Ein Sang der Freuden
O, die Freude des muskelkräftigen Fechters in der Arena; hochaufgerichtet steht er in tadelloser Verfassung, kraftbewußt, dürstend nach dem Gegner!
O, die Freude des mächtigen ursprünglichen Mitfühlens, das nur die menschliche Seele zu erzeugen und auszugießen vermag in steten, unaufhörlichen Fluten ...
[144] O, an Meeresbuchten, Lagunen, Schluchten oder am Meeresstrand aufgewachsen zu sein,
Dort zu bleiben und das ganze Leben beschäftigt zu sein:
Der feuchte Salzgeruch, das Ufer, der Tang, der bei Ebbe bloßgelegt wird,
Die Arbeit der Fischer, der Aalfischer und Muschelfischer –
Ich komme mit Muschelharke und Spaten, ich komme mit meinem Aalstecher.
Ist schon Ebbezeit? Ich gehe mit den andern Muschelgräbern auf die Sandbänke,
Ich lache und arbeite mit ihnen und bin lustig dabei wie ein übermütiger Bursche.
Im Winter nehme ich meinen Aalkorb und Speer und gehe hinaus aufs Eis,
Ich habe eine kleine Axt, um Löcher ins Eis zu hauen;
Dann sieht man mich warm angezogen, fröhlich hinauswandern, oder nachmittags zurückkommen,
Eine Bande von derben Jungen begleitet mich,
Meine Brut erwachsener oder halbwüchsiger Jungen, die bei keinem so gern sein mögen wie bei mir,
Am Tage mit mir arbeiten und nachts bei mir schlafen.
Ein andermal bei warmem Wetter draußen im Boot, um die Hummerkörbe aufzuholen, wo sie mit schweren Steinen versenkt sind (ich kenne die Bojen),
O, die Frische des Morgens des fünften Monats auf dem Wasser, wenn ich eben vor Sonnenaufgang nach den Bojen hinrudere;
Ich ziehe die Körbe schräge herauf, die dunkelgrünen Hummer wehren sich verzweifelt mit ihren Scheren während ich sie herausnehme,
[145] Ich schiebe Holzkeile in die Gelenke ihrer Kneifzangen,
Ich rudere nach allen Stellen hin, eine nach der an dern, und dann zum Strand zurück,
Dort in einem großen Kessel mit kochendem Wasser sollen die Hummer kochen, bis sie scharlachrot werden.
Ein andermal beim Makrelenfang;
Gefräßig und wild, schnappen sie nach dem Haken dicht unter der Oberfläche des Wassers, scheinbar meilenweit kann man sie verfolgen;
Ein andermal beim Klippenfischfang in Chesapeake- Bay, und ich einer von der gebräunten Mannschaft;
Ein andermal beim Blaufischfang in Schleppnetzen vor Paumanok,
Ich stehe mit straffgespanntem Körper,
Mein linker Fuß auf dem Außenbord, mein linker Arm wirft die aufgerollten dünnen Leinen weit hinaus,
Ringsum im Gesichtskreis das flinke Wenden und Halsen von fünfzig Schaluppen, meinen Begleitern.
O, das Bootfahren auf den Flüssen! den Lawrencestrom hinunter, die herrliche Scenerie, die Dampfer, die Segelschiffe, die tausend Inseln,
Die Holzflöße und die Floßlenker mit ihren langen Schwungrudern,
Die kleinen Hütten auf den Flößen, mit den Rauchsäulen, wenn das Abendessen gekocht wird.
O, die Freuden des Walfischfängers!
Ich segle wieder meine frühere Kreuzfahrt,
Fühle die Bewegung des Schiffes unter mir, fühle wie die atlantische Brise mich fächelt,
Höre wieder den Ruf, vom Mastkorb gemeldet: »Da – bläst schon einer!«
[147] Wieder klettere ich mit den andern am Takelwerk hinauf und wieder hinunter, toll vor Aufregung,
Ich springe in das hinuntergelassene Boot, wir rudern auf unsere Beute zu, wo sie still liegt,
Wir kommen heran, vorsichtig und schweigend,
Ich sehe die bergartige Masse schläfrig sich sonnend,
Sehe den Harpunier aufrecht stehen – wie die Waffe seinem kräftigen Arm entsaust! –
Und wieder zieht mich der verwundete Wal weit hinaus in den Ozean, untertauchend, windwärts entfliehend, schleppt er uns hinter sich her.
Ich sehe ihn an die Oberfläche kommen, um Luft zu holen,
Wir rudern näher heran,
Ich sehe wie eine Lanze in seine Seite getrieben und tief in der Wunde umgedreht wird,
Wieder rudern wir rückwärts von ihm ab, ich sehe wie er nochmals niedersinkt, das Leben schwindet ihm rasch,
Beim Auftauchen speit er Blutstrahlen, ich sehe wie er im Kreise herumschwimmt – immer enger und enger, das Wasser scharf durchschneidend,
Und zuletzt, wie er stirbt: er macht einen krampfhaften Sprung im Zentrum des Kreises und fällt dann flach auf die Seite, ganz bewegungslos in dem blutigen Schaum.
O, die Freude meiner Seele, die mit sich selbst im Gleichgewicht, alles Gleichartige empfängt durch die Materie und sie liebt, Charaktere beobachtet und in sich aufnimmt,
Meine Seele wird von andern zurückgestrahlt aus Gesicht, Gehör, Gefühl, Verstand, Lautbildung, Vergleichung und Erinnerung,
Das wirkliche Leben meiner Sinne und meines Fleisches geht über mein Fleisch und meine Sinne hinaus,
Mein Körper hat die Materie erledigt, mein Sehen mit den leiblichen Augen ist abgetan,
Heute ist es mir über jeden Zweifel erwiesen, daß es nicht meine materiellen Augen sind, welche endgültig sehen,
Noch mein materieller Leib, welcher endgültig liebt, geht, lacht, ruft, umarmt und sich fortpflanzt!
Dennoch, o meiner Seele Höchstes!
Kennst du sie, die Freude des ruhigen Denkens?
Die Freude des freien und einsamen Herzens, des zärtlichen, trauernden Herzens?
Die Freuden des einsamen Spazierganges, wann das Gemüt niedergedrückt und doch stolz ist, das Leiden und mit sich Ringen?
Die geistigen Wehen, die Ekstasen, die Freuden des feierlichen Sich-Vertiefens, tags oder nachts?
Der Gedanke an den Tod, an die großen Sphären: Zeit und Raum?
Die ahnungsvollen Freuden besserer, höherer Liebesideale, die göttliche Ehegattin, der süße, der ewige, der vollkommene Kamerad?
Das sind deine eigenen, unsterblichen Freuden, deiner würdig, o Seele!
Während man lebt ein Herrscher, nicht ein Sklave des Lebens zu sein,
Dem Leben wie ein Eroberer entgegenzutreten,
Keine trüben Dünste, keine Langeweile, keine Klagen mehr noch höhnische Kritiken,
[151] Nur die stolzen Gesetze der Luft, des Wassers und der Erde, die mir beweisen, daß mein Innerstes unerschütterlich ist,
Und daß nichts außer mir jemals Gewalt über mich gewinnen soll.
Nicht die Freuden des Lebens allein besinge ich, sondern auch wieder die Freuden des Todes:
Die schöne Berührung des Todes, für einen Augenblick besänftigend und betäubend, der Natur gehorchend,
Ich lege meinen ausscheidenden Körper ab, um verbrannt, zu Staub gemahlen oder begraben zu werden,
Mein wirklicher Leib bleibt mir sicherlich für andere Sphären,
Mein leerer Körper ist mir nichts mehr; er kehrt zurück zu der Reinigung, zur weiteren Verwertung und zum ewigen Nutzen der Erde.