Zweiter Gesang

1.
So zieht das edle Paar, stets fröhlich, wach und munter,
Bei Sonnenschein und Sternenlicht
Drei Tage schon den Libanon hinunter;
Und wenn die Mittagsglut sie auf die Scheitel sticht,
Dient hohes Gras im Schatten alter Cedern
Zum Ruheplatz; indes in bunten Federn
Das leichte Volk der Luft die Silberkehlen stimmt,
Und traulich Teil an ihrer Mahlzeit nimmt.
2.
Am vierten Morgen läßt ein kleiner Haufen Reiter
Sich ziemlich nah auf einer Höhe sehn.
»Es sind Araber«, spricht zu Hüon sein Begleiter,
»Und aus dem Wege dem rohen Volke zu gehn,
Wo möglich, wäre wohl das beste:
Ich kenne sie als unverschämte Gäste.«
»Ei, ei, wo denkst du hin?« erwidert Siegwins Sohn,
»Wo hörtest du, daß Franken je geflohn?«
3.
Die Söhne der Wüste, magnetisch angezogen
Von Hüons Helm, der ihnen im Sonnenglanz
Entgegen blitzt, als wär er ganz
Karfunkel und Rubin, sie kommen mit Pfeil und Bogen,
[182]
Den Säbel gezückt, in Sturm heran geflogen.
Ein Mann zu Fuß, ein Mann zu Pferd
Scheint ihnen kaum des Angriffs wert;
Allein sie fanden sich betrogen.
4.
Der junge Held, bedeckt mit seinem Schild,
Sprengt unter sie, und wirft mit seinem Speere
Den, der ihr Führer schien, so kräftig von der Mähre,
Daß ihm ein blutiger Strom aus Mund und Nase quillt.
Nun stürzen alle zumal, des Hauptmann Fall zu rächen,
Auf seinen Sieger zu, mit Hauen und mit Stechen;
Allein von Scherasmin, der ihm den Rücken deckt,
Wird auf den ersten Schlag ein Pocher hingestreckt;
5.
Und auf den andern Troß arbeitet unser Ritter
So unverdrossen los, daß bald ein Zweiter und Dritter
Den Sattel räumt. Auf jeden frischen Zug
Fliegt hier ein Kopf, und dort ein Arm, den Säbel
Noch in der Faust. Nicht minder kräftig schlug
Der Alte zu mit seinem schweren Hebel.
Zu ihrem Mahom 1 schrein die Heiden 2 fluchend auf,
Und wer noch fliehen kann, der flieht im vollem Lauf.
6.
Das Feld liegt grauenhaft mit Leichen und mit Stümmeln
Von Roß und Mann bedeckt, die durch einander wimmeln.
Der Held, so bald sein neuer Spießgesell
Das beste Roß, das seinen Herrn verloren,
Nebst einem guten Schwert sich aus der Beut erkoren,
Spornt seinen schnaubenden Hengst und eilet vogelschnell
Den Tälern zu, die sich in unabsehbarn Weiten
An des Gebirges Fuß vor ihrem Blick verbreiten.
7.
Es schien ein wohl gebautes Land,
Mit Bächen überall durchschnitten,
Die Anger mit Schafen bedeckt, die Auen im Blumengewand,
Und zwischen Palmen die friedlichen Hütten
Der braunen Bewohner verstreut, die froh ihr Tagwerk tun,
In ihrer Armut reich sich dünken,
[183]
Und, wenn sie hungrig und müd in kühlen Schatten ruhn,
Zum rohen bäurischen Mahl dem Pilger freundlich winken.
8.
Hier läßt der Ritter, da ihn die Sonne zu drücken begann,
Sich Brot und frische Milch von einer Hirtin brocken.
Das gute Volk begafft zur Seite, halb erschrocken,
Wie er im Grase liegt, den fremden eisernen Mann;
Allein da Blick und Ton ihm schnell ihr Herz gewann,
So wagen bald Kinder sich hin und spielen mit seinen Locken.
Den tapfern Mann ergetzt ihr traulich frohes Gewühl,
Er wird mit ihnen Kind, und teilt ihr süßes Spiel.
9.
»Wie selig«, denkt er, »wär's in diesen Hütten wohnen!«
Vergeblicher Wunsch! ihn ruft sein Schicksal anderwärts.
Der Abend winkt. Beim Scheiden wallt sein Herz,
Und, um dem guten Volk das freundliche Mahl zu lohnen,
Wirft Hüon eine Hand voll Gold
Der Wirtin in den Schoß. Allein die Glücklichen wußten
Nicht was es war, und übten das Gastrecht ohne Sold,
So daß die Herren ihr Gold nur wieder nehmen mußten.
10.
Nun ritten sie zu, bis endlich, da der Tag
Zu dämmern begann, ein Wald vor ihnen lag.
»Freund«, spricht der Paladin zum Alten,
»Mich brennt's wie Feuer bis ich dem Kaiser Wort gehalten.
Den nächsten Weg nach Bagdad wolltest du
Mich führen? Mir ist's, ich sei vier Jahre schon geritten.«
»Der nächste Weg«, versetzt sein Spießgesell, »geht mitten
Durch diesen Wald; allein, ich rat euch nicht dazu.
11.
Man spricht nicht gut von ihm, zum wenigsten noch keiner,
Der sich hinein gewagt, kam jemals wieder raus.
Ihr lächelt? Glaubt mir's, Herr, ein übellauniger kleiner
Boshafter Kobold 3 hält in diesem Walde Haus.
Es wimmelt drin von Füchsen, Hirschen, Rehen,
Die Menschen waren so gut als wir.
Der Himmel weiß in welches wilde Tier
Wir, eh es morgen wird, uns umgekleidet sehen!«
[184] 12.
»Geht nur«, erwidert Siegwins Sohn,
»Durch diesen Wald der Weg nach Babylon,
So fürcht ich nichts.« – »Herr, laßt auf meinen Knieen
Euch bitten! Es ist, bei Gott! mir mehr um euch als mich:
Denn gegen diesen Geist, das glaubt mir sicherlich,
Hilft weder Gegenwehr noch Fliehen.
Mit fünf, sechs Tagen später ist's getan;
Und ach! ihr kommt noch stets zu früh in Bagdad an!«
13.
»Wenn du dich fürchtest«, spricht der Ritter,
»So bleibe du. Ich geh, mein Schluß ist fest.«
»Das nicht«, ruft Scherasmin, »der Tod schmeckt immer bitter,
Allein, ein Schelm der seinen Herrn verläßt!
Wenn ihr entschlossen seid, so folg ich ohne Zaudern,
Und helf uns Gott und Unsre Frau zu Acqs 4
»Wohlan«, spricht Hüon, »komm!« und reitet, bleich wie Wachs,
Den Wald hinein. Der Alte folgt mit Schaudern.
14.
Kaum war er in der Dämmerung
Zwei hundert Schritte fortgetrottet,
Als links und rechts in vollem Sprung
Ein Heer von Hirschen und Rehen sich ihm entgegen rottet.
Sie schienen, mit Tränen im warnenden Blick,
(Wie Scherasmin, wiewohl bei wenig Lichte,
Bemerken will) aus Mitleid sie zurück
Zu scheuchen, als sprächen sie: »O flieht, ihr armen Wichte!«
15.
»Nun! merkt ihr, (flüstert er zum Ritter) wie es steht?
Und werdet ihr ein andermal mir glauben?
Trifft's nicht ganz wörtlich ein? Die Tiere, die ihr seht,
Die aus Erbarmen uns so stark entgegen schnauben,
Sind Menschen, sag ich euch; und wenn ihr weiter geht,
Glaubt mir, so haben wir den Kobold auf der Hauben.
Seid nicht so hart und rennt aus Eigensinn,
Trotz eines Freundes Rat, in euer Unglück hin!«
16.
»Wie, Alter«? spricht der Held, »ich geh mit diesen Schritten
Nach Bagdad, den Kalif um eine Hand voll Haar
[185]
Aus seinem Bart und vier von seinen Zähnen zu bitten,
Und du verlangst, ich soll von ungewisser Fahr 5
Mich schrecken lassen, Wo ist dein Sinn geblieben?
Wer weiß, der Kobold ist vielleicht mein guter Freund.
Mit diesen wenigstens ist's nicht so schlimm gemeint;
Sieh, wie sie all' in einem Hui zerstieben!«
17.
Indem er's sagt, so sprengt er auf sie zu,
Und alles weicht wie Luft und ist im Hui verflogen.
Herr Hüon und sein Führer zogen
Nun eine Weile fort in ungestörter Ruh,
Stillschweigend beide. Der Tag war nun gesunken,
Und ihren Mohnsaft goß die braune Nacht herab;
Rings um sie lag schon alles schlummertrunken,
Und durch den ganzen Wald war's stille wie im Grab.
18.
Zuletzt kann länger sich der Alte nicht entbrechen.
»Herr«, spricht er, »stör ich euch in einem Grillenplan,
So haltet mir's zu gut; 's ist eine meiner Schwächen,
Ich leugn' es nicht; allein, im Dunkeln muß ich sprechen,
Das war so meine Art von meiner Kindheit an.
Es ist so stille hier als sei der große Pan 6
Gestorben. Tönte nicht der Hufschlag unsrer Pferde,
Ich glaube, daß man gar den Maulwurf scharren hörte.
19.
Ihr denkt ich fürchte mich; doch ohne Prahlerei,
(Denn, was der Mensch auch hat, so sind's am Ende Gaben.
Auch leben manche noch, die es gesehen haben)
Wo Schwerter klirren, im Feld und im Turnei,
Mann gegen Mann, auf Stechen oder Hauen,
Wär's auch im Notfall zwei und drei
An fünf bis sechs, ich bin dabei!
Da kann man doch auf seine Knochen trauen.
20.
Kurz, hat ein Feind nur Fleisch und Blut,
Ich bin sein Mann! Allein, das muß ich frei gestehen,
Um Mitternacht an einem Kirchhof gehen
Das lupft ein wenig mir den Hut.
[186]
Gesetzt, so einem Geist, der querfeld mir begegnet,
Steht meine Physiognomie
Nicht an: was hilft mir Arm und Degen, ventregris 7!
Wenn's unsichtbare Schläg auf meinen Rücken regnet,
21.
Gesetzt, wie man Exempel hat,
Ich hau ihm auch den Schädel glatt vom Rumpfe;
Noch weil er rollt, stehn schon an dessen Statt
Zwei neue Köpfe auf dem Stumpfe.
Oft rennt sogar der Rumpf in vollem Lauf
Dem Kopfe nach, und setzt ihn wieder auf
Als wär es nur ein Hut, den ihm der Wind genommen:
Nun, bitt ich euch, wie ist so einem beizukommen?
22.
Zwar, wie ihr wißt, so bald der Hahn gekräht,
So ist's mit all dem Spuk, der zwischen elf und zwölfen
Im Dunkeln schleicht, Gespenstern oder Elfen 8,
Als hätte sie der Wind davon geweht.
Allein, der Geist der hier sein Wesen treibet,
Ist euch von ganz besonderm Schlag
Hält offnen Hof, ißt, trinkt, und lebt und leibet
Wie unser eins, und geht bei hellem Tag.«
23.
»Um meine Neugier aufzuschrauben,
Hast du dein Bestes getan«, erwidert Siegwins Sohn,
»Man spricht von Geistern so viel, und lügt so viel davon
Daß Laien unsrer Art nicht wissen was sie glauben.
Einst kam an unsern Hof ein tief studierter Mann,
Der schwor uns hoch, es wäre gar nichts dran,
Und schimpfte weidlich los auf alle Geisterseher;
Auch hieß ihn der Kaplan nur einen Manichäer 9.
24.
Sie disputierten oft bei einer Flasche Wein;
Doch, wenn das letzte Glas zu Kopf zu gehn begonnte,
So mischten sie so viel Latein darein
Daß unser einer kaum ein Wort verstehen konnte.
Da dacht ich oft: Schwatzt noch so hoch gelehrt,
Man weiß doch nichts als was man selbst erfährt:
[187]
Ich wollt ein Geist erwiese mir die Ehre
Und sagte mir was an der Sache wäre.«
25.
Indem sah unser wandernd Paar
Sich unvermerkt in einem Park befangen,
Durch den sich hin und her so viele Wege schlangen,
Daß irre drin zu gehn fast unvermeidlich war.
Der Mond war eben itzt vollwangig aufgegangen,
Um durch ein trüglich Dunkelklar
Die Augen, die nach einem Ausweg irren,
Mit falschen Lichtern zu verwirren.
26.
»Herr«, sagte Scherasmin, »hier ist's drauf angesehn
Uns in ein Labyrinth zu winden.
Der einzge Weg sich noch heraus zu finden,
Ist – auf gut Glück der Nase nachzugehn.«
Der Rat (der weiser ist als mancher Klügling meinet)
Führt unsre frommen Wandrer bald
Zum Mittelpunkt, wo sich der ganze Wald
In einen großen Stern vereinet.
27.
Und in der Fern erblicken sie in Büschen
Ein Schloß, das, wie aus Abendrot gewebt,
Sich schimmernd in die Luft erhebt.
Mit Augen, worin sich Lust und Grauen mischen,
Und zwischen Traum und Wachen zweifelhaft
Schwebt Hüon sprachlos da und gafft;
Als plötzlich auf die goldnen Türen flogen
Und rollt' ein Wagen daher, den Leoparden zogen.
28.
Ein Knäbchen, schon, wie auf Cytherens Schoß
Der Liebesgott, saß in dem Silberwagen,
Die Zügel in der Hand. – »Da kommt er auf uns los,
Mein bester Herr«, ruft Scherasmin mit Zagen,
Indem er Hüons Pferd beim Zaume nach sich zieht,
»Wir sind verloren! flieht, o flieht!
Da kommt der Zwerg!« – »Wie schön er ist!« spricht jener –
»Nur desto schlimmer! Fort! und wär er zehnmal schöner.
[188] 29.
Flieht, sag ich euch, sonst ist's um uns getan!«
Der Ritter sträubt sich zwar, allein da hilft kein Sträuben
Der Alte jagt im schnellsten Flug voran
Und zieht ihn nach, und hört nicht auf zu treiben,
Zu jagen über Stock und Stein,
Durch Wald und Busch, und über Zaun und Graben
Zu setzen, bis sie aus dem Hain Ins Freie sich gerettet haben.
30.
Mit Regen, Sturm und Blitz verfolgt ein Ungewitter
Die Fliehenden; die fürchterlichste Nacht
Verschlingt den Mond; es donnert, saust und kracht
Rings um sie her, als schlüg's den ganzen Wald in Splitter
Kurz, alle Element im Streit
Zerkämpfen sich mit zügellosem Grimme;
Doch mitten aus dem Sturm ertönt von Zeit zu Zeit
Mit liebevollem Ton des Geistes sanfte Stimme:
31.
»Was fliehst du mich? Du fliehst vor deinem Glück;
Vertrau dich mir, komm, Hüon, komm zurück!«
»Herr, wenn ihr's tut, seid ihr verloren«,
Schreit Scherasmin, »fort, fort, die Finger in die Ohren,
Und sprecht kein Wort! Er hat nichts Guts im Sinn!«
Nun geht's aufs neue los durch Dick und Dünn,
Vom Sturm umsaust, vom Regen überschwemmet,
Bis eine Klostermaur die raschen Reiter hemmet.
32.
Ein neues Abenteur! Der Tag da dies geschah
War just das Namensfest der heilgen Agatha,
Der Schützerin von diesem Jungfernzwinger 10.
Nun lag kaum einen Büchsenschuß
Davon ein Stift voll wohl genährter Jünger
Des heilgen Abts Antonius;
Und beide hatten sich in diesen Abendstunden
Zu einer Betefahrt 11 freundnachbarlich verbunden.
33.
Sie kamen just zurück, als, nah am Klosterbühl 12,
Indem sie Paar und Paar in schönster Ordnung wallten,
[189]
Der Rest des Sturms sie überfiel.
Kreuz, Fahnen, Skapulier, sind toller Winde Spiel,
Und strömend dringt die Flut bis in des Schleiers Falten.
Umsonst ist alle Müh den Anstand zu erhalten;
Die Andacht reißt; mit komischem Gewühl
Rennt alles hin und her in seltsamen Gestalten.
34.
Hier watet bis ans Knie geschürzt
Ein Nönnchen im Morast, dort glitscht ein Mönch im Laufen,
Und, wie er sich auf einen Haufen
Von Schwesterchen, die vor ihm rennen, stürzt,
Ergreift er in der Angst die Domina 13 beim Beine.
Doch endlich, als der Sturm sein Äußerstes getan,
Langt atemlos die ganze Chorgemeine,
Durchnäßt und wohl bespritzt, im Klostervorhof an.
35.
Hier war noch alles voll Getümmel,
Als durch das Tor, das weit geöffnet stund,
Mein Scherasmin sich mitten ins Gewimmel
Der Klosterleute stürzt; denn auf geweihtem Grund
Ist's, wie er glaubt, so sicher als im Himmel.
Bald kommt auch Hüon nach; und, wie er gleich den Mund
Eröffnen will, die Freiheit abzubitten,
So steht mit einem Blitz – der Zwerg in ihrer Mitten.
36.
Auf einmal ist der Himmel wolkenleer,
Und alles hell und mild und trocken wie vorher.
Schön, wie im Morgenrot ein neugeborner Engel,
Steht er, gestützt auf einen Lilienstengel,
Und um die Schultern hängt ein elfenbeinern Horn.
So schön er ist, kommt doch ein unbekanntes Grauen
Sie alle an: denn Ernst und stiller Zorn
Wölkt sich um seine Augenbrauen.
37.
Er setzt das Horn an seine Lippen an
Und bläst den lieblichsten Ton. Stracks übermannt den Alten
Ein Schwindelgeist; er kann sich Tanzens nicht enthalten,
Packt eine Nonne ohne Zahn,
[190]
Die vor Begierde stirbt ein Tänzchen mitzumachen,
Und hüpft und springt als wie ein junger Bock
So rasch mit ihr herum, daß Schleiertuch und Rock
Weit in die Lüfte wehn, zu allgemeinem Lachen.
38.
Bald faßt die gleiche Wut den ganzen Klosterstand;
Ein jeder Büßer nimmt sein Nönnchen bei der Hand,
Und ein Ballett beginnt, wie man so bald nicht wieder
Eins sehen wird. Die Schwestern und die Brüder
Sind keiner Zucht noch Regel sich bewußt;
Leichtfertger kann kein Faunentanz sich drehen.
Der einzge Hüon bleibt auf seinen Füßen stehen,
Sieht ihren Sprüngen zu, und lacht aus voller Brust.
39.
Da naht sich ihm der schöne Zwerg, und spricht
In seiner Sprach ihn an, mit ernstem Angesicht:
»Warum entfliehn vor mir, o Hüon von Guyenne? –
Wie? du verstummst, Beim Gott des Himmels, den ich kenne.
Antworte mir!« – Nun kehrt die Zuversicht
In Hüons Brust zurück. »Was willst du mein?« erwidert
Der Jüngling. – »Fürchte nichts«, spricht jener, »wer das Licht
Nicht scheuen darf, der ist mit mir verbrüdert.
40.
Ich liebte dich von deiner Kindheit an,
Und was ich Gutes dir bestimme,
An keinem Adamskind hab ich es je getan!
Dein Herz ist rein, dein Wandel ohne Krümme,
Wo Pflicht und Ehre ruft, fragst du nicht Fleisch und Blut,
Hast Glauben an dich selbst, hast in der Prüfung Mut:
So kann mein Schutz dir niemals fehlen,
Denn meine Strafgewalt trifft nur befleckte Seelen.
41.
Wär nicht dies Klostervolk ein heuchlerisch Gezücht,
Belög ihr keuscher Blick, ihr leiser Bußton nicht
Ein heimlich strafbares Gewissen,
Sie ständen, trotz dem Horn, wie du, auf ihren Füßen.
Auch Scherasmin, für den sein redlich Auge spricht,
Muß seiner Zunge Frevel büßen.
[191]
Sie alle tanzen nicht weil sie der Kitzel sticht,
Die Armen tanzen weil sie müssen.«
42.
Indem beginnt ein neuer Wirbelwind
Den Faunentanz noch schneller umzuwälzen;
Sie springen so hoch, und drehn sich so geschwind,
Daß sie in eigner Glut wie Schnee im Tauwind schmelzen,
Und jedes zappelnde Herz bis an die Kehle schlägt.
Des Ritters Menschlichkeit erträgt
Den Anblick länger nicht; er denkt, es wäre Schade
Um all das junge Blut, und fleht für sie um Gnade.
43.
Der schöne Zwerg schwingt seinen Lilienstab,
Und stracks zerrinnt der dicke Zauberschwindel;
Versteinert stehn Sankt Antons fette Mündel,
Und jedes Nönnchen, bleich als stieg' es aus dem Grab,
Eilt, Schleier, Rock, und was sich sonst im Springen
Verschoben hat, in Richtigkeit zu bringen.
Nur Scherasmin, zu alt für solchen Scherz,
Sinkt kraftlos um, und glaubt ihm berste gleich das Herz.
44.
»Ach!« keicht er, »gnädger Herr, was sagt ich euch?« – »Nicht weiter,
Freund Scherasmin!« fällt ihm der Zwerg ins Wort,
»Ich kenne dich als einen wackern Streiter,

Nur läuft zuweilen dein Kopf mit deinem Herzen fort. Warum, auf andrer Wort, so rasch, mich zu verlästern?

Fi! graulich schon von Bart, an Urteil noch so jung!
Nimm in Geduld die kleine Züchtigung!
Ihr andern, geht, und büßt für euch und eure Schwestern!«

45.
Das Klostervolk schleicht sich beschämt davon.
Drauf spricht der schöne Zwerg mit Freundlichkeit zum Alten:
»Wie, Alter, immer noch des Argwohns düstre Falten?
Doch, weil du bieder bist, verzeiht dir Oberon.
Komm näher, guter alter Zecher,
Komm, faß ein Herz zu mir und fürchte keinen Trug!
Du bist erschöpft; nimm diesen Becher
Und leer ihn aus auf Einen Zug.«
[192] 46.
Mit diesem Wort reicht ihm der Elfenkönig
Ein Trinkgeschirr von feinem Gold gedreht.
Der Alte, der mit Not auf seinen Beinen steht,
Stutzt, wie er leer es sieht, nicht wenig.
»Ei«, ruft der Geist, »noch keine Zuversicht?
Frisch an den Mund, und trink, und zweifle nicht!«
Der gute Mann gehorcht, zwar nur mit halbem Willen,
Und sieht das Gold sich flugs mit Wein von Langon 14 füllen.
47.
Und als er ihn auf Einen Zug geleert,
Ist's ihm, als ob mit wollustvoller Hitze
Ein neuer Lebensgeist durch alle Adern blitze.
Er fühlet sich so stark und unversehrt,
Als wie er war, da er, in seinen besten Jahren,
Mit seinem ersten Herrn zum heilgen Grab gefahren.
Voll Ehrfurcht und Vertraun fällt er dem schönen Zwerg
Zu Fuß und ruft: »Nun steht mein Glaube wie ein Berg!«
48.
Drauf spricht der Geist mit ernstem Blick zum Ritter:
»Mir ist der Auftrag wohl bekannt,
Womit dich Karl nach Babylon gesandt.
Du siehst, was für ein Ungewitter
Er dir bereitet hat; sein Groll verlangt dein Blut:
Allein, was du mit Glauben und mit Mut
Begonnen hast, das helf ich dir vollenden;
Da, wackrer Hüon, nimm dies Horn aus meinen Händen!
49.
Ertönt mit lieblichem Ton von einem sanften Hauch
Sein schneckengleich gewundner Bauch,
Und dräuten dir mit Schwert und Lanzen
Zehn tausend Mann, sie fangen an zu tanzen,
Und tanzen ohne Rast im Wirbel, wie du hier
Ein Beispiel sahst, bis sie zu Boden fallen:
Doch, lässest du's mit Macht erschallen,
So ist's ein Ruf, und ich erscheine dir.
50.
Dann siehst du mich, und wär ich tausend Meilen
Von dir entfernt, zu deinem Beistand eilen.
[193]
Nur spare solchen Ruf bis höchste Not dich dringt.
Auch diesen Becher nimm, der sich mit Weine füllet,
So bald ein Biedermann ihn an die Lippen bringt;
Der Quell versieget nie, woraus sein Nektar quillet:
Doch bringt ein Schalk ihn an des Mundes Rand,
So wird der Becher leer, und glüht ihm in der Hand.«
51.
Herr Hüon nimmt mit Dank die wundervollen Pfänder
Von seines neuen Schützers Huld;
Und da er sich des Ostens Purpurränder
Vergülden sieht, forscht er mit Ungeduld
Nach Babylon den kürzesten der Wege.
»Zeuch hin«, spricht Oberon, nachdem er ihn belehrt;
»Und daß ich nie die Stunde sehen möge,
Da Hüons Herz durch Schwäche sich entehrt!
52.
Nicht daß ich deinem Mut und Herzen
Mißtraue! aber, ach! du bist ein Adamskind,
Aus weichem Ton geformt, und für die Zukunft blind!
Zu oft ist kurze Lust die Quelle langer Schmerzen!
Vergiß der Warnung nie, die Oberon dir gab!«
Drauf rührt er ihn mit seinem Lilienstab,
Und Hüon sieht aus seinem liebevollen
Azurnen Augenpaar zwei helle Perlen rollen.
53.
Und wie er Treu und Pflicht ihm heilig schwören will,
Entschwunden war der Waldgeist seinem Blicke,
Und nur ein Lilienduft blieb wo er stand zurücke.
Betroffen, sprachlos, steht der junge Ritter still,
Reibt Aug und Stirn, wie einer, im Erwachen
Aus einem schönen Traum, sich sucht gewiß zu machen,
Ob das, was ihn mit solcher Lust erfüllt,
Was Wirklichs ist, ob nur ein nächtlich Bild,
54.
Doch, wenn er auch gezweifelt hätte,
Der Becher und das Horn, das ihm an goldner Kette
Um seine Schultern hing, ließ keinem Zweifel Platz.
Der Becher sonderlich dünkt dem verjüngten Alten
[194]
Das schönste Stück im ganzen Feenschatz.
»Herr«, spricht er, (im Begriff den Bügel ihm zu halten)
»Noch einen Zug, dem guten Zwerg zum Dank!
Sein Wein, bei meiner Treu! ist echter Göttertrank!«
55.
Und nun, nachdem sie sich gestärkt zur neuen Reise,
Ging's über Berg und Tal, nach alter Ritter Weise,
Den ganzen Tag; und nur ein Teil der kurzen Nacht
Wird unter Bäumen zugebracht.
So zogen sie, ohn alles Abenteuer,
Vier Tage lang – der Ritter schon im Geist
Zu Babylon, und glücklich sein Getreuer,
Daß Siegwins Sohn es ist, dem er zur Seite reist.

Fußnoten

1 Mahom, II. 5 und öfters. Eine in den alten Französischen Rittergedichten, Fabliaux, u.d. ziemlich allgemeine komische Abkürzung des Namens Mahomed, wenn von dem großen Propheten der Sarazenen die Rede ist.

2 Heiden, II. 5 wird hier, nach der Weise der alten Ritterbücher, von allen Nicht-Christen, also auch von Sarazenen oder Muhamedanern, gebraucht.

3 Kobold, II. 11. Eine Art von Mittelgeistern, Gobelinus im Latein des Mittelalters, von welchen man glaubte, daß sie den Menschen eher hold als zu schaden geneigt seien, wiewohl dies so ziemlich von ihrer Laune und andern Umständen abhing. Der Kobold der Bergleute, oder das Bergmännchen, scheint mit Gabalis Gnomen, oder Elementargeistern von der vierten Klasse, einerlei zu sein.

4 Acqs, II. 13. Acqus, (Aquae Augustae) eine kleine, vor Alters beträchtliche, bischöfliche Stadt in den Landes von Gascogne, die ihren Namen von einer mitten in der Stadt befindlichen heißen Quelle hat. Aus den Worten Scherasmins sollte man schließen, daß Acqus damals im Besitz eines so genannten Gnadenbildes der heiligen Jungfrau gewesen sei. Poetisch zu reden, mußte er das, als in diesen Gegenden einheimisch, am besten wissen, und in so fern kann uns auch, ohne andere historische Beweise, an seinem Zeugnis genügen.

5 Fahr, II. I6. Das veraltete Wort, an dessen StelleGefahr gewöhnlich ist. Daher Fährde, fährlich, Fährlichkeit, wovon ebenfalls in der Dichtersprache (nur pudenter, wie Horaz sagt) Gebrauch zu machen wäre.

6 Pan, der große Pan, II. 18. Eine im Munde Scherasmins fast zu gelehrte Anspielung auf das bekannte Märchen von dem Ägyptischen Schiffer Thamos, dem, als er einst, unter der Regierung des Kaisers Tiberius, an den Echinadischen Inseln vorbei fuhr, nach einer plötzlich erfolgten Windstille eine Stimme von den Paxischen Inseln her zu dreien Malen befahl: so bald er den Hafen Pelodes (an der Küste von Epirus) erreicht haben würde, sollte er mit lauter Stimme ausrufen: Der große Pan sei gestorben. Thamos hatte diesen seltsamen Auftrag wieder vergessen, als er durch eine abermalige Windstille, die ihn im Angesicht des Hafens Pelodes befiel, daran erinnert wurde: und kaum hatte er den Tod des großen Pans ausgerufen, so ließ sich ein großes Wehklagen und Gewinsel in der Luft hören, wie von unsichtbaren Personen, die an dieser Nachricht ganz besondern Anteil nähmen, und ihr Erstaunen und Leidwesen darüber bezeigten. Das merkwürdigste an dieser schönen Geschichte ist, daß Plutarch in seiner Abhandlung von den Ursachen, warum die Orakel aufgehört hätten, sie einem gewissen Ämilianus in den Mund legt, der sie von seinem Vater, als einem unmittelbaren Augen- und Ohrenzeugen, gehört zu haben versicherte. – Übrigens ist es, in Rücksicht des bekannten Gebrauchs, welcher in der Folge von dieser Erzählung gemacht wurde, eben nicht unmöglich, daß Scherasmin gelegentlich von seinem Pfarrer etwas von ihr gehört haben könnte, wiewohl ihm nichts davon im Gedächtnis geblieben, als die isolierte Vorstellung, wie still und tot es auf einmal in der Natur werden müßte, wenn der große Pan wirklich zu sterben kommen sollte.

7 Ventregris, II. 20. Ein nur in Scherasmins Munde duldbarer, wiewohl ehemals dem König Heinrich IV. von Frankreich sehr geläufiger, Gasconnischer Schwur, statt Ventre-Saint-Gris.

8 Elfen, II. 22 und a.o. Alfen, Elfen oder Elven sind eine Art von Genien, in der Mythologie der Nordischen Völker, in welcher sie (wie Adelung unter dem Wort Alp schon bemerkt) ungefähr die Stelle der Nymphen und Waldgötter der Griechen vertreten. Auch die Fairies, an welche das Britische Landvolk noch itzt hier und da glaubt, gehören in diese Rubrik. In Chaucers Merchants-Tale ist Oberon König der Fairies. Unser Dichter hat diese Elfen zu einer Art von edeln, mächtigen und den Menschen gewogenen Sylphen erhoben, und Oberon, ihr König, spielt in diesem Gedicht eine so wichtige Rolle, daß es daher den Namen von ihm erhalten hat.

9 Manichäer, II. 23 war in Hüons Zeiten ein eben so gemeiner als verhaßter Ketzername, wobei man sich das Abscheulichste dachte, ohne sich darum zu bekümmern, was die wirklichen Anhänger des Manes ehemals gelehrt hatten oder nicht. Der Kaplan konnte also dem tief studierten Manne, der sich so positiv gegen die Geister erklärte, keinen schlimmem Streich spielen, als ihm einen Namen anzuhängen, den jener nicht auf sich sitzen lassen durfte, wenn er den anwesenden Laien nicht ein Greuel werden wollte. Daher vermutlich der Fechterkniff, im Fortgang des Streits sich hinter so viel Latein zurück zu ziehen, daß die Zuhörer, und vielleicht auch der orthodoxe Kaplan selbst, ihm nichts weiter anhaben konnten.

10 Jungfernzwinger, II. 32. Ein (vermutlich) von unserm Dichter gestempeltes Wort für Jungfernkloster. Daß sich dazu keine andre Analogie fand als das Jägerwort Hundezwinger, wird ihm hoffentlich zu keinem Vorwurf gereichen.

11 Betefahrt, II. 32. In der katholischen Kirche eine Prozession mit Kreuz und Fahnen, wobei gebetet wird. Besonders wurde vor Alters der in der so genannten Kreuzwoche (Hebedomas Rogationum) übliche feierliche Umgang, wobei die Felder und Früchte eingesegnet werden, so genannt. Auch kommt dieses Wort in der allgemeinen Bedeutung von Wallfahrt vor. Es scheint Niedersächsischen Ursprungs zu sein.

12 Klosterbühl, II. 33. Bühel, Bühl, (in den härtesten Mundarten Büchel) ist ein gutes altes Wort fürHügel. Die Reichsstadt Dinkelsbühl hat ihren Namen von Dinkel (einer Getreideart, die vermutlich in ihrer Gegend vorzüglich gerät) und von einem dreifachen Bühl, d.i. Hügel, worauf sie erbaut ist.

13 Domina, II. 34 wird die Vorsteherin der Frauenklöster in einigen religiösen Orden genannt.

14 Langon, II. 46. Eine kleine Stadt an der Garonne, berühmt durch ihren Wein, der für den besten unter den weißen Bourdeaux-Weinen, Vins de Grave genannt, gehalten wird. Melanges tirés d'une grande Bibliotheque. Vol. 36. p. 94.

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TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Verserzählungen. Oberon. Zweiter Gesang. Zweiter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A64E-B