Andächtige Betrachtung über den am Kreuz sterbenden Jesus

Ode.


Was? seh ich hier auf Golgatha
Mein liebstes Heil am Kreuze schweben?
Ich zittre; denn ich schaue da
Wie Hände, Füß und Haupt viel Ströme von sich geben.
Ist das mein Seelen-Bräutigam?
Ist dieß der Schönste unter allen?
Ja Seele! dieß ist Gottes Lamm.
Ey solt mir dieses nicht in seinem Blut gefallen?
Ja! ja! Mein Schönster! weis und roth!
Ich liebte dich in Freuden;
Ich küßte dich in Leiden,
Und jetzo labt mich auch dein bittrer Kreuzes-Tod.
[79]
Dein Blut, daß ströhmend von dir fällt,
Netzt Golgatha und seine Ritzen.
Wie? soll der Schweiß von meinem Held,
Dieß Kleinod, dieser Saft dem starren Felsen nützen?
Ich halte meine Hände auf.
Um diesen Purpur aufzufassen.
Ich wasche mich: was folgt hierauf?
Ich kan in solchem Schmuck vor Gott mich blicken lassen.
Hier ist mein Herz; es soll dieß Blut
Zur Gabe überkriegen:
Damit will ich besiegen
Den Teufel und mein Fleisch, und auch der Höllen-Wuth.
Dort ist der Kampf-Platz, wo der Fürst
Des Himmels mit der Schlangen kämpfet.
Und ob sie schon die Zähne knirst;
So wird doch ihre Macht getilget und gedämpfet.
Hier stirbet zwar Immanuel,
Es kostet unserm Held das Leben;
Doch dieß kan seinem Israel
Geist, Stärke, Muth und Kraft, ja gar das Leben geben.
O Wahlstatt! welcher keine gleicht!
Wo ist ein Held gestorben,
Der solchen Ruhm erworben?
Vor eines Helden Tod die ganze Hölle weicht.
Allein mein Held! wo bleibt die Pracht?
Wo ist denn dein Parade-Bette:
Ach! ist ein Pfahl dir zugedacht?
Soll der die Bahre seyn? Ist dieß die Ruhe-Stätte?
Du stirbst, O Jesu Gottes Sohn!
Am Kreuz mit grossen Schmerzen,
Durch deine Wunden, Schmach und Hohn,
Begnadgest du dein Volk, und heilst der Sünder Herzen.
Der Herr stirbt vor die Creatur,
Der heilge und Gerechte
Vor Sünder und vor Knechte;
Erwege was Gott thut! bedenke dieses nur!
[80]
Komm Israel! kommt! die der Biß
Der Feuer-Schlangen scharf gestochen;
Komt her! allhier wird ganz gewiß
Der bittre Schmerz gestillt, der Krankheit Joch zerbrochen.
Kommt! blickt die ehrne Schlange an,
Die Gott hier schmerzlich aufgehangen.
Wer diese glaubig sieht, der kan
Heil, Leben, frische Kraft, Gesundheit, Stärk erlangen.
O Wort voll Trost! ja! ja! die Kraft
Hab ich bereits empfunden:
Es heilen meine Wunden:
Ich fühle neue Stärk und frischen Lebens-Saft.
Wie wohl und sanfte ist es mir,
An dieser blutgen Brust zu liegen!
Nun kan kein Feind, kein höllisch Thier,
Die Welt und auch mein Fleisch mich warlich nicht besiegen.
Nunmehr darf ich mit Freudigkeit,
Zum Thron des Grossen Vaters treten;
Ich kan nun mit Zufriedenheit,
Und voller Zuversicht, das Abba Vater! beten.
Mein Schuld-Buch wird mit Jesu Blut/
Und Schweiße unterstrichen,
Ich werd mit Gott verglichen,
Und wieder ausgesöhnt. Er wird mir wieder gut.
Geh Welt, du falsche Delila!
Von dir mag ich durchaus nichts hören;
Ich will mich nur nach Golgatha
Mit sehnlicher Begier zu meinen Jesum kehren.
Dein Mund ist zwar voll Süssigkeit,
Er schmeichelt, küßt und scherzet;
Allein nach einer kurzen Zeit
Stößt er die Schalkheit aus, die uns nicht wenig schmerzet.
Du bist des Joabs Ebenbild;
Drum geh! mir soll vor allen
Nur Jesus wohlgefallen,
Und was am Kreuzesstamm aus seinen Wunden quillt.
[81]
Zwar fühl ich wohl den Streit in mir,
Den Fleisch und Blut hierbey erreget;
Doch Christus stärkt mich für und für,
Der meiner Feinde Pfeil mit Macht zurücke schläget.
Betracht ich, wie hier Jesus kämpft,
Und wie er schmerzlich vor mich leidet;
So wird die Lust der Welt gedämpft:
Der Geist sich warlich nicht an Wollusts-Rosen weidet.
Wenn Gott am Kreuze schmachtend schreyt:
Wie hat mich Gott verlassen!
Wer solte sich nicht fassen,
Daß er der Welt abstirbt, und sie vermaledeyt?
Geh Welt und Sattan! mit der Macht
Des Heylands will ich dich bezwingen.
All deine Wollust, Ehr und Pracht
Soll meine Seele nicht zu deiner Liebe bringen.
Ja, treibst du mich zur Sünde an;
So schau ich auf dem Schädel-Hügel,
Ich merke, was hier Gott gethan;
Dein Liebreitz raubt mir nicht das güldne Glaubens-Siegel.
Herr Jesu! deine Todes-Pein,
Und was du hast gelitten,
Da du vor mich gestritten,
Soll meine Ehr und Schmuck, Lust und Vergnügen seyn.
Du hast, mein Seelen-Bräutigam!
Dein schweres Kreuz sehr gern getragen.
Du ließt dich als ein stilles Lamm
Der Welt, und mir zu gut an solches willig schlagen.
Wohlan! so will ich auch mein Theil
Des Leidens, ohne sündlich Grämen,
Und ohne Murren, wie mein Heil
In meiner Lebens-Zeit auch auf die Schultern nehmen.
Zudem trägt auch mein Jesus mit,
Zieht selbst den Rücken unter,
Und macht mich frisch und munter,
Und bricht zuerst die Bahn. Ich folge seinem Schritt.
[82]
Herr! deinen Gang nach Golgatha
Vollführst du zwar mit heisen Zähren;
Der Schmerz geht dir empfindlich nah;
Man will dir nicht einmahl den Labsals-Trank gewehren.
Dein Thränen-Guß wird mir zum Wein,
Dein Augen Salz zum Gift der Sünden;
So kan ich ja in aller Pein,
Und tiefster Traurigkeit, das süßte Labsal finden.
Ihr Jüden speyt nur immer drauf,
Und lachet seiner Striemen,
Ich will mich ihrer rühmen,
Wißt aber, Gottes Zorn wacht euch zum Falle auf.
Gott hat den Jüden manche Stadt
Zur Freystadt gnädiglich geschenket.
Viel besser ists, wer Sorgen hat,
Wenn er an Golgatha und Christi Creuz gedenket.
Hier ist die Freystadt vor den Fluch,
Vor Gottes Zorn, der Höllen Schrecken,
Und vor das grosse Schulden-Buch,
Das unsre Strafe wird am Jüngsten Tag entdecken.
Ihr Ubelthäter eilt herzu!
Ihr Sünder, kommt mit Haufen
Nach Golgatha gelaufen!
Hier könt ihr sicher seyn; hier findt ihr sanfte Ruh.
O! blick auf diesen Berg hinauf!
Bleib hier mit Andacht stille stehen.
Hier ist der Blut-Altar, worauf,
Worauf du Gottes-Lamm kanst schmerzlich opfern sehen.
Bedenk, was Sohn und Vater thut:
Des Sohnes heise Liebes-Flammen,
Des Vaters starker Zorn und Glut,
Die schlagen auf einmahl mit starker Macht zusammen.
So muß das Unschulds-volle Lamm
Vor unsre schnöde Sünden,
Das Opfer-Schwerd empfinden
So wäschet uns sein Blut von unserm Sünden-Schlamm.
[83]
Den, welcher Gott und Schöpfer ist,
Muß ein Geschöpf, ein Engel stärken.
Dieß ist noch nicht genug, Herr Christ!
Du must noch größre Schmach erdulten, sehn und merken.
Ein Eßig-Schwam, ein Gallen-Saft
Muß dich, O Geber aller Gaben!
In deiner bittern Leidenschaft,
In deinem heisen Durst und grosser Schwachheit laben.
Du must ein Spott der Leute seyn,
Du must dich auf der Erden
Als wie ein Wurm gebehrden;
Der Jüd und Heyde sucht dich schimpflich anzuspeyn.
Komm Zion! schau den König an!
Komm! siehe ihn in seinem Blute!
Hat dieß sein eignes Volk gethan?
Wie ist dir Israel bey deinem Held zu muthe?
Seht welch ein Mensch! so ruft man laut.
Was kan wohl diesem Elend gleichen?
Ihr Engel kommt zum Kreuz und schaut,
Ob dieß der Herzog sey, vor welchem alle weichen?
Ist dieß der Trost Immanuel,
Dem ihr zu Ehren singet,
Und heilig, heilig bringet?
Ist dieses Gottes Sohn? der Fürst von Israel?
Der Mund voll Trost und Süßigkeit
Muß jetzo schmachten und erblassen;
Die Hände fühlen Kampf und Streit,
Und müssen sich am Kreuz so scharf durchbohren lassen.
Das heilge Haupt ist aufgeritzt;
Die Brust ist mörderlich durchstochen.
Der ganze Leib von Blute schwitzt,
Die Augen schliessen sich, das Herz ist schon gebrochen.
Der Herr schreyt laut und stirbet nun.
Kommt, kommt ihr frommen Kinder!
Kommt aber auch ihr Sünder,
Und schlagt an eure Brust, und lernet Busse thun.
[84]
Den Menschen kränkt nicht deine Noth;
Den Elementen schmerzt dein Leiden.
Die Sonne klagt bey diesem Tod,
Und zieht den Glanz zurück, sie scheinet zu verscheiden.
Es klagen Himmel, Erd und Stein,
Dieweil ihr Felß und Schöpfer stirbet.
Die Erde bebt vor Angst und Pein;
Die Gräber öfnen sich, der Vorhang reißt, verdirbet.
Der Himmel zeigt am Tage Nacht,
Und suchet mit zu trauren.
Wen solte denn nicht dauren,
Daß man den Lebens-Fürst so schmählich umgebracht.
Ach! da mein Seelen-Freund erblaßt,
So eckelt mir auch vor dem Leben!
Die Welt ist mir nunmehr verhaßt,
Ich wünsche meinen Geist mit seinem aufzugeben.
Wie? solte mich die schnöde Welt
Des Heylands Mörderin ergötzen?
Daß, was sie nur vor kostbar hält,
Soll meine Seele nicht in Lust und Freude setzen.
Ich kenne ihre Schätze schon,
Ich kenne ihre Stricke,
Ich weiß auch ihre Tücke;
Drum geh du Mörderin von Jesu Gottes Sohn!
Allein was klag ich dich nur an!
Was such ich dir die Schuld zu geben!
Ich habe selbst den Mord gethan!
Ich schluge Gott ans Kreuz; ich brachte ihn ums Leben!
Ach! meine Sünden haben dir
Das Blut am Oelberg abgedrungen.
Mein böser Wille und Begier
Sind schuld, daß du mit Gott, mit Höll und Tod gerungen.
Ich selbst bin Judas, welcher dich
Durch ungerechte Thaten
So frech und schnöd verrathen.
Ich gabe dir Herr Christ! den größten Versen-Stich.
[85]
Mein hart und ungehorsam Herz
Hat dir die Bande angeleget.
Mein leichter Sinn und eilter Scherz,
Hat dir in dem Verhör viel Angst und Noth erreget.
Ich brachte dich am Geisel-Pfahl;
Ich gab dir Schläge, Striem und Wunden,
Du hast durch mich die Todes-Quaal,
Der Dornen herben Schmerz, die Nägelmal empfunden.
Vor meine Sünden groß und klein
Läßt du den Purpur fliessen;
Du must erschröcklich büssen;
Wie könt ich grausamer und wohl verruchter seyn?
Ach weh! wo soll die Sünderin
Sich vor der Missethat verstecken?
Ach grosser Gott! wo flieh ich hin?
O! möchten mich doch jetzt die Berge nur bedecken!
Ach! mein Gewissen klagt mich an,
Der Himmel will mich überzeugen;
Gott rufet: Was hast du gethan?
Die Erde will zugleich um Straf und Rache schreyen.
Die Hölle sperrt den Rachen auf,
Und sucht mich umzubringen,
Und plötzlich zu verschlingen;
Ich bin der Höllen Raub, der Sattan wart schon drauf.
Doch nein! schweig Hölle! Teufel weich!
Du solst kein Theil an mir mehr finden.
Gewissen, Erde, Himmelreich
Und was mich sonst verklagt, soll mich nicht überwinden.
Der Sattan ist ja selbst verdammt,
Was will er mich denn plagen?
Es lief auch wider Gottes Amt,
Gnad und Barmherzigkeit, wenn er mich ließ verzagen.
Nein, wer mit Andacht, Buß und Reu,
Zur Schädelstätte fliehet,
Und nur auf Jesum siehet,
Ey! den verstößt Gott nicht, er spricht ihn wieder frey.
[86]
Ich kan ja nicht verlohren seyn,
Sonst wäre Christus nicht gestorben;
Durch eben diese Todes-Pein
Die ich ihm zugebracht, hat er mir guts erworben.
Durch seinen Tod macht er den Fluch
Und Gottes strengen Zorn zunichte.
Sein Blut vertilgt mein Schulden-Buch,
Und rettet mich vom Tod und ewigem Gerichte.
O heise Liebe! holde Güt!
Die Sünderin soll leben;
Die dir den Tod gegeben:
Sie ist es, die dein Arm aus dem Verderben zieht.
Wie solt ich dir die Liebes-Glut
Und seltne Treu verdanken können!
Nimm hin den Geist, nimm hin mein Blut,
Nimm hin mein Herz, es soll von deiner Liebe brennen.
Geist, Seele, Zunge, Ohr und Hand
Will ich dir gänzlich übergeben.
Ich will in diesem Sünden-Land,
Auf meiner Wanderschaft nur dir zu Ehren leben.
Dein Leiden soll mein Spiegel seyn,
Wie auch mein Trost und Freude,
Und meiner Seelen Weide.
Du gehst doch diesen Bund, mein Jesu! mit mir ein?
Ja, wie du dort so mildiglich
Vor deine Feinde hast gebethen,
So bitte auch bey Gott vor mich,
Daß ich nicht unerhört zurücke dörffe treten.
Dein Kreuz gieb mir zum Wander-Stock,
Damit ich nicht im Gehen gleite.
Dein Purpur-Mantel sey mein Rock,
Die Labung meiner Brust das Blut aus deiner Seite.
Und endlich nach vollbrachtem Lauf,
Nach Streiten und Ermüden,
So hohle mich in Frieden
Nach Salems güldner Stadt, ins Paradieß hinauf.
[87]

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TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Andächtige Betrachtung über den am Kreuz sterbenden Jesus. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ABF4-5