Sendschreiben an den Priester, welcher das letztere Schreiben erhalten

Mein Hochgeehrter!
Zürne nicht, dieweil ich dir nicht ehr geschrieben,
Und dir auf dein geschicktes Blat so lang die Antwort schuldig blieben.
O! langsam kommt auch nie zu späte, es lauft die Schuld doch endlich ein,
Und darum glaub ich, deine Güte wird diesen Fehler mir verzeihn.
Allein was wundert sich dein Herz, daß ich nicht nur zum Pindus gehe,
Nein, sondern auch die untre Welt und ihre tiefsten Klüste sehe?
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Wie? ist mir dieses nicht erlaubt? Ist denn nicht Weibern zugelassen,
Die Wunderwerke der Natur bald hier bald dort ins Herz zu fassen?
Den Bergmönch hab ich nicht gesehen, drum weis ich nicht, was er gedacht,
Als ich ihn zweymahl die Visite in Bergmanns-Kleidern hab gebracht.
Doch ist mein Zuspruch seinem Volk ganz wunderbarlich vorgekommen,
Dieweil man dieß in Ilmenau noch nicht erlebet/ noch vernommen.
Das ist gewiß, die Bergmanns-Kleider zieht man als Sterbe-Kittel an:
Denn viele finden in demselben der Ewigkeit geweyhte Bahn.
Ich bin mit festgesetztem Muth durch Gang und Schächte durchgefahren,
Die Fahrt hat mich so sehr vergnügt, als keine Zeit in meinen Jahren.
Die Knapschaft, so mich frisch gesehen, legt mir das gute Zeugniß bey:
Daß ich von unerschrocknem Geiste, und gar nicht bleich geworden sey
Allein, du Hochgeehrtester! du hältst den Feldzug meiner Glieder
Gar nicht vor gut, und rufst mir zu: Sidonia thu dieß nicht wieder.
Allein was ist der Grund der Warnung? Ists der Verlust von meinem Geist?
Der fahre hin! ich seh es gerne, wenn meines Lebens Band zerreist!
Ich habe nie das Grab gefürcht: doch will ich nie verwegen handeln,
Und dadurch wider meinen Gott und seine heilge Vorsicht wandeln.
Gelehrter! meinest du, die Erde büßt durch mein Sterben etwas ein?
Mitnichten! Denn es leben andre, die weit geschickter als ich seyn.
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Indeß bin ich vor deinen Rath, Gelehrter Freund! gar sehr verbunden,
Ich schätz ihn hoch, er hat in mir den Beyfall, wie er soll, gefunden.
Was aber zweiflet deine Seele, daß mich die Gruft so hoch ergötzt,
Als ich in meinem Werk gerühmet, u. durch die Feder aufgesetzt?
Du forderst dieserhalb Beweiß. Den kan ich dir nicht besser geben,
Als wenn ich sage: Glaube mir. Genug mein Herz, mein Blut und Leben
Hat tausend Lieblichkeit geschmecket. Glaubst du noch nicht; so rath ich dir
(Damit du nicht mehr zweifeln mögest) machs eben so, und folge mir!
Fahr in den Schacht! Jedoch du kanst das Glücke nicht wie ich erblicken,
Weil du so stark am Leibe bist; du würdest würklich bald ersticken.
Du köntest in den Schacht nicht kommen, nicht auf der Fahrt und Bühne stehn,
Du köntest dich auf keine Weise beregen, noch im Stollen drehn.
Und weil du diß nicht haben kanst, so suchst du mich nur auszulachen,
Bist neidisch, und gedenkest mich auf diese Weise bös zu machen.
Nein, dieses wird dir nicht gelingen. Ich bin dir auch deshalb nicht feind.
Verzeih, Hochwehrter! meiner Feder, wenn sie anjetzt zu scherzen meint.
Und bin ich gleich zu meiner Lust, und auch zum Ruhm ein Bergmann worden;
So bleib ich dennoch nach wie vor ein Mitglied in der Musen Orden,
Sie werden mich deshalb nicht hassen. Vielmehr erlangt mein saurer Fleiß,
Den ich hierbey gebrauchet habe, zum Wiedergeld ein Lorbeer-Reiß.
Inzwischen dank ich deiner Hand, daß sie den Werken meiner Hände
Ein angenehmes Räumgen schenkt. Doch ehe mich zum Schlusse wende,
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So schließ ich auch an deine Liebste den schuldigsten Empfehl mit ein.
Es wird
Mein Hochgeehrtester!
beständig deine Dienerin seyn.

Den 22.May 1733.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Sendschreiben an den Priester. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ACB9-5