Zweyte Fabel
Der Reyher und der Staar

Auch unter Thieren ist es mehr als zu gemein,
Daß ob dieselben gleich vernunftlos müssen seyn,
Sie doch bey Zank und Streit, und zwar des Vorzugs wegen
Einander weh zu thun und auszuspotten pflegen.
Ein jedes schmeichelt sich der allergrösten Zier;
Ein jedes dünket sich das allerklügste Thier
Vor anderen zu seyn. Es tadelt sein Beginnen,
Und andre wissen gleich was wieder auszusinnen.
Ein Reyher, der ganz still an eines Teiches Rand
Bey früher Morgenzeit in dem Gehölze stand,
Bestrebte sich daselbst mit eifrigem Verlangen,
Weil ihn der Hunger trieb, von Fischwerk was zu fangen.
Er schielte hier und dar so vor als hinter sich,
Zu sehn, ob etwan was daselbst vorüber schlich,
Das seinen trockenen und leeren Magen füllte,
Und ihm die Hungersnoth, die er verspührte, stillte.
Dies trieb er lange Zeit; bis endlich ihn ein Staar,
Der auch mit in den Wald zugleich geflogen war,
Um Ufer stehen sah, und nach so langem Schweigen
Auf ihn vor Zorn entbrannt begunte her zu steigen.
Was sprach er, schleichst du denn so lange Zeit herum,
Und stehst, als wärest du bey nahe taub und stumm,
Da dir doch Vögel gnug allhier zur Seite stehen,
Die an dem schönen Tag zur Lust zusammen gehen?
[338]
Wie schöne läßt es nicht, wenn man will ganz allein,
Ein solcher Sonderling in der Gesellschaft seyn?
Du willst dich mit Gewalt zu stummen Thieren schreiben,
Und was man dich auch fragt, die Antwort schuldig bleiben.
Flammt dich der Hoffartsgeist zum Stilleschweigen an?
Findst du kein kluges Thier, das mit dir reden kann?
Ja ja, du suchst vielleicht uns alle zu belauschen,
Ob dies und jenes läßt etwan ein Wort mit rauschen,
Das dir, indem dein Geist sich in sich selbst verliebt,
Hernach Gelegenheit uns durchzuhecheln giebt:
Man weis wahrhaftig nicht, wenn oft in unsern Chören
Ein solcher Schleicher sitzt, der gar kein Wort läßt hören,
Ob man verrathen ist: dieweil man immer denkt
Er dürfte, wenn man noch so klug die Zunge lenkt,
Doch jedes Wort von uns, das ihm vielleicht entgegen
Und nicht recht schmackbar ist, wohl auf die Wage legen.
Dies frey Geschwätze gieng dem Reyher freylich nah,
Der sich, zumal vom Staar, dergleichen nicht versah.
Er meynt, und dies mit Recht, als ob es seine Ehre
Und dem so guten Ruf gar stark zuwider wäre.
Drum sträubte Zorn und Grimm ihm sein Gefieder auf,
So glatt es vorher war; wie? sprach er gleich hierauf,
Betrübte Creatur! darfst du so keck es wagen
So unbedachtsam Zeug mir selber vorzusagen?
Was geht dich Plappergeist, doch wohl mein Schweigen an,
Wodurch der Reyher nie hat andern weh gethan?
Er wird, und wüst er auch noch so geheime Sachen
Von unsrer Vögel Zunft, doch kein Geplerre machen.
Wer ist, der nicht den Werth von dieser Kunst erkennt,
Die, weil sie es verdient, man mehr als gülden nennt?
Es ist nichts löblicher, als mit Bedacht zu schweigen;
Wie leichte kann man sich mit einem Wort versteigen,
Das man nicht recht erwegt? wer immer plaudern will,
Der mischt in sein Geschwätz auch oftermals sehr viel,
[339]
Das schlecht und albern klingt, und uns kann wenig nützen;
Denn was sein Herze denkt muß auf der Zunge sitzen.
Du hast, schämst du dich nicht der tollen Schwätzerey?
Wohl grosses Recht dazu, daß du noch ein Geschrey
Von deiner Redekunst, die du nicht kannst beweisen,
Elender Vogel, machst, um sie mir anzupreisen.
O weist du nicht, wie sehr dich das Geflügel scheut,
Das dich, nach deinem Werth, auf tausend Meilen weit
Von sich entfernet wünscht, wenn man dich ungebeten,
In die Gesellschaft sieht, verhaßter Vogel, treten.
Dein Eintritt schreckt uns gleich; die Lust wird hier gestört,
Weil zur vertrauten Zunft kein Wäscher mit gehört:
Wir wissen, klopfst du an, wie viel es hat geschlagen,
Und werden dich forthin aus unsern Reihen jagen.
Warum? ein jedes Wort, das man hervorgebracht,
So Unschuldvoll es klingt, wird gleich bekannt gemacht;
Du weist das Ende nicht von deinem dummen Plaudern;
Und sind wir alle weg, so sieht man dich noch zaudern.
Ein jeder Zweig und Ast muß eine Bühne seyn,
Auf deren Höhe du pflegst alles auszuschreyn
Was du erschnappet hast. Ey, daß bey deinem Waschen,
Dich nicht im Augenblick der Habicht soll erhaschen!
Bespiegelt euch hieran, ihr, die ihr von dem Staar
Dies Laster mit erlernt, und täglich hier und dar,
Das was ihr hört und seht, zu jedermanns Erstaunen
Auf allen Gassen müßt gleich wieder ausposaunen.
Was hilft es daß ihr euch mit andrer Worten tragt,
Und einem Echo gleicht, das alles wieder sagt?
So viel, daß man vor euch ein grosses Kreuze machet,
Und eure Plauderey, wie sie verdient, verlachet.
Es flieht euch alle Welt. Wißt ihr, ihr Wäscher nicht
Was man von euch zum Spott in der Gesellschaft spricht:
Ihr hättet, weil euch recht die Plaudersucht besessen,
Vom Huhn das Hintertheil unfehlbar mit gefressen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Cantaten und Fabeln. 2. Fabel. 2. Fabel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B0C2-0