Ein Sendschreiben

O Wohlgebohrner Herr!
Was kömt mir vors Gesicht?
Was lese ich von dir? Was vor ein schön Gedicht,
Und nette Parodie hör ich von dir erklingen?
Weswegen wilst du denn mir jetzt zu Ehren singen?
[528]
Galanter Cavalier! was fällt dir doch nur ein?
Ich hab ja nicht das Glück mit dir bekant zu seyn,
So hab ich dir auch nie den kleinsten Dienst erwiesen,
Und du hast mich so groß verehrt und hochgepriesen.
Ich kenne meinen Kiel, ich kenne meine Kraft,
Mein Kiel hat warlich nicht die schöne Eigenschafft,
Die du von mir gerühmt; ich solte zwar die Gaben,
Die zu erheben sind, und die du lobest, haben.
Dir hat die Höflichkeit die Feder nur geführt,
Du hast mit Zärtlichkeit die Strophen ausgeziert.
Allein, was wird denn wohl die Wahrheit darzu sagen?
Sie wird dich, und mit Recht, beym Musen-Chor verklagen.
Dein Kiel preist mich zu stark, er hält von mir zu viel.
Ja, schriebe ich wie du, ja wär mein Saytenspiel
So schön wie deins gestimmt, so möcht es wohl noch gehen;
So aber muß ich mich von dir beschämet sehen.
Gelehrter Edelmann! du hast mich roth gemacht;
Du hast mich sehr verfärbt. Vielleicht hast du gedacht,
Mir ein Sirenen-Lied mit Anmuth vorzusingen,
Um mich dadurch zum Stolz und Hochmuth aufzubringen.
Du hast mich scharf versucht. Ich hatte gnug zu thun,
Daß ich hier nicht gefehlt. Doch kan mein Geist nicht ruhn,
Indem er stets gedenkt, ob mich – – – Bogen
Mehr als dein reitzend Lied zur Frölichkeit gezogen,
Und mich vergnügt hat? Wo aber bleibt der Dank
Vor deine Höflichkeit, vor deinen Lobgesang,
Und mir erzeigte Ehr? Ich seh mein Unvermögen
Den Dank nach Schuldigkeit und Wunsche abzulegen.
Drum sieh, Geschickter Herr! jetzt diese Zeilen an:
Ich danke dir, so hoch ich dir nur danken kan.
Nimm dieses gütig auf; Zeit und Gelegenheiten
Die werden mich noch schon zu etwas anders leiten,
Das mich der Schuld befreyt, in der ich bey dir steh.
Und wie ich auf dem Blat vor deinem Lied erseh,
So hat dein Vaterland von dir schon nette Proben
Der reinen Dichterkunst aus Preß und Druck gehoben.
Ich habe aber nie das schöne Glück gehabt,
Daß mich ein Blat von dir und deinem Kiel gelabt.
Ich sehne mich darnach; und hätt es darum gerne,
Weil ich dadurch sehr viel von deiner Dichtkunst lerne.
[529]
Drum bitt ich mir ein Blat gehorsamst von dir aus.
Kommt denn dein Klag-Gedicht von Fluth und Trauren raus,
So wird dich, wie bisher, die Welt bewundern müssen.
Ich wünsche: Lebe wohl! die Post befiehlt zu schiessen.

Den 20. Augusti 1736.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Vermischte Gedichte. Ein Sendschreiben [1]. Ein Sendschreiben [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AC0A-D