9. Gedichte

Klage der Schäferinnen über den erblaßten Seladon.


Der Frost befiel bereits die sonst so grünen Heiden;
Doch war der Schäfer Chor noch munter und voll Freuden;
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Kurz, man beschloß das Jahr, in unschuldsvoller Lust,
Und jede Schäferinn sang mit erfreuter Brust.
Sie setzten sich zugleich in einen Zirkel nieder,
Da hörte man entzückt die schönsten Schäferlieder,
Bald fiel der Flöthen Thon, bald eine Cyther ein;
Der Tag war ausgesetzt, man wollte lustig seyn.
Doch mitten in dem Tanz drang Thirsis in den Haufen.
Er kam als wie ein Reh, so schnell daher gelaufen,
Er hatte wahrlich kaum den Athem noch in sich
Als er voll Wehmuth sprach: welch Unglück! höret mich,
Betrifft dich, liebste Schaar; ach! unser ganzer Orden
Ists inniglich betrübt und voller Jammer worden.
Der edle Seladon, der wie ihr alle wißt,
Der schönste Schäfer war, wird leider nun vermißt.
Sein Umgang war beliebt, sein aufgeräumtes Wesen,
Sein Blick, sein Scherz, sein Spiel, war klug und auserlesen.
Wie pflegt er nicht sein Schaaf! wenn es ein Unfall traf,
Vergaß er Speis und Trank, und unterbrach den Schlaf.
Er legts auf seinen Schooß, er suchte Kraut und Pflaster.
Es fiel ihm nichts so schwer; es war ihm nichts veraßter
Als wenn ein fremder Hirt von seiner Sorgfalt sprach:
Er floh vor eignem Lob und kam der Liebe nach,
Die Schäfer guter Art vor ihre Heerden tragen.
Von seinen Tugenden wird noch die Nachwelt sagen.
Die deutsche Redlichkeit war ihm weit mehr bekannt.
Als andern hier und dar sein treflicher Verstand;
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Und die vollkommenen, und die belebten Sitten,
Die haben uns mit Recht den Vorzug abgestritten.
Weil seine Seltenheit uns allen wohl gefiel,
So war er allezeit von unsrer Lust da Ziel.
Der liegt, und wie denn nun? ach! in dem Wald gestrecket,
O, Anblick! welcher mich und meine Seel erschrecket.
Ein einzig Schaaf, das ihm etwan von seiner Schaar
Entronnen mochte seyn, und in dem Walde war,
Bringt uns um Seladon; er ging es aufzusuchen.
Und siehe! Stern und Glück will unserm Freunde fluchen.
So wie der Donnerkeil, der nach der Eiche geht,
Von deren Stamme man nur wenig Schritte steht,
Uns Herz, und Ohr betäubt, den Odem so versetzet
Als hätte selbst der Stral das Innere verletzet;
So stand die ganze Schaar gerührt und ausser sich,
Da diese Schreckenspost durch Feld und Fluren strich;
So fest sie allerseits, im Reihen sich zu gatten,
Die Hände bey der Lust im Kreis geschlossen hatten,
So kraftlos sunken sie so gleich auf einmal hin,
Ihr Thon verkehrte sich bey so verwirrtem Sinn,
Gleich in ein Klagelied, sie träumten als im Schlafe,
Und gingen hin und her wie die zerstreuten Schafe.
O Unglück! riefen sie einander schmerzlich zu,
Wo ist denn Seladon, wo bleibt nun unsre Ruh!
Ach Himmel! ist es wahr, daß Seladon sein Leben
So schnell, so schmälich wird gezwungen aufzugeben?
Gespielin, leget nun die Feyerkleider ab,
Umsonst ist alle Lust, wir suchen unser Grab,
Laßt, da man nicht mehr sieht den netten Schäfer weiden,
Uns Leibstück, Schurz, und Rock, aus Flor und Schleier schneiden.
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Ists möglich, daß so früh, welch hart und herber Schluß!
Schon unser Schäferstock sein Grabscheid werden muß?
Weg mit dem bunten Putz, der ihn bisher gezieret,
Schlingt schwarze Bänder drum, wie leider uns gebühret,
Betraurt den Seladon, da es die Pflicht begehrt;
Das edle junge Blut ist noch ein mehres werth.
Wo warst du grosser Pan, dem du sonst so gewogen
Als dieses wilde Thier an seinem Blut gesogen!
O Schwestern denkt doch nach, da dieser Fall geschehn,
Wie wüste werden nicht hinfort die Auen stehn?
Wer wollte künftig sich in unsern Schäfereyen
So, wie es sonst geschah, bey Scherz und Tanz erfreuen?
Die Lust ist nun dahin, weil unser Freund erblaßt!
Den selbst die Misgunst nie, sie konnte nicht, gehaßt,
Und dessen Artigkeit in unserm Kreis der Linden
Bewunderung, Huld und Gunst, und Beyfall muste finden.
Entseelter Seladon! der schmerzliche Verlust,
Der uns itzund betrübt, beugt unser aller Brust.
Ach! wenn es möglich wär, wir wollten vor dein Leben
Die Heerden überhaupt zum Lösegelde geben;
Ein kleiner Tropfen Blut, der Gras und Halm besprüht
Gält mehr als wenn man sonst zehn andre würgen sieht.
Dein Fall schmerzt gar zu sehr, der wider alles Hoffen,
Bey deiner Jahre Lenz uns allerseits betroffen.
So voller Unruh sprach der Schäferinnenn Schaar
Die bey dem Todesfall betrübt und trostlos war.
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Der Kummer ließ sie nicht mehr auf dem Platz verweilen
Wo man die Reihen schloß, man sah sie ängstlich eilen.
Sie folgten allerseits bey diesem Ungemach,
Doch mit gelähmten Fuß, zum Wald dem Thirsis nach,
Zum kalten Seladon sich näher zu gesellen,
Und ihm mit eigner Hand ein Grabmal zu bestellen.
Dies war nunmehr vollstreckt; wiewohl mit Schmerz und Gram.
So sauer als sie auch der Dienst zu stehen kam,
So riß doch jegliche, eh sie zurücke kehrte,
Zum Zeichen daß man ihn auch noch im Tode ehrte,
Die Blumen von dem Huth, vom Strauß die Myrthen ab;
Wobey der ganze Chor mit Thränen ließ erschallen:
Allhier liegt Seladon, der aller Welt gefallen.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. 9. Gedichte. 9. Gedichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B138-2