23. Eytelkeit der weltlichen Lüst' und Ehre

Dass eine Fürstin mich umfing mit heissen Küssen,
Und mich ein König Freund, und Grafen gnädig hiessen,
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Das träumt' ich: Mein Gemüht war durch die Lust zerstört,
Ich schmeckte, was ich fühlt' und fühlte was ich hört'.
Als aber ich erwacht', und nach den sanfften Zeichen
Der ungewohnten Küss' auff meinen Lippen sucht',
Auch den entwichnen Schall der Titel in der Flucht
Durch mein verwehnt Gehör gedachte zu erreichen,
Da war so wenig hier zu hören und zu sehn,
Als wenn, was ich geträumt, wär in der That geschehn. 1

Fußnoten

1 Als wenn, was ich geträumt, wär in der That geschehn. Dass diss Leben nichts anders als ein Traum sey, ist von tausenden zuvor gesaget worden. DieNichtigkeit aber eines Traums, durch verstrichene wirckliche Begebenheiten des Lebens vorzustellen, und so zu reden die Person dem Bilde, wie sonst das Bild der Person, gleich zu machen, dieses ist, wo ich mich nicht betrüge, das was Cicero Sententiam tam novam quam veram nennet. De Orat. l. 2. Bouhours, der allen Witz allein gefressen zu haben sich eingebildet, hat in seinem Buch genannt: La maniere de bien penser dans les ouvrages de l'esprit die längste Unterredung unter vieren, von dergleichen neuen Gedancken geschrieben; die Sache aber also abgehandelt, dass er alle Einfälle, die, ich wil nicht sagen,Sinnreich, sondern wie er selbst gestehet, nur nicht abgenützt sind, vor Neue; und keinen eintzigen, den man also in der That nennen könne, angeführet hat. Der Erste in der Reihe, und woraus man folgends alle die andern urtheilen kan, ist dieser aus dem Horatius:

Pallida mors æquo pulsat pede

Pauperum tabernas, Regumque turres

Carm. lib. I Od. 4.

Welche Worte er also übersetzet: La mort renverse egalement les Palais des Rois, et les cabanes des pauvres. So dass man hieraus beyläuffig sehen kan, was dieser mächtige Bel esprit vor ein trefflicher Ubersetzer sey. Sintemahl er diese Worte nicht alleinnicht recht übersetzet, sondern, was noch mehr ist, einen unrichtigen Verstand aus denselben gemacht hat. Denn wenn Horatius saget, dass der Todt an Königliche Palläste so wol, als an arme Bauer-Hütten klopffe, so hat man wieder den Verstand dieser Worte nichts zu sagen; Wenn aber Bouhours spricht, dass der Tod die Königl. Palläste so wol, als arme Bauer-Hütten umreisse, so hat man Ursach zu fragen, warum er thörichter Weise das dem Tod zulege, was der Zeit allein zugeschrieben wird. Denn von dieser kan man allein sagen, dass sie alle Gebäude der Welt ohne Unterscheid zu Boden reisse.

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TextGrid Repository (2012). Wernicke, Christian. Gedichte. Überschrifften in zehn Büchern. Der Uberschriffte vierdtes Buch. 23. Eytelkeit der weltlichen Lüst' und Ehre. 23. Eytelkeit der weltlichen Lüst' und Ehre. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A126-7