Das Wort der allerhöchsten Macht

Aus dem 119. Psalm der 72. Vers

Das Gesetz deines Mundes ist mir lieber, denn viel tausend Stück Goldes und Silber.


Das Wort der allerhöchsten Macht
Ist wohl ein Schatz, dem alle Schätze weichen;
Wer hat je was hervor gebracht,
Das diesem könnt an Schmuck und Reichthum gleichen?
Des Höchsten theures Wort ist voller Geist und Kraft,
Voll Stärk und Lieblichkeit, und voller Lebens-Saft – – –
Hier merke ich mein Unvermögen,
Dein Wort nach Würden auszulegen.
Nichts als dein Wort belebt die Brust
Der Redlichen, die dich von Herzen lieben;
Sonst kan sie nichts als der Verlust
Von diesem Schatz bestürzen und betrüben.
Die Auserwehlten sind bey deinem Wort erfreut;
Es labt sie sonsten nichts als dessen Süßigkeit:
Dein heilges Wort kan ihrem Leben
Die angenehmste Wollust geben.
[58]
Dein Wort macht Noth und Leiden leicht,
Und stärket uns, die Trübsal gern zu tragen.
Wenn uns der Herr zu grausam deucht,
So weis es uns den Wahn bald zu verjagen.
Im letzten Todes-Kampf erhalt uns, höchster Hort;
Dein Einspruch, deine Kraft, und kurz, dein heilges Wort.
Es kan die Todes-Bitterkeiten
Besiegen, schwächen und bestreiten.
Was machte wohl die Märterer
In ihrer Pein so frölich und so munter?
Nur durch dein Wort, mein Gott und Herr!
Gieng alle Angst und alles Zagen unter.
Was ruft uns aus der Gruft? was führt uns vor Gericht?
Thut es, o starker Gott! dein heilges Wort denn nicht?
Wer sagt wo jeder hingehöret?
Wofern es uns dein Wort nicht lehret.
Drum auch dein Geist, der unermüdt
Vor unser Heil und Seelen-Wohlfahrt wachet,
Uns, wo wir wollen, kräftig zieht,
Daß er das Herz zu einen Acker machet:
Worein er denn das Wort als einen Saamen legt,
Daß es hernach viel Frucht durch Wort und Werke trägt.
So mächtig ist in unserm Leben
Das Wort, so uns der Herr gegeben.
Die Seele ist so wie der Leib,
Von unserm Gott zur Arbeit ausersehen,
[59]
Sie hat auch ihren Zeitvertreib,
Sie würkt und schaft und darf nicht müßig gehen.
Und da sie ewig ist, so forderts ihre Pflicht,
Daß sie ihr ganzes Thun auch auf was hohes richt.
Drum muß dein Wort ihr Zeitvertreiben,
Ihr Werk und ihr Geschäfte bleiben.
Dein Wort ist helle, klar und rein,
Es kan mit Recht die Leuchte unsrer Augen,
Und unser bester Führer seyn,
Wir können Trost und Heil aus diesem saugen.
Den Frommen ists ein Licht, den Bösen bleibts verdeckt,
Den Glaubgen ists ein Trost, wenn es die Sünder schreckt.
Nur diese, die verlohren gehen,
Die können dessen Grund nicht sehen.
Nicht aus Gewohnheit, nicht zum Schein,
Nicht um der Kunst, und der Geschichte wegen,
Noch was sonst etwa möchte seyn,
Soll man dein Wort vor unsre Augen legen.
Nur darum soll dein Wort in unsern Händen ruhn,
Daß wir daraus ersehn, was uns gehört zu thun.
Nur dein Befehl, und das Erbauen,
Giebt Anlaß in dein Wort zu schauen.
Durchs Wort sucht sich der Glaubige
Den ewgen Schatz ganz feste anzumasen,
Er siehet feurig in die Höh,
Und ist vergnügt, doch gar nicht aufgeblasen.
Er eignet sich dadurch die ewge Freud und Ruh,
Und was Gott zugesagt, auf alle Weise zu.
Er kan sich auch dadurch der Striemen,
Und Nägelmaal des Heylands rühmen.
[60]
So machte es dein Israel,
So haben es die werthen frommen Alten,
Und eine jede gläubge Seel
Zu aller Zeit mit deinem Wort gehalten.
So nimmt der Glaube zu, so wird die Hoffnung fest,
Wenn sie sich auf das Wort der Gottheit nur verläßt.
So mußte Davids Angst und Schrecken,
Sich vor des Herren Wort verstecken.
Wir sind in dieser Sterblichkeit
Nur Pilgerim, und die zum Himmel wallen.
Wär uns dein Wort nicht an der Seit;
So würden wir gar oft und schrecklich fallen.
Dein Wort muß unser Stab auf unsrer Reise seyn;
Dieß führet uns getrost zu Salems Thoren ein.
Sucht uns dein Wort nicht beyzustehen,
Wir würden in der Noth vergehen.
Oft will in uns das Glaubens-Licht
Fast untergehn, verlöschen und versiegen.
Allein dein Wort verläßt uns nicht,
Es kan dadurch aufs neue Kräfte kriegen.
Dein Wort bläßts wieder auf. Wird unsre Andacht lau;
Sind wir zum Bethen träg; so merket man genau,
Wie uns dein Geist durchs Wort erquicket,
Und neue Kraft und Andacht schicket.
Dein Geist will nicht unmittelbar
In unser Herz und unsre Seele kommen,
Er hat dein Wort, das rein und klar,
Zum sichern Weg und Mittel angenommen.
Er kehret durch das Wort in unserm Geiste ein,
Daß wir dadurch sein Haus und seine Wohnung seyn.
[61]
Durchs Wort giebt er uns Kraft und Leben,
Daß wir dem Argen widerstreben.
Im Worte Gottes können wir
Der Eltern Fall, und unser Elend sehen,
Es stellet unsern Augen für,
In was vor Noth und Schwachheit wir noch stehen.
Es wird in deinem Wort die Eitelkeit der Welt,
Und ihre arge List uns klärlich vorgestellt.
Wir sehen, wie sie uns verreitzet,
Und nur nach unsrer Seele geitzet.
Dein heilges Wort, mein Seelen-Freund!
Entdecket mir, was dort bey dir die Frommen,
Die hier gekämpfet und geweint,
Vor Ehr und Schmuck und Herrlichkeit bekommen.
Es zeigt mir auch die Qual der Ungerechten an,
Die wieder dich gelebt und wieder dich gethan.
Dein Wort weiß uns den Weg zur Höllen,
Und auch zum Himmel vorzustellen.
Dein Wort giebt uns den ewgen Rath,
Von unserm Heil und Seligkeit zu lesen.
Es zeigt uns deine Huld und Gnad,
Dein Vater-Herz und angenehmes Wesen.
Die Liebe deines Sohns, und was er sonst gethan,
Das zeiget mir dein Wort zu meinem Troste an.
Dein Wort mir auch nach Wunsch beschreibet,
Wie mich dein Geist regiert und treibet.
Dein ewges Wort belehret mich,
In aller Noth auf deine Huld zu bauen,
Es unterweist mich kräftiglich,
Auf deinen Mund und Allmacht fest zu trauen.
[62]
Mich unterricht dein Wort, wie man dich würdig liebt,
Wie man dir Ehr und Furcht und Opfer-Gaben giebt.
Wer wolte sich denn also schämen,
Die Biebel öfters vorzunehmen.
Die Schönheit deines Wortes macht
Die Lust der Welt zu Wermuth, Gift und Gallen.
Wer es mit Heiligkeit betracht,
Dem muß es mehr als Cron und Reich gefallen.
Der Geist fegt durch das Wort das Herz, der Sünden Haus,
Zu unserm Wohlergehn, und Gott zu Ehren aus.
Wo wir uns auf die Bibel gründen,
So kan kein Feind uns überwinden.
Wer dein Wort aus den Augen stellt,
Den kan die List des Sattans leicht besiegen.
So ward auch David einst gefällt,
Da er ein Weib sah bey dem Brunnen liegen.
Ach! hätte Petrus nur an Jesus Wort gedacht,
So hätt ihn warlich nichts zu der Verläugnung bracht.
Drum läßt dein Wort den Fuß nicht wanken;
Es giebt uns heilige Gedanken.
Dein Wort ist als ein scharfes Schwerdt,
Es dringt ins Herz; es wecket uns von Sünden.
Wenn es in unsre Seelen fährt,
So können wir die Kraft davon empfinden.
Es macht dein theures Wort die Felsen-Herzen weich,
Es schlägt wie Hämmer zu; es ist dem Donner gleich;
Es ist ein Richter der Gedanken,
Und weiset zu den Himmels-Schranken.
[63]
Wenn uns der Zorn des Höchsten schreckt,
Wenn Moses flucht, und grausam auf uns stürmet,
Wenn er uns Höllen-Angst erweckt;
So werden wir von deinem Wort beschirmet.
Dieß richt uns wieder auf, und macht den Glauben fest
Daß Gott uns nicht im Zorn von sich verstossen läßt.
Schlägt Moses unsre Seele nieder;
So tröstet uns Johannes wieder.
Und hätte auch der Herr im Sinn,
Sein Angesicht vor unserm zu verhöhlen;
Zög unsre Seele fast dahin;
Ja müsten wir uns ängstigen und quälen;
So läßt dein Wort uns nicht in der Versuchung stehn,
Noch in der Trübsaals-Noth verzagen und vergehn.
Es kan uns wiederum von neuen
Erquicken, stärken und erfreuen.
Dein Wort giebt Zeugniß unserm Geist,
Daß wir mit dir in naher Freundschaft stehen,
Und daß du unser Vater seyst,
Der uns erhört, und niemahls wird verschmähen.
Es überzeuget uns, daß Gott uns herzlich liebt,
Und uns die Sünden-Schuld und Missethat vergiebt;
Er werde uns bis ans Erkalten,
In allem Guten stets erhalten.
Nun, meine Seele! komm und sieh,
Was vor ein Schatz im Worte Gottes lieget?
Drum dich desselben nicht entzieh,
Dieweil es mehr als alles Gold vergnüget.
[64]
In diesem Worte liegt mehr Weisheit als wie dort
Im Worte Salomons; deshalben eile fort;
Such wie die Königin die Lehren,
Des Himmels-Königs anzuhören.
Die Weisen aus dem Morgenland
Die suchten Gott, bis daß sie ihn gefunden;
So sey dein Eifer auch bewandt.
Auf! suche ihn in allen deinen Stunden.
Wo aber findest Du nun deinen Seelen-Hort;
Im heilgen Biebel-Buch, in seinem heilgen Wort.
Drum auf! und suche mit Verlangen,
Damit du Jesum mögst empfangen.
Auf! hebe deine Seel empor,
Bemühe dich in deinem ganzen Leben,
Dem allerhöchsten Gott davor
Lob, Preiß und Ehr, und allen Dank zu geben.
Darneben bitte ihn; daß er, biß einst die Welt
In tausend Trümmern geht, sein theures Wort erhält.
Ja, daß sein reines Wort noch allen
Mög in das Ohr und Herze schallen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Geistliche Gedichte. Das Wort der allerhöchsten Macht. Das Wort der allerhöchsten Macht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ADE5-8