Ein Sendschreiben an einen Priester

Gelehrt-Geehrtester!
ich danke deiner Hand,
Vor den galanten Brief, den du mir zugesandt.
Er ist mir angenehm, er ist mir lieb gewesen,
Ich habe deine Schrift Vergnügungs-voll gelesen.
Ihr Dichter! kommt und seht, wie Wenik zierlich schreibt,
Wie schön, wie rein und hoch er doch die Dichtkunst treibt!
Der Einfall ist galant, die Schreibart ist sehr schöne,
Gelehrter Freund! Dein Lied giebt ein gewünscht Gethöne.
Gieb mir hierbey nicht schuld, als ob die Heucheley
Mir Hand und Kiel geführt, und meine Schwester sey;
O nein! ich brauch sie nicht. Dein Blat kan klärlich zeigen,
Wie schön die Dichterkunst durch dich auch müsse steigen.
Dein Kiel lobt mich zu hoch; er schmeichelt mir zu viel,
Nein! meine Poesie, mein Laut-und Saytenspiel
Verdient noch nicht den Ruhm, den du mir hast gegeben,
O! meine Leyer wird noch nie an Sternen schweben.
Gelehrt-Geehrtester! Ich glaube, daß dein Geist,
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Da er mich durch die Hand im Brief so hoch gepreist,
Die Meinung wohl gehabt, den Hochmuth anzuzünden.
Wie? solte ich durch dich die Bahn zum Denken finden?
O nein! ich bilde mir auf meinen Kiel nichts ein:
Drum wird auch deine Schrift nicht so vermögend seyn,
Daß sie in meiner Brust den Ehrgeitz könt erwecken.
Ach! leider! brachte mich die Feuers-Glut in Schrecken;
Ach! daß mir diese Noth der Häuser rothes Grab,
So viel betrübten Stoff zur neuen Dichtkunst gab!
Ich bin, so wohl wie du, (man kans ja klärlich lesen,
Wenn man die Ode sieht) kein Stoicker gewesen.
Was aber scherzest du, als hätt ich in dem Brief,
Der vor nicht langer Zeit von mir nach Hamburg lief,
Geschrieben und gesetzt, als ob ich mein Geschlechte
Zun Engeln zehlete, und um die Menschheit brächte?
Den Anfang meiner Schrift hab ich mit Vorbedacht,
Satyrisch aufgesetzt, und scoptisch vorgebracht,
Ich habe die gehöhnt, die öfters disputiret:
Ob uns ein menschlich Thun und menschlich Wesen zieret?
Diesweil uns nun Verstand, Gedächtniß und Vernunft
Gleichwie die Männer ziert; so muß ja unsre Zunft
Auch gleichfals menschlich seyn. Denn weil wir diese Gaben,
Die Menschen eigen sind, so gut wie Männer haben;
So folgt ja klar genug, daß wir auch Menschen sind.
Nimm, was jetzt deine Hand von meiner Arbeit sindt,
Und lies es liebreich durch. Ich möchte heimlich hören,
Wie hoch du meine That wirst loben und verehren,
Was du davon erzehlst: Was Mund und Seele sagt,
Daß ich mich in den Berg und auf die Fahrt gewagt.
Ich wünsche: Lebe wohl! Ein gütig Angedenken
Wolst du,
Geehrtester!
der treusten Freundin schenken.

Den 16. Merz 1737.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Vermischte Gedichte. Ein Sendschreiben an einen Priester. Ein Sendschreiben an einen Priester. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AB99-6