Aus dem 55sten Capitel des 2. Buchs vom wahren Christenthum

Vom Verzug Göttlicher Hülfe


Verzage nicht mein Christ in deiner Noth und Pein,
Und sprich, der Herr will nicht mein Schutz und Helfer seyn;
Es will mich seine Hand bey meinem Fall nicht fassen;
Gott hat mich ganz und gar in meiner Noth verlassen,
Mein Christ besinne dich! es ist gewiß nicht so!
Gott machet dich im Kreuz mit Trost und Hülfe froh.
Er steht dir kräftig bey; der Herr will nicht verweilen,
Was du Verziehen nennst, das ist bey Gott ein Eilen.
Denn, weil der treue Gott nach seinem weisen Rath,
Dir deine Noth gesetzt, und abgemessen hat;
So darf kein Thränlein mehr aus deinen Augen rinnen,
Als Gott bestimmet hat. O gütiges Beginnen!
Drum auf! verzweifle nicht! stellt sich gleich Kreuz und Pein,
Im Anfang, wie du meinst, mit vollen Haufen ein;
Es muß doch endlich noch das dir bestimmte Leiden,
Nachdem es ausgeraßt, aus deiner Wohnung scheiden.
Drum denke, lieber Mensch, bey jeder Noth und Schmach,
Gott lob! des Kreuzes Zahl läßt alle Tage nach,
Und wird stets weniger. Was willst du denn verzagen?
Zu dem so hilft dir Gott auch selbst das Leiden tragen,
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Und beut dir seine Hand bey jedem Tritt und Schritt,
Wobey er dich zugleich mit Tröstung überschütt.
Und also hast du doch im Kreuz die Ruh der Seelen,
Und kanst des Herren Gnad vor seinem Volk erzehlen.
Wer aber seine Noth, die Gott ihm aufgelegt,
Mit Zagheit, Ungedult und schnödem Murren trägt:
Dem wird sein Kreuz zur Last, die Seele wird beschweret,
Er weis von keinem Trost, wenn ihm was wiederfähret.
Drum, Seele gieb dich drein, sich nur auf Jesum Christ,
Wie er gelitten hat, und still gewesen ist.
Demselben folge nach, so wirst du Ruhe finden.
Such auch des Glaubens Licht bey dir recht anzuzünden,
So wird dein Herz davon ganz stark und frey gemacht,
Und Gott ist desto mehr auf seine Hülf bedacht.
Der weise König spricht aus seinem klugen Munde:
Ein jedes Thun und Werk hat seine Zeit und Stunde.
Drum ist das Kreuz uns nicht von ohngefehr gesandt;
Nein, Gottes weiser Rath, und dessen hohe Hand
Hat schon vorher versehn, verordnet und gemessen,
Wie viele Thränen wir aus unsern Augen pressen.
Glück, Unglück, Ehr und Schmach, Geld, Armuth, Schmerz und Spott,
Das Leben und die Gruft kommt nur allein von Gott.
Dieß ist gewiß ein Wort, darauf wir auch im Grauen,
All unsre Zuversicht und süße Hoffnung bauen.
Ward Joseph nicht versucht in seiner Jugend-Zeit,
Mit Neid, Verfolgung Haß, Gefängniß, Traurigkeit?
Und gleichwohl da er dieß gedultig ausgestanden,
So war des Höchsten Gnad auch desto mehr vorhanden.
Er brachte seine Zeit, die Gott gesetzt, mit Ruh,
Mit Ehr und Herrlichkeit, und vielem Seegen zu.
Drum, ob wohl mancher Christ auf eine Zeit viel leidet,
Wird er gedruckt, verfolgt, verlästert und geneidet;
So währt es doch nicht stets. Der Tag kommt dennoch an,
Da man von Gottes Güt und Hülfe sagen kan.
Gott, der die Trübsal ruft, und ihre Gränzen setzet,
Der winket auch der Zeit, die unser Herz ergötzet,
Und zieht die Stunde vor, darinnen er uns tröst,
Und uns von unsrer Noth befreyet und erlößt.
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Ein Vater überlegt, wie viel in jungen Tagen,
Sein Kind vermögend sey von Arbeit zu ertragen:
Und hiernach theilt er auch die Arbeit klüglich ein,
Und weiß, wenn es damit zu Stande könte seyn.
Gott handelt gleich also: Er kennet unsre Kräfte,
Wie viel die Schulter trägt; daher auch die Geschäfte,
So er uns auferlegt, in gleicher Wage stehn,
Und niemahls über uns und unsre Stärke gehn.
Er weiß, wie bald wir sie zu Ende können bringen:
Und alsdann läßt er uns auch von Erlösung singen.
Gott sieht am besten wohl, wenn er es ändern soll,
Wenn seine Stunde kömmt, macht er uns Freudenvoll;
Er will stets über uns mit seiner Güte walten.
Gleich wie er sich die Wahl der Trübsaal vorbehalten,
So weiß er auch allein die rechte Stund und Zeit,
Darinnen er die Brust von aller Noth befreyt.
Drum stell dein Forschen ein, du grüblest nur vergebens.
Du weist ja, was der Herr und Herzog unsers Lebens,
Zu seinen Jüngern sprach: Seht! es geziemt euch nicht,
Daß ihr die Zeiten wißt, in welchen das Gericht
Von Gott bestimmet ist. Dieß sollst du gleichfals merken,
Und dich je mehr und mehr in dem Vertrauen stärken.
Gott weiß wer leben soll; wo jedes Menschen-Kind
An einem jeden Tag sein Brod und Nahrung findt,
Obgleich der treue Gott den tugendhaften Herzen,
In diesen Jammerthal Leid, Trübsal, Noth und Schmerzen
Vorlängstens zugedacht, und abgemessen hat;
So hat er dennoch auch nach seinem weisen Rath,
Der Bosheit, die sie quält, und jedem Läster-Munde,
Der sie verfolgt und schmäht, Jahr, Tage, Zeit und Stunde
Gesetzt und abgezehlt; da legt er ihnen ein,
Daß sie nun ferner nicht den Seinen schädlich seyn.
Wenn er die Zeit ersieht, so hebt er an zu schelten,
Die Rache ist nur sein; er will und wird vergelten.
Die Frommen leiden nicht bis an das Ende noth;
Bißweilen labt sie auch der Herr mit Zucker-Brod.
Und soll es hier nicht seyn; so kömmts an jenem Tage:
Drum leide mit Gedult, mein Christ, die Noth und Plage.
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Geistliche Gedichte. Aus dem 55sten Capitel des 2. Buchs vom wahren Christenthum. Aus dem 55sten Capitel des 2. Buchs vom wahren Christenthum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AD41-9