins tiefe Gras. Wie in die Nacht ein Tag
Ins weite Un-Sein gleiten. Ach, ich trag
In mir Verlöschens-Sehnsucht: Wachsein war
Zehrend wie Krankheit, und es blühte schon
[28]
Zu weißen Wissens Aussatz mir im Haar.
Schlaf: spül mich dunkel-rein! Laß Robinson
Liegen in Nacht, wie Hügel ruhn, Geberde
Nur tiefern Schattens: dunkles Ding der Erde.

Ein Leichnam ist ans Land gespült

Ich grüßte ihn vertraut. Und seinen Namen
»Tod« sprach ich brüderlich. Da hob er sich,
Da fing er mich am tödlicheren Hamen,
Da warf er Diesen hin, da bog er mich
An das erstarrte Herz, den Schlag zu suchen,
Schloß Mund auf Mund, ob er nicht Atem fand,
Da hieß er mich mir rasender zu fluchen...
Ich grub ihn ein, der mir der Freund gewesen,
Das liebste Du ward Feind: der Teure trug
Sich Jenem an, von dem ich fast genesen;
Er stand beim Tod.
O, Stärke, die mich schlug!

Robinson zeichnet in den Sand

Du Palme, leicht, daß dich die Winde wiegen
Zärtlich in ihrem Atem! Strahlen biegen
Des Lichtes deinen Stamm zur süßen Melodie
Geschweifter Harfe. Seliger ward nie
Noch eines Bogens Silber ausgespannt
Am Blau des Himmels. Brennenderen Brand
Warf Schönheit nie in die versengte Brust.
[29]
Du Lichteste: Nicht schmerzlichere Lust
Gab je die Frau. O, sieh die Hand, gebannt
Von dir, in dich, die gleitend über Sand
Das schmale Zeichen sucht, das dieser Welle
Tödlicher Anmut, sterbend, sie geselle.

Robinson findet Spuren der Kannibalen

O Insel: faß ich dich zum ersten Mal?!
Eiland mit Fluß, mit Bergen, einem Tal
Und Wasser ringsum, Wasser ringsumher.
Mein Schritt versinkt, mein armer Schritt wird schwer,
Mein Schritt bricht noch durch Grund in lauter Wasser ein.
Wie pries ich Land: die Steppe, Wüstenein!
Ich lief und liefe. Daß die Horizonte
Sich türmten hinter mir. Ich lief durch Monde,
Durch Jahre lief ich so... Hier steh ich, Stein.
Wem eine Insel wurde, da zu sein,
Der wird nicht weit vor dem Entsetzen weichen,
Es wird zuletzt ihn irgendwo erreichen
Im schmalen Rund: Er muß benachbart stehn
Jedweder Tat. Ihr nahes Antlitz sehn.

Robinson hat einen Traum

Was war der Traum? Ich kann mich nicht besinnen
Und seh ihn rings: Er blüht von jedem Strauch,
Die milde Kokosnuß verschließt ihn innen
Im Duft der Milch, ihn weiß die Schlange auch,
Die mich vorhin mit grünem Auge traf.
[30]
Wie seltsam ist die alte Hütte neu!
Ich fürchte mich vor dir, o fremder Schlaf,
Du Gast von weither, mächtig und nicht treu:
Du hast die Tat vollbracht, die ich nicht weiß,
Als wärst du ich. Nun um den Schritt zieht Scheu
Von Wissendem ringsum mir den verfehmten Kreis.

Robinson und der Papagei

Als ich dich traf mit dem gefiederten Pfeil,
Du schönes Farbenspiel von Blau und Grün,
Langsam genasest du. Dein Fuß war heil;
Doch mochtest du nicht ganz mir mehr entfliehn:
Oft hört ich flattern plötzlich dich vom Ast –
Ich wanderte – da, dein vertrauter Ton
Rief, spottend, mich zurück, der ich mir fast
Entgangen endlich, rief:
Robinson! Robinson...

Die Dämonen fassen Robinson

Warum hab ich dies Eiland so erfahren,
Daß nichts mir fremd blieb? Ach, ein Baumgesicht,
Verhängt von feuchten, windzerfetzten Haaren,
Ich traf es einmal – fault es nun mir nicht
Zwischen den Schultern? Eine Kröte war,
Fett und gefleckt, die Schlange schlürfte sie.
Auch lag ein Glied, schamlos und offenbar,
An einem Sumpf. Ein Stein vielleicht, doch wie
Aus mir gerissen. Und ein Fluß, gespalten
[31]
Wie durch mein Herz so schmerzlich. Ach, es steht
Sie, die ich sah, Verwesung in mir auf: verhalten
Glomm Gelb in Violettem. Es verweht
Der Süd mein Hirn: Nun bin ich mir entglitten
Und weiß mein Ende nicht mehr. Was geschieht,
Geschieht in mir. Ist ich. Ich bin inmitten.

Robinson ruht unter seinem Laubgezelt

Aber mit einem Male erstrahlen
Tage der Nähe wie selige Segel,
Die auf dem Blau des Wassers sich malen.
Aber der Glückliche kennt nur Beharren.
Ach, er vergaß ganz die Sehnsucht der Tage
Gestern und vorher, die Jahre gehegte.
Ach, ihm erstarb ganz die brennende Frage
Wann? Und er sieht die Errettung verweilen,
Aber vom Glück?! – Und träumend entgleiten
Sieht er die Tage, die Segel enteilen
Silbern hinaus in verfließende Weiten.

Das Erdbeben

Erkenne nun: du konntest ärmer sein
Stets noch um vieles. Nicht das Moos zur Nacht,
Der Quelle Trunk, ein Schatten, die allein
Verlierbar noch; o hier ward mehr vollbracht
An Aufzugebendem: daß, jäh beraubt
Ums Ziel, Gedanken stehn, die sonst dich brachten
Schnell ins Gerettete: bedrohte dich
[32]
Gewässer, riefst du »Land«; und als entfachten
Nach dir sich Flammen, o wie stürzte sich
Ins Kühle deine Sehnsucht. Was geschah
An schmerzlich Spürbarem, vertrieb
Zum Gegensatz dich hoffend: Heil war nah.
Wohin nun denkst du rettend? Was verblieb?
Nicht Erde, die sich öffnet; Meer, das steigt,
Tödliches Wasser; Himmel nicht, in Brand;
Tal nicht, aufberstend; Berg nicht, der sich neigt:
Kein Ausweg mehr ins Andre:
O halt stand!

Robinson findet Freitag

Er blieb, da er mich sah, erschrocken stehn,
Ich stand, der ihn erblickte, Stein, verblieben
In der Gebärde: himmlischem Vergehn.
O Menschen-Wohlgestalt! O Glück, zu lieben
Im Blick Verwandtes: Auge, Lippe, Knie,
Ein Ohr wie meines, Füße, fünfgespalten,
Und Hände, ganz vertraute Form, wie die
Sich breitend jetzt, der Schritt, nun aufzuhalten
Länger nicht mehr und dort erwidert, scheu...
Antwort jetzt meinem Ruf. O süß Getön
Von Stimme! Schuf mir zum Gespielen neu
Spiegelnd mich Einsamkeit?
Bin ich so schön?!

[33] Freitag findet seinen Vater

Doch war es frühe, daß dies Ich entglitt,
Das Spiegelbild sich wandelte zum Du:
Da war ein alter Mann, und Freitag litt
Angst und ertrug Gefahr und fand nicht Ruh
Um diesen Greis.
Mir war er fremd. Ich ließ
Ihm den Geliebten und brach auf zu jagen,
Ein böser Geist; Ich tötete. Ich stieß
Die Lämmer von der Mutter. Einmal lag
Mir Freitag jäh im Wurf, rief: »Töte mich,
O Herr, du zürnst!«
Mich überfiel die Scham.
Ich rief ihn an. Er blieb und weihte sich
Dem Tod in Anmut. Als ich näher kam,
Lächelte er nach meinem Kuß. Ich hob
Ihn sühnend auf, zum reineren Geschick
Des Bruders. Er nahms hin. Doch es verwob
Seither sich Trauer seinem fremdern Blick.

Robinson schreitet den Zaun eines Geheges ab

Weiß einer sonst, wohin die Zeit ihm schwand?
Fand er wie ich sie je versammelt wieder?
Dies ist der Zaun um ein betreutes Land.
Wie eine Schar von Vögeln ließ sich nieder
Mein Leben hier: ein Tag auf jedem Pfahl,
Und sie sind aufgereiht zu langen Jahren...
[34]
O seltsame Verwandlung! Aus der Qual
Sinnloser Fron muß ich zuletzt erfahren
Ein Glück. Verständlicher um wenig zwar
Als jene Last. Jedoch ein Glück. Als zeugte
Einst einem Fragenden der Zaun: Er war.

Robinson nimmt Abschied von der Insel

Nun lehrst du mich das Letzte: lehrst zu gehn -
O schwerer Abschied! – kleine Insel, Land,
Das mir erwuchs: ich küsse deinen Strand.
In dich gebettet, in dir zu bestehn
Wie sehnt ich mich! Wir waren eins geworden
In langer Liebe: Meine Seele strich
Rauschend durch deine Wälder, stürzte sich
Brausend in deine Flüsse, sang in Worten
Tief aus dir atmend auf. O Reich, verliehen
Mir, ins Verwandte tief verwandt zu reichen:
O Leib aus Erde, Wasser, Salz, Gestein!
Und nun Verbleichen, abendliches Weichen
In das Gewesene – o daß uns kein
Verweilen ward! Daß Ewigkeit uns nur,
Verwandelten, ein schmales Teil mag sein;
Dem ewig Gehenden ewige Spur.

[35] Robinson sucht Gott

(Erste Fassung)


Bist Du denn überall der Erste? Warst
An jedem Ort, den je ein Mensch betritt,
Vorher? Denn sieh, daß Du Dich offenbarst,
Geh ich in Hoffnung. Jahre. Schritt um Schritt.
Wer bist denn Du? Der Tag und Nächte schweigt,
Wenn man ihn ruft? Der Mächtige, dem Wind,
Wasser und Land sich in Gehorsam neigt
Und dem zwei Worte zuviel Mühsal sind,
Den Armen zu erretten, der Dich sucht?
Gib Antwort, Gott! Du schweigst. Oder ich ward
Zu hören Dich in Schweigen neu verflucht?
Bist Du, o Gott, so grenzenloser Art?!

(Robinson spricht zu Gott)

Du bist, o Gott, so grenzenloser Art:
Mir, der Dich sucht, gesellt sich Irgendeiner,
Der spricht mit Spott von Deinem weißen Bart.
Und hebt mein Flehen auf: wir sind wie Keiner.
Und daß ich hier bin, einsam und gebannt
Auf einer Insel: dafür sind sie viel(e)
In großen Städten. Und das harte Land
Das ich bebaue, ist dem Pflug wie Spiel.
Doch wenn ich lache, weint dann einer wo,
Und es bleibt still um Dich. Wir sind gewogen,
Du bist der Ausgleich. Traurig oder froh,
Verworrne Melodie kam fern gezogen:
Und starb schon hin. Und war schon Harmonie.

Notes
Entstanden 1923-1924. Erstdruck: Pasing bei München (Heinrich F.S. Bachmair) 1924. Erstdruck von »Robinson sucht Gott (erste Fassung)« und »Robinson spricht zu Gott« in: Gesammelte Dichtungen. Pasing bei München (Heinrich F.S. Bachmair) 1932.
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TextGrid Repository (2012). Weissmann, Maria Luise. Robinson. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9BA5-B