Auf die Reise eines gelehrten Freundes

Den 14ten Merz 1736.


In andern Namen.


Hat nicht der Schöpfer dieser Welt
Den Leib zur Arbeit ausersehen?
Worzu hat ihn der Herr bestellt?
Er schafft und darf nicht müßig gehen.
Inzwischen find er auch an etwas seine Lust;
Heut will er sich an diesen Schätzen,
Nach seines Herzens Wunsch ergötzen,
Und morgen labt er auch an jenen seine Brust.
Desgleichen kriegt er auch auf seiner Lebens-Reise,
Zu seinen Unterhalt und Nahrung Trank und Speise.
Mit solchen stärkt er sich und sieht,
Wie liebreich ihn die Allmacht zieht.
[388]
Die Seel hat gleiche Eigenschaft,
Sie will und kan nicht müßig bleiben,
Sie denkt, sie würkt, sie thut und schaft,
Und suchet ihr Geschäft zu treiben.
Sie sucht auch ihre Lust, Vergnügen, Glück und Freud:
Bewirbt sich auch nach gleicher Weise,
Um ihren Unterhalt und Speise,
Und findt sie auch. Woran? An der Gelehrsamkeit.
Dieß ist der Seelen Lust, dieß heiset ihr Vergnügen,
Dergleichen Schönheit kan sie reitzen und besiegen.
Die Seele labt sich nur an ihr,
Und zieht sie Mogols Tafel für.
Je edler nun die Seele ist/
Und je erleuchter sie sich zeiget;
Je herrlicher sie ausgerüst:
Je mehr die Lust zur Weisheit steiget;
Je richtger denket sie; sie ist nur stets bemüht,
Sich der Gelehrsamkeit zu weyhen,
Und sich an diesem zu erfreuen,
Worauf ein kluges Herz und edles Auge sieht.
Ein solcher Geist verlacht die Tändeley der Erden:
Was andern angenehm, will ihm zum Abscheu werden.
Viel edler denkt und schließt sein Sinn/
Und wirft des Pöbels Thorheit hin.
Ein solcher aufgeklärter Geist
Bemühet sich das inre Wesen
Der Weisheit, und was nach ihr heist
Zu forschen, hören und zu lesen.
Er will kein Stümper seyn, er forschet ganz genau;
Er will die Weisheit recht ergründen
Und ihre inre Schönheit finden:
Er geht ihr eifrig nach, und wird nicht träg, noch lam.
Er denket stets bey sich, wer etwas will studiren,
Denselben muß der Ernst, Fleiß, Müh und Sorgfalt zieren.
Denn die Gelehrsamkeit begehrt,
Daß man sie unermüdt verehrt,
[389]
Gelehrter Freund! ein solcher Mann
Bist du von allen zu benennen,
Die dir mit Freundschaft zugethan,
Und die dich aus den Umgang kennen.
Was die Philosophie vor Schätze in sich hält,
Wie weit sie geht, das wilst du wissen,
Du bist nur stets darauf beflissen,
Daß ihre Würdigkeit dir in die Augen fällt.
Du suchst die heilge Schrift nicht oben hin zu sehen,
Du wilst auf ihren Grund und ihre Tiefe gehen.
Was beyden ihren Flor verstärkt,
Das wird von dir mit Fleiß bemerkt.
Wie mancher Ort, wie manch Athen
Hat deine Gaben schon verspühret?
Wer hat dich nicht mit Lust gesehn,
Wenn du den Predigstuhl berühret?
Sophia liebet dich als ihren treuen Sohn,
Und kan sich über dich erfreuen.
Ja Zions Wachsthum und Gedeyen
Wird auch durch dich vermehrt. Man siehts und merkts auch schon.
Drum wird es dir mit Lust und ohne Wiederstreben,
Die Kanzel und Altar nach kurzen übergeben.
Ich weis, der Tempel wartet dein,
Und wünscht durch dich geschmückt zu seyn.
Doch nein, noch nicht! er dulte sich!
Du must noch andre Städte sehen.
Geliebter Freund! nun seh ich dich
Von mir, und von Salinen gehen.
Bleib da! verziehe doch! o! reiß dich nicht von mir!
Umsonst! mein Freund eilt nun von hinnen!
So zieh denn hin! mit meinen Sinnen
Folg ich dir allzeit nach, und bleibe stets bey dir.
Fahr wohl! ein Raphael sey stets an deiner Seiten.
Doch denke auch an mich, und schicke mir beyzeiten
Ein Blat von deiner werthen Hand,
Dieß fordert unser Freundschafts-Band.
[390]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Lob- Ehren- und Glückwünschende Gedichte. Auf die Reise eines gelehrten Freundes. Auf die Reise eines gelehrten Freundes. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ABE4-B