Eilfter Gesang

1.
Die Hoffnung, die ihr schimmerndes Gefieder
Um Hüon wieder schwingt, Sie, die er einzig liebt,
Bald wieder sein zu sehn, die goldne Hoffnung gibt
Ihm bald den ganzen Glanz der schönsten Jugend wieder.
[342]
Schon der Gedanke bloß, daß sie so nah ihm ist,
Daß dieses Lüftchen, das ihn kühlet,
Vielleicht Amandens Wange kaum geküßt,
Vielleicht um ihre Lippen kaum gespielet;
2.
Daß diese Blumen, die er bricht
Und malerisch in Kränz und Sträuße flicht,
Um in den Harem sie, wie üblich ist, zu schicken,
Vielleicht Amandens Locken schmücken,
Ihr schönes Leben vielleicht an ihrer lieblichen Brust
Verduften, – der Gedank erfüllt ihn mit Entzücken;
Das schöne Rot der Sehnsucht und der Lust
Färbt wieder seine Wang und strahlt aus seinen Blicken.
3.
Die heiße Tageszeit vertritt das Amt der Nacht
In diesem Land, und wird verschlummert und verträumet.
Allein, so bald der Abendwind erwacht,
Fragt Hüon, den die Liebe munter macht,
Schon alle Schatten an, wo seine Holde säumet?
Er weiß, die Nacht wird hier mit Wachen zugebracht;
Doch darf sich in den Gärten und Terrassen
Nach Sonnenuntergang nichts Männlichs sehen lassen.
4.
Die Damen pflegen dann, beim sanften Mondesglanz
Bald paarweis, bald in kleinen Rotten,
Die blühenden Alleen zu durchtrotten;
Und ziert die Fürstin selbst den schönen Nymphenkranz,
Dann kürzt Gesang und Saitenspiel und Tanz
Die träge Nacht; drauf folgt in stillen Grotten
Ein Bad, zu dem Almansor selbst (so scharf
Gilt hier des Wohlstands Pflicht) sich niemals nähern darf.
5.
Amanden (die, wie unser Ritter glaubte,
Im Harem war) zu sehn, blieb keine Möglichkeit,
Wofern er nicht sich um die Dämmrungszeit
Im Garten länger säumt als das Gesetz erlaubte.
Er hatte dreimal schon die unruhvollste Nacht
In einem Busch an dem vorbei zu gehen
[343]
Wer aus dem Harem kam genötigt war, durchwacht,
Gelauscht, geguckt, und ach! Amanden nicht gesehen!
6.
Fußfällig angefleht von Fatme, Ibrahim
Und Scherasmin, ihr und sein eignes Leben
So offenbar nicht in Gefahr zu geben,
Wollt er, wiewohl der Sonnenwagen ihm
Zu schnell hinab gerollt, am vierten Abend (eben
Zur höchsten Zeit) sich noch hinweg begeben,
Als plötzlich, wie er sich um eine Hecke dreht,
Almansaris ganz nahe vor ihm steht.
7.
Sie kam, gelehnt an ihrer Nymphen eine,
Um, lechzend von des Tages strengem Brand,
Im frischen Duft der Pomeranzenhaine
Sich zu ergehn. Ein leichtes Nachtgewand,
So zart als hätten Spinnen es gewebet,
Umschattet ihren Leib, und nur ein goldnes Band
Schließt's um den Busen zu, der durch die dünne Wand
Mit schöner Ungeduld sich durchzubrechen strebet.
8.
Nie wird die Bildnerin Natur
Ein göttlicher Modell zu einer Venus bauen
Als diesen Leib. Sein reizender Kontur
Floß wellenhaft, dem feinsten Auge nur
Bemerklich, zwischen dem Genauen
Und Überflüssigen, so weich, so lieblich hin,
Schwer war's dem kältsten Josefssinn,
Sie ohne Lüsternheit und Sehnsucht anzuschauen!
9.
Es war in jedem Teil, was je die Phantasie
Der Alkamenen und Lysippen
Sich als das Schönste dacht und ihren Bildern lieh;
Es war Helenens Brust, und Atalantens Knie,
Und Ledas Arm, und Erigonens Lippen.
Doch bis zu jenem Reiz erhob die Kunst sich nie,
Der stets, so bald dazu die Lust in ihr erwachte,
Sie zur Besiegerin von allen Herzen machte.
[344] 10.
Der Geist der Wollust schien alsdann
Mit ihrem Atem sich den Lüften mitzuteilen,
Die um sie säuselten. Von Amors schärfsten Pfeilen
Sind ihre Augen voll, und wehe dann dem Mann,
Der mit ihr kämpfen will! Denn, könnt er auch entgehen
Dem feurig schmachtenden Blick, der ihn so lieblich kirrt,
Wie wird er diesem Mund voll Lockungen, wie wird
Er seinem Lächeln widerstehen?
11.
Wie dem Sirenenton der zauberischen Stimme.
Der des Gefühls geheimste Saiten regt?
Der in der Seele Schoß die süße Täuschung trägt,
Als ob sie schon in Wollustseufzern schwimme?
Und wenn nun, eh vielleicht die Weisheit sich's versah,
Verrätrisch jeder Sinn, zu ihrem Sieg vereinigt,
Den letzten Augenblick der Trunkenheit beschleunigt:
O sagt, wer wäre dann nicht seinem Falle nah?
12.
Doch, ruhig! Fern ist noch und ungewiß vielleicht
Der Schiffbruch, der uns itzt fast unvermeidlich däucht.
Zu fliehen – sonst auf alle Fälle
Das klügste – ging in diesem Augenblick
Nicht an – sie war zu nah – wiewohl an Hüons Stelle
Ein wahrer Gärtner doch geflohen wär. Zum Glück,
Hilft, falls sie fragt, ein Korb mit Blumen und mit Früchten.
Den er im Arme trägt, ihm eine Antwort dichten.
13.
Natürlich stutzt die schöne Königin,
In ihrem Wege hier auf einen Mann zu treffen.
»Was machst du hier?« fragt sie den Paladin
Mit einem Blick, der jedem andern Neffen
Des alten Gärtners tödlich war.
Doch Hüon, unterm Schirm gesenkter Augenlider,
Läßt auf die Kniee sich mit edler Ehrfurcht nieder,
Und stellt den Blumenkorb ihr als ein Opfer dar.
14.
Er hatte, (spricht er) bloß es ihr zu überreichen,
Die Zeit versäumt, die allen seines gleichen
[345]
Die Gärten schließt. Hat er zu viel getan,
So mag sein Kopf den raschen Eifer büßen.
Allein die Göttin scheint in einen mildern Plan
Vertieft, indes zu ihren Füßen
Der schöne Frevler liegt. Sie sieht ihn gütig an,
Und scheint mit Mühe sich zum Fortgehn zu entschließen.
15.
Den schönsten Jüngling, den sie jemals sah – und schön
Wie Helden sind, mit Kraft und Würde – fremde
Der Farbe nach – in einem Gärtnerhemde –
Dies schien ihr nicht natürlich zuzugehn.
Gern hätte sie mit ihm sich näher eingelassen,
Hielt nicht der strenge Zwang des Wohlstands sie zurück.
Sie winkt ihm endlich weg; doch scheint ein Seitenblick,
Der ihn begleitet, viel, sehr viel in sich zu fassen.
16.
Sie schreitet langsam fort, stillschweigend, dreht sogar
Den schönen Hals, ihm hinten nachzusehen,
Und zürnt, daß er dem Wink so schnell gehorsam war.
War er, den Blick, der ihn erklärte, zu verstehen,
Zu blöde? Fehlt's vielleicht der reizenden Gestalt
An Seele? Trügt das ungeduldge Feuer
In seinem Auge? Macht Gefahr ihn kalt?
Wie, oder sucht er hier ein andres Abenteuer?
17.
Ein andres? – Dieser Zweifel hüllt
Ihr plötzlich auf, was sie sich selber zu gestehen
Errötet. Unruhvoll, verfolgt von Hüons Bild,
Irrt sie die ganze Nacht durch Lauben und Alleen,
Horcht jedem Lüftchen das sich regt
Entgegen, jedem Blatt, das an ein andres schlägt:
»Still!« spricht sie zur Vertrauten, »laß uns lauschen!
Mir däucht, ich hörte was durch jene Hecke rauschen.«
18.
»Es ist vielleicht der schöne Gärtner«, spricht
Die schlaue Zof, »er ist, wofern mich alles nicht
An ihm betrügt, der Mann sein Leben dran zu setzen,
Um hier, im Hinterhalt, an einen Busch gedrückt,
[346]
Mit einem Anblick sich noch einmal zu ergetzen,
Der ihn ins Paradies verzückt.
Wie wenn wir ihn ganz leise überraschten,
Und auf der frischen Tat den schönen Frevler haschten?«
19.
»Schweig, Närrin«, spricht die Haremskönigin;
»Du faselst, glaub ich, gar im Traume?«
Und gleichwohl richtet sie geraden Wegs zum Baume,
Woher das Rauschen kam, die leichten Schritte hin.
Es war ein Eidechs nur gewesen,
Der durchs Gesträuch geschlüpft. – Ein Seufzer, halb erstickt,
Halb in den Strauß, den sie zum Munde hielt, gedrückt.
Bekräftigt was Nadin' in ihrem Blick gelesen.
20.
Unmutig kehrt sie um, und mit sich selbst in Zwist,
Beißt sich die Lippen, seufzt, spricht etwas, und vergißt
Beim dritten Wort schon was sie sagen wollte,
Zürnt, daß Nadine nicht die rechte Antwort gibt,
Und nicht errät, was sie erraten sollte;
Die schöne Dame ist, mit Einem Wort – verliebt!
Sogar ihr Blumenstrauß erfährt's – wird, ohn ihr Wissen,
Zerknickt, und, Blatt für Blatt, verzettelt und zerrissen.
21.
Drei Tage hatte nun das Übel schon gewährt,
Und war, durch Zwang und Widerstand genährt,
Mit jeder Nacht, mit jedem Morgen schlimmer
Geworden. Denn, so bald der Abendschimmer
Die bunten Fenster malt, verläßt sie ihre Zimmer,
Und streicht, nach Nymphen-Art, mit halb entbundnem Haar,
Durch alle Gartengäng und Felder, wo nur immer
Den Neffen Ibrahims zu finden möglich war.
22.
Allein, vergebens lauscht ihr Blick, vergebens pochte
Ihr Busen Ungeduld: der schöne Gärtner ließ
Sich nicht mehr sehn, was auch die Ursach heißen mochte.
Unglückliche Almansaris!
Dein Stolz erliegt. »Wozu dich selbst noch länger quälen,
(Denkt sie) und was dich nagt Nadinen, die gewiß
[347]
Es lange merkt, aus Eigensinn verhehlen?
Verheimlichung heilt keinen Schlangenbiß.«
23.
Sie wähnt, sie suche Trost an einer Freundin Busen;
Doch was sie nötig hat ist eine Schmeichlerin.
In dieser Hofkunst war Nadine Meisterin.
Der Saft von allen Pompelmusen
In Afrika erfrischte nicht so gut
Der wollustatmenden Sultanin gärend Blut,
Als dieser Freundin Rat und zärtliches Bemühen,
Den Mann, den sie begehrt, bald in ihr Netz zu ziehen.
24.
Um Mitternacht und bei verschloßnen Türen
Ihn in den Teil des Harems einzufahren
Worin Almansaris ganz unumschränkt befahl,
Schien nicht so schwierig, seit der Sultan, ihr Gemahl,
Der Leidenschaft zur schönen Zoradinen
(Wie sich die junge Fremde hieß
Die durch ein Wunder jüngst an diesem Strand erschienen)
Ganz öffentlich und frei sich überließ.
25.
Die Amme hatte sich im Schließen nicht betrogen;
Es war Amanda selbst, die aus der Räuber
Macht Titania durch einen Blitz gezogen
Und unverletzt an diesen Strand gebracht.
Ihr wißt, was sich begab als sie ans Land gekommen;
Wie ihr Almansor stracks sein flüchtig Herz geweiht,
Und wie mit neidischer verstellter Zärtlichkeit
Almansaris sie aufgenommen.
26.
Der Sultan war vielleicht der allerschönste Mann
Auf den die Sonne je geschienen,
Und wußte dessen sich so siegreich zu bedienen,
Daß ihm noch nie ein weiblich Herz entrann.
Zum ersten Mal bei dieser Zoradinen
Verlor er seinen Ruhm. Für Sie ist nur Ein Mann
Auf Erden; Sie hat keine Augen, keinen
Gedanken, keinen Sinn, als nur für diesen Einen.
[348] 27.
Die Würde ohne Stolz, die edle Sicherheit,
Die anstandvolle, unverstellte
Gleichgültigkeit und ungezwungne Kälte,
Womit sie ihn, der hier befehlen kann, so weit
Von sich zu halten weiß, daß er, wie sehr er brennet,
Ihr kaum durch einen stummen Blick
Zu klagen wagt, – dies alles sieht und nennet
Almansaris der Buhlkunst Meisterstück.
28.
Gewohnt, des Sultans Herz nach ihrer Lust zu drehen
Zu herrschen über ihn, im Harem unbeschränkt
Zu herrschen, könnte sie den Zepter ungekränkt
Von dieser Fremden aus der Hand sich spielen sehen?
Zwar leiht sie ihrem Haß ein lächelndes Gesicht,
Und tut als zweifle sie an Zoradinen nicht;
Doch überall ist's in des Harems Mauern
Verborgner Augen voll, die all ihr Tun belauern.
29.
Allein, seitdem des schönen Gärtners Reiz
Mit Amors schärfstem Pfeil ihr stolzes Herz durchdrungen
Hat Lustbegier die Eifersucht verschlungen.
Ihr Ehrgeiz weicht nun einem süßern Geiz,
Dem Geiz nach seinem Kuß. Ihn wieder zu besiegen
Ist nun ihr einzger Stolz. Mag doch die ganze Welt
Zu Zoradinens Füßen liegen,
Wenn Sie nur den sie liebt in ihren Armen hält!
30.
Sie selbst befördert nun den Anschlag – Zoradinen,
Entfernt von ihr, in einem andern Teil
Des Harems, den Almansor schon in Eil
Für sie bereiten ließ, anständger zu bedienen:
Der Fremden wahrer Stand, wiewohl sie ihn noch nicht
Gestanden, mache dies zu einer Art von Pflicht;
Beim ersten Anblick könn es keinem Aug entgehen,
Sie sei gewohnt nichts über sich zu sehen.
31.
Indem Almansaris, mit listger Höflichkeit,
Auf diese Weise sich in ihren eignen Zimmern
[349]
Von einer Zeugin, die ihr lästig ist, befreit,
Läßt, ohne sich um sie, und wie sie sich die Zeit
Vertreiben kann und will, im mindesten zu kümmern,
Almansor, der nun ganz sich seiner Liebe weiht,
Ihr freien Raum, Entwürfe auszubrüten,
Wozu im Harem ihr sich hundert Hände bieten.
32.
Unmäßig grämt indes der schöne Gärtner sich,
Daß ihm – der schon seit mehr als sieben Tagen
Die Mauern, wo Amanda traurt, umschlich,
(Denn daß sie traurt, das kann sein eignes Herz ihm sagen)
Das holde Weib auch durch ein Gitter nur
Zu sehn, nur ihres leichten Fußes Spur,
(Er würd ihn, o gewiß! aus tausenden erkennen!)
Die unmitleidigen Gestirne noch mißgönnen.
33.
Er wirft sich unmutsvoll bei seinen Freunden hin:
»Könnt ihr, wenn ihr mich liebt, denn keinen Weg ersinnen,
Nur einen einzgen Mund im Harem zu gewinnen,
Der meinen Namen nur und daß ich nah ihr bin
Ins Ohr ihr flüstre?« – »Still! da kommt mir was zu Sinn«,
Ruft Fatme aus, »Ihr sollt ihr einen Mahneh 1 schicken!
Geht nur, die Blumen, die uns nötig sind, zu pflücken;
In dieser Sprache bin ich eine Meisterin.«
34.
Und Hassan eilt, wie Fatme ihm befohlen,
Ein Myrtenreis, und Lilien, und Schasmin,
Und Rosen und Schonkilien herzuholen.
Drauf heißt sie ihn ein Haar aus seinen Locken ziehn,
Nimmt dünnen goldnen Draht, und windet
Und dreht das Haar mit ihm zusammen, bindet
Den Strauß damit, und drein ein Lorberblatt,
Worauf er A und H, verschränkt, gekritzelt hat.
35.
»Nun«, spricht sie, »wenn ich's noch mitZimmetwasser netze,
So ist's der schönste Brief, den je ein Herzensdieb
Von eurer Art an seine Liebste schrieb.
Wollt ihr, daß ich's geschwind euch übersetze?«
[350]
»Verliere keine Zeit«, ruft Hüon, »tausend Dank!
Du kannst nicht bald genug mir eine Antwort bringen;
Die Liebe schütze dich und laß es dir gelingen!
Geh, wir erwarten dich auf dieser Rasenbank.«
36.
Die gute Fatme ging. Allein, weil ihr kein Zimmer
Im innern Teil des Harems offen stand,
So lief der Strauß durch manche Sklavenhand,
Und ward zuletzt (wie sich der Zufall immer
In alles ungebeten mischt)
Durch einen Irrtum von Nadinen aufgefischt,
Und ihrer Königin, nachdem sie erst durch Fragen
Das Wie und Wann erforscht, frohlockend zugetragen.
37.
Weil Fatme diesen Brief gebracht,
Die Sklavin Ibrahims, so konnte der Verdacht
Auf keinen andern als den schönen Hassan fallen;
Und daß er aus des Harems Schönen allen
Der Schönsten gelten muß, scheint eben so gewiß,
Zumal nach dem was jüngst sich zugetragen.
Was könnte denn das A und H sonst sagen,
Als – Hassan und Almansaris?
38.
Und hätte sie, wiewohl es nicht zu glauben,
Auch eine Nebenbuhlerin;
Nur desto mehr Triumph für ihren stolzen Sinn,
Der Feindin mit Gewalt die Beute wegzurauben!
Die Eifersucht, die dies auf einmal rege macht,
Vereinigt sich mit andern sanftern Trieben,
Nicht länger als bis auf die nächste Nacht
Den schönen Sieg, nach dem sie dürstet, zu verschieben.
39.
Indessen kommt, entzückt von ihres Auftrags Glück,
Und ohne Argwohn, hintergangen
Zu sein, fast atemlos, mit glühend roten Wangen
Vor Freud und Hastigkeit, die Amme nun zurück.
Ihr Blick ist schon von fern als wie ein Sonnenblick
Aus Wolken, die sich just zu teilen angefangen.
[351]
» Herr Ritter (raunt sie ihm ins Ohr) was gebt ihr mir,
So öffnet heute noch sich euch die Himmelstür!
40.
Mit Einem Wort, ihr sollt Amanden sehen!
Noch heut, um Mitternacht, wird euch die kleine Tür
Ins Myrtenwäldchen offen stehen:
Der Sklavin, die euch dort erwartet, folget ihr
Getrost wohin sie geht, und fürchtet keine Schlingen;
Sie wird euch unversehrt an Ort und Stelle bringen.«
Das gute Weib, dem nichts von Arglist schwant,
Verläßt sich auf den Weg, den sie ihm selbst gebahnt.
41.
»Wie hoch, o Fatme! bin ich dir verbunden!«
Ruft Hüon aus – »Ich soll sie wiedersehn!
Noch diese Nacht! Und wär's, durch tausend Wunden
Unmittelbar von Ihr in meinen Tod zu gehn,
Kaum würde weniger die Nachricht mich erfreuen!«
»Mein bester Herr, ich habe guten Mut;
Die Sterne sind uns hold, ihr werdet sie befreien,
(Spricht Scherasmin) und alles wird noch gut!
42.
Gebt mir drei Tage nur, um heimlich eine Pinke
Zu mieten, die nicht fern in einer sichern Bucht
Vor Anker liegen soll, bereit, beim ersten Winke,
So bald der Augenblick zur Flucht
Uns günstig wird, frisch in die See zu stechen.
Noch läßt's das Kästchen uns an Mitteln nicht gebrechen;
Nur Gold genug, so ist die Welt zu Kauf;
Ein goldner Schlüssel, Herr, schließt alle Schlösser auf!«
43.
Indes daß unser Held die Zeit von seinem Glücke
Mit Ungeduld an seinem Pulse zählt,
Und, weil sein Puls mit jedem Augenblicke
Behender schlägt, sich immer überzählt,
Seufzt, nicht geduldiger, die reizende Sultane,
Gerüstet schon zum Sieg, die Mitternacht herbei.
Gefällig bot der Zufall ihrem Plane
Die Hand, und machte sie von allen Seiten frei.
[352] 44.
Ein großes Fest, der schönen Zoradinen
Zu Ehren im Palast vom Sultan angestellt,
Wobei die Odalisken all' erschienen,
Gab ihr in ihrem Teil des Harems offnes Feld.
Daß sich Almansaris für überflüssig hält
Bei dieser Lustbarkeit, schien keinem ungebührlich:
Im Gegenteil, man fand das Kopfweh sehr natürlich.
Das, wie gebeten, sie auf einmal überfällt.
45.
Die Stunde ruft. Der schöne Gärtner nahet
Sich leise durchs Gebüsch der kleinen Gartentür.
Wie klopft sein Herz! Ihm fehlt der Atem schier,
Da eine weiche Hand im Dunkeln ihn empfahet,
Und sanft ihn nach sich zieht. Stillschweigend folgt er ihr,
Mit leisem Tritt, bald auf bald ab, durch enge
Sich oft durchkreuzende lichtarme Bogengänge,
Und nun entschlüpft sie ihm vor einer neuen Tür.
46.
»Wo sind Wir?« flüstert er und tappt mit beiden Händen.
Auf einmal öffnet sich die Tür.
Ein matter Schein (Wie wenn sich, zwischen Myrtenwänden
Mit Efeu überwölbt, in einem Frühlingshain
Der Tag verliert) entdeckt ihm eine Reihe Zimmer
Die ohne Ende scheint; und, wie er vorwärts geht,
Wird unvermerkt das matte Licht zu Schimmer,
Der Schimmer schnell zum höchsten Glanz erhöht.
47.
Er steht betroffen und geblendet
Von einer Pracht, die alles, was er je
Gesehn, beschämt; so sehr ist Gold und Lapis Lazuli,
Und was Golkond und Siam Reiches sendet,
Mit stolzer Üppigkeit hier überall verschwendet.
Doch unbefriedigt sucht sein liebend Auge – Sie.
»Wo ist Sie?« seufzt er laut. Kaum ist sein »Ach!« entflogen,
So wird, in einem Blitz, ein Vorhang weggezogen.
48.
Zu beiden Seiten rauscht der reiche Goldstoff auf,
Und welch ein Schauspiel zeigt sich seinen starren Blicken!
[353]
Ein goldner Thron, und eine Dame drauf,
So wie ein Bildner sich, verloren in Entzücken,
Die Liebesgöttin denkt. Zwölf Nymphen, jede jung
Und voller Reiz, wie Amors Schwestern, schweben
In Gruppen rings umher, – um, gleich der Dämmerung,
Den steigenden Triumph der Sonne zu erheben.
49.
Von rosenfarbner Seide kaum
Beschattet, schienen sie, zu ihrer Dame Füßen,
Wie Wölkchen, die in einem Dichtertraum
Um Cythereens Wagen fließen.
Sie selbst, im reichsten Putz und mit Juwelen ganz
Belastet, zeigt ihm bloß, daß all dies bunte Funkeln
Nicht fähig ist, den angebornen Glanz
Von ihrer Schönheit zu verdunkeln.
50.
Herr Hüon, (der sich nun der Gärtner Hassan nennt)
So wie sein Auge sich zu ihr erhebt – erkennt
Almansaris, erschrickt, verwirrt sich, wankt zurücke.
Dies allverblendende wollüstge Traumgesicht,
Was soll es ihm? – Er sieht Amanden nicht!
Sie suchte hier sein Herz, Sie suchten seine Blicke.
Almansaris, die sehr verzeihlich irrt,
Glaubt, daß ihr Glanz allein ihn blendet und verwirrt.
51.
Sie steigt vom Thron herab, kommt lächelnd ihm entgegen
Und nimmt ihn bei der Hand, und scheint bereit, für ihn
Die Majestät, vor der ihm schwindelt, abzulegen,
Und allen Vorteil bloß von ihrem Reiz zu ziehn.
Unmerklich wird ihr Anstand immer freier;
In ihren Augen brennt ein lieblich lodernd Feuer
Und spielt elektrisch sich in seinen Busen ein;
Sie drückt ihm sanft die Hand, und heißt ihn fröhlich sein.
52.
Halb unentschlossen scheint sein Blick ihr was zu sagen:
Sie winkt die Nymphen weg, und weg ist auch sein Mut;
Er scheint zu furchtsam nur die Augen aufzuschlagen.
Die Szene ändert sich. Ein zweiter Vorhang tut
[354]
Sich auf. Almansaris führt ihren blöden Hirten
In einen andern Saal, wo rings umher die Wand
Bekleidet war mit Rosen und mit Myrten,
Und mit Erfrischungen ein Tisch beladen stand.
53.
Beim Eintritt werden sie mit Sang und Klang empfangen,
Aus Saiten und Gesang ertönt der Freude Geist;
Und Hassan setzt, wie ihm's die Dame heißt,
Ihr gegenüber sich. Errötendes Verlangen
Und schöne Ungeduld bekennet, furchtsam dreist,
In ihrem schwimmenden Blick, auf ihren glühenden Wangen
Ihm seinen Sieg: allein, aus seinen Augen bricht
Wie aus Gewölk ein traurig düstres Licht.
54.
Zwar irrt, nicht blöde mehr, sein Blick von freien Stücken
Auf ihren Reizungen umher;
Doch nicht aus Liebe, nicht mit schmachtendem Entzücken,
Nicht, wie sie wünscht, vom Tau wollüstger Tränen schwer.
Er ist zerstreut, er scheint sie zu vergleichen,
Und jeder Reiz, der ihm nachstellend sich enthüllt,
Malt nur lebendiger Amandens edles Bild,
Und muß, beschämt, dem keuschen Reize weichen.
55.
Vergebens reicht sie ihm den blinkenden Bokal
Mit einem Blick, der Amors ganzen Köcher
In seinen Busen schießt. Beim frohsten Göttermahl
Reicht ihrem Herkules den vollen Nektarbecher
Mit süßerm Lächeln selbst die junge Hebe nicht.
Umsonst! Mit frostigem Gesicht
Nimmt er den Becher an, den kaum ihr Mund berührte,
Und trinkt, als ob er Gift auf seiner Zunge spürte.
56.
Die Damewinkt; und schnell schlingt sich die Schwesterschar
Der Nymphen, die vorhin den goldnen Thron umgaben,
In einen Tanz, der Tote auf der Bahr
Mit neuen Seelen zu begaben,
Und Geister zu verkörpern fähig war.
In Gruppen bald verwebt, bald wieder Paar und Paar,
[355]
Sieht Hüon hier die lieblichsten Gestalten
In tausendfachem Licht freigebig sich entfalten.
57.
Vielleicht zu deutlich nur, scheint alles abgezielt
Begierden ihm und Ahnungen zu geben:
Er fühl es immerhin, denkt sie, wenn er nur fühlt,
Wie reich das Schauspiel ist das hier die Schönheit spielt!
Wie reizend ist der Arme leichtes Schweben,
Der Hüften üppiger Schwung, der Knöchel wirbelnd Beben!
Wie schmachtend fallen sie, mit halb geschloßnem Blick,
Als wie in süßen Tod itzt stufenweis zurück!
58.
Unwillig fühlt die überraschten Sinnen
Der edle Mann in dieser Glut zerrinnen.
Er schließt zuletzt die Augen mit Gewalt,
Und ruft Amandens Bild zum mächtgen Gegenhalt;
Amandens Bild, aus jener ernsten Stunde,
Als er, den Druck noch warm auf seinem Munde
Von ihrem Kuß, zu Dem, der die Natur
Erfüllt und trägt, den Eid der Lieb und Treue schwur.
59.
Er schwöret ihn, aufs neue, in Gedanken
Auf seinen Knien vor diesem heilgen Bild:
Und plötzlich ist's als hielt' ein Engel seinen Schild
Vor seine Brust, so matt und kraftlos sanken
Der Wollust Pfeile von ihr ab.
Almansaris, die Acht auf alles gab
Was ihr sein Blick verriet, klopft schnell in ihre Hände,
Und macht in einem Wink dem üppgen Tanz ein Ende.
60.
Und ob sie gleich mit Müh kaum über sich gewann,
Dem marmorharten jungen Mann
In ihren Armen nicht Empfindung abzuzwingen,
Versucht sie doch noch eins, das schwerlich fehlen kann:
Sie läßt sich ihre Laute bringen.
Auf ihrem Polstersitz mit Reiz zurück gelehnt,
Und, zum Bezaubern fast, durch ihre Glut verschönt,
Was wird ihr durch die Gunst der Musen nicht gelingen?
[356] 61.
Wie rasch durchläuft in lieblichem Gewühl
Der Rosenfinger Flug die seelenvollen Saiten!
Wie reizend ist dabei aus ihrem offnen weiten
Rückfallenden Gewand der schönen Arme Spiel!
Und, da aus einer Brust, die Weise zu betören
Vermögend war, das mächtige Gefühl
Sich in Gesang ergießt, wie kann er sich erwehren
Auf seinen Knien die Göttin zu verehren?
62.
Süß war die Melodie, bedeutungsvoll der Sinn.
Es war das Lied von einer Schäferin,
Die lange schon ein Feur, das keine Rast ihr gönnet,
Verbarg – doch nun dem allgewaltgen Drang
Nicht länger widersteht, und dem, der sie bezwang,
Errötend ihre Pein und seinen Sieg bekennet.
Das Lied stand zwar im Buch; allein, so wie sie sang,
Singt keine, die nicht selbst in gleichen Flammen brennet.
63.
Hier weicht die stolze Kunst der siegenden Natur;
So lieblich girrt der Venus Taube nur!
Die Sprache des Gefühls, so mächtig ausgesprochen,
Der schönen Töne klarer Fluß
Durch kleine Seufzerchen so häufig unterbrochen,
Der Wangen höhers Rot, des Busens schnellers Pochen,
Kurz, alles ist vollströmender Erguß
Der Leidenschaften, die in ihrem Innern kochen.
64.
Im Übermaß von dem was sie empfand
Fällt ihr zuletzt die Laute aus der Hand.
Die Arme öffnen sich – Doch, Hüon, dem es graute,
Greift eilends noch im Fallen nach der Laute
Wie ein Begeisterter, und stimmt mit mächtgem Ton
Die Antwort an, gesteht, daß eine andre schon
Sein Herz besitzt, und daß im Himmel und auf Erden
Ihn nichts bewegen kann ihr ungetreu zu werden.
65.
Fest war sein Ton, und unbestechlich streng
Sein edler Blick. Die Zaubrerin, wider Willen,
[357]
Fühlt seine Obermacht. Sie blaßt, und Tränen füllen
Ihr zürnend Aug; die Lust kommt ins Gedräng
Mit ihrem Stolz. Sie eilt sich zu verhüllen;
Verhaßt ist ihr das Licht, der weite Saal zu eng:
Mit einem kalten Blick auf ihren
Rebellen, winket sie, ihn schleunigst abzuführen.
66.
Die Gipfel glänzten schon im ersten Purpurlichte,
Als unser Held, die Stirn in finstern Gram
Gehüllt, zurück zu seinen Freunden kam.
Erschrocken lasen sie in seinem Angesichte
Beim ersten Blick die Hälfte der Geschichte.
»Unglückliche«, spricht er zu Fatmen, die vor Scham
Zur Erde sinkt, »wohin war dir dein Sinn entflogen?
Doch – dir verzeih ich gern – du wurdest selbst betrogen.«
67.
Und als er drauf, was ihm in dieser Nacht
Begegnet war, erzählt, faßt er den guten Alten
Vorn an der Brust, und schwört: ihn soll die ganze Macht
Von Afrika nicht länger halten,
Mit Schwert und Schild, wie einem Rittersmann
Geziemt, in den Palast zu dringen,
Und seine Rezia dem Sultan abzuzwingen.
»Du siehst nun«, spricht er, »selbst, was ich mit List gewann!«
68.
Zu seinen Füßen fleht ihm Scherasmin, und lange
Vergebens, nur drei Tage noch dem Zwange
Der nötigen Verborgenheit Sich in Geduld zu untergeben,
Und nicht durch einen Schritt, den selbst die Tapferkeit
Verzweifelt nennt, sein und Amandens Leben
Zu wagen; bittet nur um diese kurze Zeit,
Um jedes Hindernis von seiner Flucht zu heben.
69.
Auch Fatme fleht auf ihren Knieen, streckt
Ihr Haupt der Rache dar, wofern sie zu Amanden
Ihm binnen dieser Frist den Zugang nicht entdeckt.
Sie schwört, zum zweiten Mal soll kein Betrug zu Schanden
[358]
Sie machen – Kurz, der Ritter selber fühlt,
Daß ihm sein Unmut nicht den besten Weg empfiehlt
Er gibt sein Wort, und kehret in den Garten
Zurück, um seines Diensts und des Erfolgs zu warten.

Fußnoten

1 Mahneh, XI. 33, auch Salam genannt, ist eine unter den Türken und Maurischen Sarazenen gewöhnliche Art von geheimen Liebesbriefen, wobei Blumen, Spezereien und tausend andere Dinge, als symbolische Zeichen, die eine gewisse abgeredete Bedeutung haben, statt der Worte gebraucht werden. In Plants Türkischem Staatslexikon ist ein Beispiel davon gegeben, wo eine Weinbeere, ein Strohhalm, eine Jonquille, ein seidener Faden, Papierschnitzel, ein Schwefelhölzchen, eine Pistazie, eine verwelkte Tulpe und ein Stückchen Goldfaden, in einem Beutel der Geliebten überschickt, ihr ungefähr so viel sagen, als: »Holdes Mädchen, erlaube daß ich dein Sklave sei und laß dir meine Liebe gefallen. Ich brenne vor Sehnsucht nach dir, und diese Flamme verzehrt mein Herz. – Meine Sinne verwirren sich. Ach möchten wir doch zusammen auf Einem Bette ruhen! Ich sterbe wenn du mir nicht bald zu Hülfe kommst.« – Eine ähnliche Probe teilt Lady Worthley Montague im vierzigsten der oben angezogenen Briefe ihrer Korrespondentin mit. Ihrem Berichte nach ist mit jedem symbolischen Zeichen dieser geheimen Sprache ein gewisser Vers aus einem Dichter kombiniert; und sie sagt, sie glaube, es sei eine Million Verse zu diesem Gebrauch bestimmt; – was, wenn wir auch neun Zehnteile von der Million fahren lassen, diese Sprache zu einer der schwersten in der Welt machen würde.

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TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Verserzählungen. Oberon. Eilfter Gesang. Eilfter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A69E-8