Sendschreiben an eine Schlesische Dichterin

Geschickte Dichterin!
O sprich nicht, daß mein Haupt
Mit einem Lorber-Kranz bezieret und belaubt,
Und ausgeschmücket sey? Ich kenne mein Vermögen,
Ich muß noch stärkern Grund zu meiner Dichtkunst legen.
Eh ich ihn würdiglich und rühmlich tragen kan.
Man steigt mit Fleiß und Schweiß gemach den Berg hinan,
Worauf der Musen-Fürst den Altar hat gegründet,
Auf welchem man sein Feur und Opfer-Gaben findet.
Ich strebe zwar darnach, daß ich mit Ehr und Ruhm,
Und zu Minervens Lust der Musen Heiligthum
Dereinst betreten mag; Ob aber meine Kräfte,
Mein Wille, Müh und Fleiß dieß wichtige Geschäfte
Zu fassen fähig sind, daß muß ich erst noch sehn.
Ich zweifle, daß ich werd so weit zum Pindus gehn.
Wie? solte ich der Stof von deinen Lidern heisen?
Kan dir nichts edleres den Weg zum Dichten weisen?
Nimm einen Held vor dich, und singe ihm zum Preiß,
Dieß gibt dir bessern Stof; dieß wird dir deinen Fleiß
Und angewandte Kunst mit Ehr und Lob begleiten,
Dieß wird dir Hand und Kiel yu schönen Liedern leiten:
Daß mancher muntre Geist zu meiner Ehre singt;
Und mancher netter Kiel ein schön Geschenke bringt,
Das würkt die Höflichkeit; die Großmuth will darneben/
Ist mein Verdienst gleich schlecht, mein wenig Lob erheben.
Nein, Wehrte Guttmanin! Mein Thon und mein Gesang,
Mein ganzes Sayten-Spiel und meiner Harfen Klang
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Gleicht gar auf keine Art des Orpheus süssen Thönen.
Ich glaube, du wilst mich mit diesem Gleichniß höhnen;
Eugen der tapfre Held und grosse Musen-Freund,
Ist ja wohl werth genug, daß man ihn scharf beweint.
Wenn ich nur seinen Tod und sein Parade-Bette,
Nach Wunsch und Würdigkeit recht schön besungen hätte.
So wär mein Geist vergnügt. Wie? Ist dieß nicht zu viel,
Daß du, Geehrteste! mein Rohr und Sayten-Spiel
Mehr als das Schlesische in deinem Brief wilst loben?
Du schmeichlest mir zu stark. Nein, meiner Lieder Proben
Bezeugen, daß ich nicht die zehnde Muse bin.
Darzu gelang ich nicht. Da denke ich nicht hin.
Indessen dank ich dir vor dein geehrtes Schreiben,
Es soll mir gleich wie du im Andenken bleiben.
Ich schliesse, lebe wohl! begehe dieses Fest,
Das uns des Menschen Sohn mit nächsten feyren läßt
Vergnügt und höchst erfreut, und leg mit Heil und Glücke
Das bald verstoßne Jahr nach deinem Wunsch zurücke.

Den 17. Des Christmonats 1736.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Vermischte Gedichte. Sendschreiben an eine Schlesische Dichterin. Sendschreiben an eine Schlesische Dichterin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AD47-E