6. Brief

Antwort des Caunus.


Wie? Schwester? doch mag ich dich wohl mit Recht so nennen,
Der Geilheit Hitz und Brunst, Vernunft, und Menschheit raubt,
Ein Unthier, das man sieht von solcher Liebe brennen,
Die aus der Hölle stammt, und kaum die Nachwelt glaubt.
Vermaledeyte Brunst! verfluchenswerthe Liebe,
Entmenschte Buhlerinn! du Scheusal der Natur!
Du hast, vom wildem Vieh gewiß dergleichen Triebe
Erlernt und abgesehn; dies zeigte dir die Spur;
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Sprich, welche Furie hieß dich den Kiel ergreifen,
Den du selbst in den Schlamm der Geilheit eingetaucht?
Wer führte dir die Hand, so süß mir vorzupfeifen?
Hat dir nicht Pluto Wort und Einfall eingehaucht?
Ists möglich, daß du mich, Sirene, suchst zu kirren?
Nein wilde Biblide, dein glattes Buhlerlied
Wird mich nicht in das Netz, so du mir stellst, verwirren,
Weil Caunus dich weit mehr als eine Schlange flieht.
Ihn dünkt, da du so frech und unverschämt gehandelt,
Als hätte dich nunmehr dein unverschämter Trieb,
In einen Basilisk und Drachenbrut verwandelt,
Als ob nichts menschliches von dir mehr überblieb.
Wie? hast du auf einmal, Barbarin, gleich vergessen
Daß ich und du zu gleich, kann wohl was näher seyn?
In einer Mutter Schooß so fest verknüpft gesessen?
Wir sind ja, Biblide, von einem Fleisch und Bein,
Es hat uns eine Brust gesäuget und genehret,
Und doch sieht mich dein Aug, als einen Fremdling an.
Unsinnige! die Brunst so leider dich bethöret,
Drückt dir ein Brandmal ein, das sich nicht bergen kann.
Wie magst du mit der Macht der Liebe dich wohl schützen?
Rechtfertige diesmal ja dein Begehren nicht,
Dein Vorwand gründet sich auf nichts als mürben Stützen,
Da dir Vernunft und Recht in allem widerspricht.
Sie hat uns beyderseits zwar durch ein Band verstricket;
Doch auf verbothne Glut den strengsten Fluch gelegt,
Den deine wilde Faust doch nimmermehr verrücket,
So stark das heisse Blut sich auch in Adern regt.
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Sie hat uns Aug und Mund, so fest sie kann versiegelt,
Damit nicht Blick und Kuß ihr hohes Recht entweyht,
Und der Geschwister Herz in solchem Fall verriegelt;
Doch Schaam und Furcht entfernt von dir sich allzuweit.
Die Wollust läßt dich nicht an Schloß und Siegel denken
Ein unbedachter Zug sprengt beydes leider auf
Erwege, wie mich muß dein frecher Anfall kränken,
Verhaßter Liebesbrief. Verfluchter Sehnsucht Lauf!
Ich kann dich, Frevlerinn, hinfüro nicht mehr leiden;
Weil mir so gar dein Bild ein rechter Greuel ist.
Fleuch Caunus, weil du kannst, dies Scheusal zu vermeiden,
Verlaß dein Vaterland, damit du sicher bist.
Die Schlange kann dich nicht in fremder Luft vergiften.
Verhel ihr Weg und Farth, und scheu kein Ungemach,
So kann dir Biblis doch kein weitres Schrecken stiften;
So schleichet dir nicht mehr die freche Schwester nach.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Briefe. 6. Brief. 6. Brief. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B156-D