[364] Das Schloß des Todes.

Ein armer Mann hatte viel Kinder und demnach auch viel Gevattersleute. Da schenkte ihm seine Frau in seinen alten Tagen noch ein Knäbchen. Er sprach: ›Wüßte ich jetzt nur, wen ich zu Gevatter bitten soll!‹ Die Frau sprach: ›Den Ersten Besten, der dir vor der Thür auf der Landstraße begegnet.‹ Da ging der Mann hinaus, es war noch ganz früh, so daß die Sonne mit ihm herauskam, und schritt auf der Landstraße auf und ab. Kam da ein kleines greisgraues Männchen, das war gar freundlichen Aussehens und fragte den Mann: ›Ei warum schon so früh auf den Beinen?‹ ›Ich suche einen Gevatter zu meinem Kinde, wollt ihr mir vielleicht den Gefallen thun?‹ fragte der Mann und das Männchen sagte: ›Von Herzen gern, sagt mir nur, wann die Taufe ist.‹ ›Gleich morgen früh, wenn es euch geliebt.‹ ›Es ist gut, ich habe dann gerade Geschäfte im nächsten Ort und werde zur rechten Zeit bei euch sein.‹ ›Wie heißt ihr denn, Herr Gevatter?‹ ›Ich bin der Tod,‹ antwortete das Männchen lächelnd, grüßte den armen Mann sehr freundlich und ging weiter. Am folgenden Morgen fand es sich zur rechten Stunde ein und hob das Kind aus der Taufe; dann sprach es: ›Wenn das Kind vierzehn Jahr alt ist komme ich wieder und dann braucht ihr [365] nicht weiter für dasselbe zu sorgen, im Gegentheil es wird für euch sorgen.‹ Da freuten sich die Leute, dankten dem guten Tod und er nahm freundlichen Abschied von ihnen.

Als der Knabe vierzehn Jahre alt war, kam der gute Pathe nahm ihn mit sich in den Wald und sprach: ›Jetzt will ich dich zum geschicktesten Arzt in der Welt machen, mein liebes Pathenkind, höre nur fleißig zu, was ich dir sage. Wenn du zu einem Kranken kommst und ich stehe zu Häupten des Bettes, dann sage dreist: Hier ist keine Rettung. Stehe ich aber am Fußende, dann mache einen Trank aus süßer Milch und drei Körnlein Salz und in Zeit von drei Tagen ist der Kranke gesund.‹ Der Jüngling dankte dem guten Pathen und übte seine neue Kunst sehr eifrig, wurde hochberühmt dadurch und reich dazu. Als des Königs Tochter krank war heilte er sie und bekam Gold, mehr als ein Pferd ziehen kann, und als er der Königin Tod vorhersagte und sie auch wirklich starb, da gab ihm der König doppelt so viel und heirathete acht Tage darauf eine andre.

Als er schon ein blühender Mann war und in seinen besten Jahren stand, kam er eines Tages durch den Wald, da begegnete ihm sein Pathe und die Beiden gingen eine Strecke selbander fort. An einem Kreuzwege sprach der Tod: ›Ich gehe nun rechts, gehe du links und es ist dein Glück; bald sehen wir uns wie der.‹ ›Wohin gehst du denn?‹ fragte der Arzt. ›Nach Hause, ich habe da zu thun,‹ antwortete der Tod. ›Dann will ich mit dir gehen, lieber Pathe,‹ sprach der Arzt: ›ich habe ja noch nie gesehn, wo du wohnst.‹ Der Tod wehrte ihm und bat ihn liebevoll, den [366] andern Weg einzuschlagen, doch der Arzt ließ sich nicht abweisen und flehte den Tod so lange, bis dieser sprach: ›Wohlan du kannst mit mir gehn bis an mein Schloß, aber nicht hinein.‹ Sie kamen bald auf einen breiten, gar glatten und schönen Weg, der sich weithin in den Wald erstreckte; am Ende desselben stand ein schönes Schloß, daran waren alle Läden geschlossen. Als sie am Thore standen, sprach der Tod: ›Jetzt laß es genug sein, lieber Sohn, und kehre um; thue mir den Gefallen!‹ Aber der Arzt war jetzt gerade erst neugierig geworden zu sehn, wie es in des Todes Schloß aussähe, und wie sehr der Tod auch bat, er möge jetzt zurückkehren, er bestand darauf, bis er hinein kam. Da waren alle Zimmer dunkel und voll Lichtchen, eins am andern. ›Was ist das?‹ frug der Arzt erstaunt und der Tod erwiederte: ›Das sind die Lebenslichter der Menschen.‹ ›Ach lieber Pathe, wo ist denn meines?‹ fragte der Arzt und der Tod antwortete: ›Darnach frage nicht, das ist dir nicht gut zu wissen.‹ Da ging es aber wiederum, wie vorher, der Arzt quälte ihn so lange, bis der gute Tod ihm ein ganz kleines Lichtchen zeigte, welches nicht weit vom Verlöschen war. ›Nun gehst du mir aber und bleibst keinen Augenblick mehr,‹ sprach der Tod ernst, ›damit ich hier nicht mein Amt an dir üben muß;‹ und er führte ihn rasch aus dem Schloß und in den Wald zurück.

Der Arzt eilte nach Hause und wurde noch am selben Abend ernstlich krank. Als er in der Nacht einmal erwachte, schaute er sich im Zimmer um, da stand der Tod zu Häupten seines Bettes. Da wandte er sich rasch in dem Bette um und streckte dem Tode [367] die Beine entgegen. Ruhig ging der Tod an das andere Ende des Bettes, doch da wandte sich der Arzt abermals und trieb sein Spiel also fort bis gegen Morgen, so daß der Tod trotz all seiner Güte und Freundlichkeit dessen doch endlich müde wurde. ›Mit dir einem habe ich mehr Noth, als mit allen, die ich seit dem Vater Adam geholt habe,‹ sprach er. ›Aber laß uns freundlich scheiden, sage mir, willst du heute noch leben, so gewähre ich es dir gern.‹ ›Nur noch ein Vaterunserlang,‹ sagte der Arzt. ›Das sei dir gewährt,‹ sagte der Tod, der Arzt begann: ›Vater unser, der du bist – so und jetzt bete ich fünfzig Jahre lang daran.‹ Da lachte der Tod und sprach: ›Ich werde mich hüten, noch einen Doktor meine Kunst zu lehren.‹

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TextGrid Repository (2012). Wolf, Johann Wilhelm. Märchen. Deutsche Hausmärchen. Das Schloß des Todes. Das Schloß des Todes. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AA50-1