Auf das Absterben Ihro Hochwürden Hn. Doctor Reinhards,
Herzoglich-Weißenfelsis. Ober-Hofpredigers, Ober-Kirchen- und Consistorial-Raths, und General-Superintendentens,

Den 1 Jenner 1732.


[157] Text, Jesaias am 28. Cap. der 29. Vers.


O wunderbarer Gott! und wunderbar im Rathen!
O! wer erkennt doch wohl dein Wort und dein Gebot?
Wer merket und erwegt die wundervollen Thaten?
Wer schauet auf dein Thun, o! wunderbarer Gott?
Welch ein betrübter Fall zeigt sich am Neuen Jahre!
Des Theuren Mannes Leib zerbricht durch einen Knall!
Man setzet ihn, o Schmerz! auf eine Todten-Bahre,
Man sagt: Er ist entseelt. Welch ein betrübter Fall!
Herr Doctor Reinhardt stirbt, da alles lebt und lachet,
Und sich um Frölichkeit und Herzens-Lust bewirbt;
Ihn aber sucht der Tod, der kurze Arbeit machet.
Ach! schaut ihr Bürger! schaut! Herr Doctor Reinhardt stirbt!
Ist das nicht wunderbar, die Canzel wird das Bette,
Da sich die Seele trennt, und von der Engel Schaar
Zu Gott gehohlet wird, als ob sie Flügel hätte?
Die Kirche ward sein Grab? Ist das nicht wunderbar?
Ein Weltberühmter Mann von hohen Geistes-Gaben
Verschliesset seinen Mund, und sieht die Erde an,
Er wird zum Neuen Jahr dem Leibe nach begraben.
Ach Schmerz! es stirbet heut ein Weltberühmter Mann!
O wunderbarer, Schluß! der muß das Grab begrüssen;
Der manches freches Herz vom ewigen Verdruß
Durch Gottes Wort befreyt, die traurigen Gewissen
Getröstet und gestärkt. O wunderbarer Schluß!
O wunderbarer Rath, den Gott hierbey geschlossen!
Zeigt sich bey diesem Fall auch wohl des Höchsten Gnad?
Wie? kömmt etwa sein Zorn gleich einem Strom geschossen?
Ich denke, dieses ist ein wunderbarer Rath.
Doch rede nicht zu viel, und straf nicht Gottes Wege,
Setz niemahls die Vernunft schlechthin zu deinem Ziel:
Gott ist gerecht und fromm, gerecht sind seine Stege,
Er weis wohl, was er thut, drum rede nicht zu viel.
Und scheints gleich wunderbar, daß dieser Rath geschehen;
So macht doch Gott zugleich auch die Verheissung wahr:
Daß man die Herrlichheit aufs beste kan ersehen;
Es dient zum ewgen Heil; ist es gleich wunderbar.
[158]
Ein Tag der Freude war, da man das Heil beschnitten.
Herr Reinhardt freut sich auch an diesem neuen Jahr,
Warum? sein Ober-Hirt führt ihn in seine Hütten.
Nun saget, ob dieß nicht ein Tag der Freude war?
Er stirbet ohne Pein, ohn Schmerzen/ Weh und Jammer, 1
Kein Grau und keine Quaal nimmt seinen Cörper ein;
Geht ohne Todes-Angst in seine Ruhe-Kammer;
Wird gleichsam eingewiegt, und stirbet ohne Pein.
Er war zum Tod bereit: Er sprach zu jeden Stunden;
Des Geistes Muth und Kraft trotzt Agags Tapferkeit.
Ja wohl! hat Ihn der Tod nicht ungeschickt gefunden,
Er starbe Glaubens-voll; Er war zum Todt bereit.
Er stirbt in seinem Amt als ein getreuer Lehrer,
Ist bis zur letzten Stund von Lehren angeflammt:
Er war in Christi Reich ein eifriger Vermehrer,
Er kämpfte ohne Ruh, und starb in seinem Amt.
O sonderbare Gnad, so wengen wiederfähret!
O rare Gütigkeit! und hochgepriesne That!
Herr Doctor Reinhardt wird mit einem Tod beehret,
Der unvergleichlich heist. O sonderbare Gnad!
Er geht aus dieser Quaal, aus Unruh, Müh und Plagen,
Aus Armuth, Sterblichkeit zum schönen Himmels-Saal:
Er kan nunmehr von Glück, von Ruh und Reichthum sagen,
Bekömmt die Seeligkeit vor dieser Erden Quaal.
Er geht zu Jesu Christ, und allen heilgen Engeln,
Zur auserwehlten Zahl, die ihn ganz freundlich küßt;
Sein Haupt umgiebt ein Kranz von reinen Liljen-Stängeln,
Er eilet aus der Welt, und geht zu Jesu Christ.
Er feuret heut vergnügt das Neue Jahr dort oben,
Wo Lazarus im Schooß des Patriarchen liegt,
Und höret da das Lamm von denen Aelsten loben,
Nun feyret Er mit Recht das Neue Jahr vergnügt.
Zum Neuenjahrs-Geschenk kriegt er die Himmels-Gaben.
(Ich werde ganz entzückt, wenn ich daran gedenk.)
Er wird zur Herrlichkeit auf einem Stuhl erhaben,
Bekommt den Gnaden-Lohn zum Neuenjahrs-Geschenk.
[159]
Der Leib eilt nun zur Ruh, Gott heist ihn schlafen gehen,
Deswegen deckt ihn auch die Gruft so lange zu,
Bis daß ihn Jesus einst vom Toden auferstehen,
Und zu sich kommen läst. Jetzt eilt sein Leib zur Ruh.
Nun schaut! ist Gottes Rath nicht herrlich ausgeführet?
Hat unser Sieges-Fürst die vorgefallne That
Nicht mit besondrer Lust und Wundern ausgezieret?
Wer merket nicht hierbey des weisen Gottes Rath?
Ja wohl in Uberfluß ist dieser zu erkennen,
Und wer den Herren fürcht, der sage zum Beschluß:
Man muß den Wunder-Rath wohl ausgeführet nennen.
Herr Doctor Reinhards Geist spührt dieß in Uberfluß.
Schlaf sanft, verdienter Mann! in deiner Grabes-Höhle!
Die dich nicht ewig deckt, noch stets verbergen kan.
Dein Leib vereinget sich dereinsten mit der Seele,
Indessen aber ruh, und schlaf, verdienter Mann!
Dann ruf Victoria! und geh mit reinen Gliedern,
Und ganz verklärt und schön zu Gott, empfange da
Den aufgehobnen Pracht, mit deinen frommen Brüdern,
Halt da das Neue Jahr, und ruf Victoria!

Fußnoten

1 Er starb unter währender Neujahrs-Predigt auf der Canzel, an einem Schlag-Fluß.

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TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Leichen-Gedichte. Auf das Absterben Hn. Doctor Reinhards. Auf das Absterben Hn. Doctor Reinhards. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ADA8-3