Als Herr Doctor Marcius aus der Wüsten rühmlich gienge, daß er dort sein Bürgerrecht in Jerusalem empfienge;

Schrieb zu seinem Angedenken dieses kurz gebundne Blat, eine Freundin in der Ferne, die den Titel Schwägrin hat.


Im Monat Merz 1736.


Kaum hatte Evens Blick den Baum mit Lust gesehn;
Kaum war der Apfel-Biß von beyder Mund geschehn;
So rief die Gottheit aus; Was habt ihr jetzt verbrochen;
Die Sünde war vollbracht, die Strafe folgte gleich;
Ein Engel jagte sie von Lust und Glück und Reich;
Ja noch ein härter Wort ward über sie gesprochen:
Es hieß: weil ihr gefehlt, und wieder mich gethan,
So solt ihr kräncklich seyn: Ihr werdet sterben müssen.
Dieß scharfe Wort geht nun auch alle Menschen an,
Und dieser alte Bund vermag nichts auszuschliessen.
Ja dieser Bund besteht, so lang der Erden-Kreiß,
Von Menschen, Gras und Laub und Creaturen weis,
Und das gewölbte Rund um seine Achsen gehet.
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Nun hat die höchste Kraft mit Fleiß und Vorbedacht,
Dem Leben Stund und Zeit, und Ziel und Maß gemacht,
So, daß der Schluß so fest, als wie der Bund bestehet.
Dort setzt der Wächter-Rath das Ziel nicht überein.
Der zahlet seine Schuld bey Silbergrauen Haaren,
Dort muß ein kleines Kind ein Raub des Todes seyn,
Oft stirbt ein Jüngling auch in seinen besten Jahren.
Dem aber ohngeacht versuchet doch und sinnt
Ein aufgeweckter Geist, und kluges Menschen-Kind,
Der starken Todes-Hand mit Macht zu wiederstreben.
Es forschet alles aus, was nur die Erde trägt,
Und was so Feld als Wald vor Seltenheiten hegt,
Das muß ihm Stärk und Kraft nach seiner Absicht geben.
Die Wünsche treffen zu, die theure Arzeney
Schlägt in der Krankheit an, die Macht des Todes weichet.
Kommt aber nun das Ziel und unser End herbey;
So ist die Kunst umsonst, man stirbet und erbleichet.
Nur schade daß der Tod ohn allen Unterschied
Und Ansehn der Person die Cörper zu sich zieht,
Und weder Wissenschaft, noch Stand, noch Tugend scheuet.
Erblaßt ein frommer Fürst; so lebet der Tyrann;
Hier herrscht der Aberwitz; dort stirbt ein Weiser Mann;
Hier weinet, heult und klagt, ächzt, winselt, seufzt und schreyet
Ein hart geplagter Mann nach seiner Grabes-Thür;
Allein an seiner statt geht eine Schönheit unter.
Dort sinkt ein Tugend-Bild: der Böse grünt herfür;
Ein Jonathan fällt um; ein Judas bleibet munter.
So gar die Priesterschaft Hygäens schont er nicht,
So weißlich man ihm auch durch Mittel wiederspricht;
So viel Geschicklichkeit man auch dargegen setzet.
Des Todes strenger Blick verhöhnt die Arzeney,
So künstlich, so berühmt, so kräftig sie nur sey:
Hygäens ächter Sohn wird doch von ihm verletzet.
Vor ihm sinckt Aesculap, Hippocrates, Galen,
Ein weiser Theophrast muß gleichfals mit den andern,
Die oben in der Zahl der klügsten Aerzte stehn,
In die bemooßte Gruft zu ihren Vätern wandern.
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Jedoch was schweif ich aus? was führ ich Fremde an?
Da doch das Pleiß-Athen den Satz bestärken kan?
Dieß zeiget, wie der Tod nach Aerzten gleichfals greifet.
Dich Marci; der geschickt, klug, munter/ glücklich war,
Dich legt die Todes-Faust nun auf die Leichen-Bahr,
Eh noch der Mandel-Baum der späten Jahre reifet.
Weil Marci oft dem Tod bey Kranken wiederstund,
So sucht er sich davor aufs härteste zu rächen:
Und darzu dienet ihm der allgemeine Bund,
Drum muß sein Lebens-Schiff zerschellen und zerbrechen.
Ich kan kein Stoicus bey Deiner Leiche seyn,
Die Thränen mischen sich bey meiner Dinte ein.
Wie? solt ich deinen Tod Herr Schwager! nicht beklagen?
Ach! ein berühmter Arzt; ein kluger Doctor stirbt;
Ein dreysigjährger Baum von guter Art verdirbt;
Ein Bild der Gottesfurcht wird in die Gruft getragen;
Der Tugend Ebenbild; ein Freund der Redlichkeit;
Ein junger Bräutigam, den kaum der Ring gebunden,
Liegt jetzt erblaßt und kalt, geht in die Ewigkeit,
Und wird, nur allzufrüh! bey Sterbenden gefunden.
Jetzt, da dein Tugend-Licht am allerschönsten brennt,
Und man dich klug, berühmt und zeitlich glücklich nennt;
Da muß dein Lebens-Licht verlöschen und vergehen.
Dir schickt der Gattin Herz viel Seufzer in die Gruft,
Die Tugend klagt um dich, um Meditrine ruft:
Wie wird es nun um mich und um die Kranken stehen!
Ach! daß der Tod so hart und unerbitlich ist,
Auf keine Trähnen sieht, und auf kein Bitten achtet,
Und uns das Lebens-Ziel so kurz und wenig mißt,
Und unser Klag-Geschrey auf keine Art betrachtet!
Jedoch was klage ich die Hand des Todes an?
Die Gottheit hat den Riß nach ihrem Rath gethan.
Du must, weil du gefehlt, wie alle Menschen sterben.
Doch wer, wie du gelebt, wer sich wie du bezeigt,
Der stirbt nicht, wenn er schon sein Haupt zum Grabe neigt.
Dein Name grünt und blüht, dein Ruhm kan nicht verderben.
Du hast der Welt genützt, der Tugend nachgestrebt,
Und gehest nun mit Ruhm nach Salems schönen Auen,
Allwo dein Geist bey Gott in Ruh und Freude lebt;
Wir aber müssen noch den Dornen-Acker bauen.
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Leichen-Gedichte. Als Herr Doctor Marcius aus der Wüsten rühmlich gienge. Als Herr Doctor Marcius aus der Wüsten rühmlich gienge. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ADCF-B