[403] Das beste Essen von der Welt. 1

Es wurde einmal vor Alters in einem Dorfe erzählt, der Pfarrer habe am Sonntage in der Predigt gesagt, weiße Rüben und Hammelfleisch wäre das beste Essen auf der Welt. Das hörten denn auch drei Männer aus dem Ort, die hießen Christoph, Max und Caspar, und die nahmen sich vor, sie wollten einmal sehn, ob das auch mit dem Essen die Wahrheit wäre. Weil sie aber keinen Acker und auch keine Schafe hatten, so sollte in der nächsten Nacht der Christoph, der ein starker Mann war, ins Feld gehn und einen Sack voll weiße Rüben langen, und der Max und der Caspar wollten unter der Zeit an den Pferch gehn und einen Hammel stehlen. Auf dem Kirchhof an der Kirchenthür wollten sie darnach wieder zusammenkommen. Wie verabredet, so ist's auch geschehen. Der Christoph ging, wie es Nacht geworden war, mit seinem Sack auf einen Weiße-Rüben-Acker, und die zwei Andern machten sich auf den Weg nach dem Pferch. Da mußten sie aber an einem Sumpf vorbei, und wie sie daran kamen, so quakste just ein Frosch. ›Hörst Du's?‹ sagte der Max zum Caspar und war ihm angst, ›der Schäfer ist wach und ruft: Max! Max! Ich kann jetzt nicht mitgehn, der Schäfer kennt mich. Geh du lieber allein hin! Dich kennt er, scheint's, nicht und hat [404] dich auch nicht gesehn.‹ Damit kehrte der Max um, ging ein wenig zurück und wollte da warten, bis dann der Caspar mit dem Hammel käme. Der Caspar hergegen ging allein fort und kam bis nahe an den Pferch. Da hustete aber gerade ein altes Schaf und das hat gelautet, als wenn eins gerufen hätte: Casper! Wer da fortlief, das war der Caspar, und er sprang so flink, daß er bald zu dem Max kam. ›Max!‹ sagte er zu dem und war außer Odem und schnaufte, ›denk dir einmal an, der Schäfer hat auch mich gekannt, denn er hat mir ganz laut Casper zugerufen. Wir können den Hammel nicht langen, der Schäfer kennt uns alle beide. Wir müssen uns jetzt an den Christoph machen, daß der hingeht.‹ Das war der Max zufrieden und so gingen sie fort an die Kirchenthür. Der Christoph war schon da mit seinem Sack und sie erzählten ihm die ganze Geschichte, wie sie den Hammel nicht brächten, weil der Schäfer sie kenne und ihnen mit ihren Namen zugerufen habe. Dann redeten sie dem Christoph zu, er wäre noch nicht lang in dem Orte, der Schäfer kenne ihn noch nicht, und er solle auch nach dem Hammel gehn. Der Christoph war im Anfange böse, daß sie ihre Sache nicht ausgeführt hatten; er habe gethan, was er zu thun gehabt hätte, und er lange den Hammel nicht. Sie aber redeten ihm noch mehr zu, und sagten, sie wollten derweil, bis er den Hammel brächte, die weißen Rüben schälen. Nun, der Christoph ist ein guter Mann gewesen und ging fort. Jetzt setzten sich die Zwei an die Kirchenthür und machten sich an das Schälen. Unter der Zeit wird es Morgens vier Uhr, wo zu Tag geläutet werden muß. Da [405] kommt der Schulmeister und will läuten. Wie er aber an der Kirchenthür die Zwei sieht, so wird's ihm angst, denn er glaubt, es wären Geister von den Todten und läuft ans Pfarrhaus und klopft, was er klopfen kann. Endlich erwacht die Köchin und macht ihm die Thür auf. Er weckt nun den Pfarrer und sagt in einer Hast: ›Herr Pfarrer, Sie müssen mit mir! Vor der Kirchenthür sind zwei Geister, die lassen mich nicht in den Thurm, daß ich zu vier Uhr läuten kann. Sie müssen mit und müssen die Geister vertreiben.‹ Der Pfarrer aber, der das Podagra hatte und nicht fort konnte, gab zur Antwort: ›Wie kannst du mir nur zumuthen, daß ich mit dir gehn soll! Ich bin ein armer gebrechlicher Mann und kann nicht fort. Du mußt sehn, wie du's allein fertig bringst, ich kann dir nicht helfen.‹ Doch der Schulmeister, der nach der alten Observanz zu Morgen läuten wollte, setzte dem lahmen Mann hart zu und sagte: ›Nein, Sie müssen mit, Herr Pfarrer! Sie müssen mit! Wenn Sie nicht gehn können, so hängen Sie sich auf meinen Rücken, dann will ich Sie auf den Kirchhof hockeln.‹ Da nun der Schulmeister nicht von der Stelle ging und dem Pfarrer immer mehr zusetzte, so stieg der endlich auf, that sich an, und hing sich dem Schulmeister auf den Rücken. So ging's dann bis auf den Kirchhof. Die Zwei, die an der Kirchenthür saßen und noch weiße Rüben schälten und die Schalen hüben und drüben hinaus warfen, sahen in der Dunkelheit, daß da einer mit einer Last auf dem Rücken kam und glaubten nicht anders, als das wäre der Christoph mit dem Hammel. Da rief gleich der eine: ›Hast ihn?‹ und der [406] andere: ›Nun, so bring ihn her, dann wollen wir ihm gleich den Hals abschneiden!‹ Als das der Schulmeister hörte, so wurde es dem so angst, daß er den Pfarrer von seinem Rücken herunterwarf und lief, was er nur laufen konnte. Der Pfarrer aber, dem es gerade so angst war, vergaß sein Podagra, machte sich geschwind auf die Beine, lief hinter dem Schulmeister drein und wäre schiernächst vor ihm gekommen. Nicht lang darnach kam der Christoph wirklich mit dem Hammel und sie haben sich auf den Mittag die weiße Rüben und Hammelfleisch zurecht gemacht und nach der Mahlzeit gesagt, ja, das wär das beste Essen auf der Welt.

Fußnoten

1 Von Herrn Dr. Weigand in Gießen.

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TextGrid Repository (2012). Wolf, Johann Wilhelm. Märchen. Deutsche Hausmärchen. Das beste Essen von der Welt. Das beste Essen von der Welt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AAB0-B