[5] 2. Ode

Ueber die von Ihro Majest. der Königin von Großbritannien zu Richmont erbauete, und mit den Bildern vier Gelehrten Engländer gezierete Grotte.


So muß ich denn schon abermal
Das Spiel so matter Sayten rühren?
Wohin wird Phöbus Augenstral
Und Wink mich doch zuletzt noch führen?
Itzt soll ich unserm Götterhayn
Dem sich die stillen Musen weyhn,
Mit aller Macht den Rücken zeigen,
Und ganz nach einen andern Ort,
Wohin? noch Richmonts Felder dort
Den muntern Blick bewundernd neigen.
Wo bin ich? Sagt Gefehrten mir,
Sagt, steht ihr nicht zugleich entzücket,
Indem ihr dieses Lustrevier
Und dessen Herrlichkeit erblicket?
Welch ungemein und seltne Pracht
Die uns verwirrt, erstaunend macht,
Glänzt dort aus dem belaubten Bogen
Der stolzen Grotte, deren Sitz
Des Künstlers Hand, des Meisters Witz
Mit Moos und Muschelwerk umzogen?
[6]
Laßt Musen uns dies Heiligthum
Mit rechter Ehrfurcht doch beschauen.
Wer ists, zu dessen hohem Ruhm
Man läßt dies Grottenwerk erbauen?
Welch schöner Anblick! seht ihr nicht,
Wie hier das halbgebrochne Licht
Den bunten Schmuck der Wände mahlet?
Wie jener Säulen Trefflichkeit,
Die man berühmten Männern weyht,
Auch durch die dunkeln Schatten strahlet?
Verblendet mich nicht jener Schein,
So kann man aus den Zügen spühren
Wer diese Bilder sollen seyn,
So die bebüschte Höhle zieren.
Hier ist ja Newton aufgestellt,
Dem Wollaston sich zugesellt,
Dort seht ihr Clark und Locken schimmern.
Ists möglich, daß so Kunst als Fleiß
So lebhaft, so natürlich weis
Aus todtem Stein ein Bild zu zimmern?
Wo ist der Held, der nach der Gruft
Bereits entschlafner Weisen blicket,
Und die Erinnrungswerthe Kluft
Noch mit derselben Bildern schmücket?
Steht nach so langer Zeiten Lauf
Ein Römischer Augustus auf,
Der Kunst und Wissen hochgeschätzet,
Und klugen Geistern hier und dar,
Weil er selbst deren Kenner war,
So manches Ehrenmahl gesetzet?
[7]
Nein, einer holden Fürstin Hand
Läßt sich allhier geschäftig finden,
Und will, von edlem Trieb entbrannt,
Der Weisheit Ruhm auf ewig gründen.
Hier baut der Britten Königin
Sophien selbst ein Denkmal hin;
Der Pallas einen neuen Tempel,
Den Sie mit Bildern unterstützt,
Aus deren Antlitz Klugheit blitzt;
O wunderwürdiges Exempel!
Dies ist der Ort, den Sie erwählt,
So oft Sie sich dem Hof entziehet,
Und die vergnügtsten Stunden zählt
Wenn Sie der Welt Zerstreuung fliehet.
Hier suchet Caroline Ruh,
Und hört im Geist den Weisen zu,
Die zu der Fürstin Seite stehen;
Da dünket Ihr als hörte Sie
Vom Munde der Philosophie
Noch manche hohe Lehren gehen.
Durchlauchtste Heldin! merkst Du nicht?
Europa preiset dein Beginnen.
Vernimm doch, was Minerva spricht,
Zu Dir, Du Preis der Königinnen:
Dein Volk sieht mit Erstaunen an,
Wie dieser Ort Dich reizen kann,
Indem Dich Thron und Burg vermissen;
An deren statt Gebüsch und Moos
Die Majestet in seiner Schooß
Vergnügt soll eingeschlossen wissen.
[8]
Was muß die späte Welt einmal
Zu deinem Thun, o Fürstin! sprechen?
Dies wahrlich kann und wird den Strahl
Von deiner Hoheit gar nicht schwächen.
Hier, wo das Licht dem Schatten weicht,
Und einer Morgendämmrung gleicht,
Aus diesen hochgewölbten Zimmern
Wornach sich aller Auge dreht,
Sieht man den Glanz der Majestet
Gewiß am allerstärksten schimmern.
Laß seyn, daß in Aegyptenland
Die stolzen Pyramiden prangten,
Als deren Spitzen, wie bekannt,
Den Kreis der obern Luft erlangten;
Es mag die Welt des Grabes Pracht,
Das Mausols Asche kenntlich macht,
Mit zu den sieben Wundern nehmen;
Man stelle Sonnenpfeiler aus;
Dies sonderbare Grottenhaus
Kann alle diese leicht beschämen.
Ihr edlen Geister, die ihr euch
Der untern Welt schon längst entzogen,
Und hier aus der Gelehrten Reich
Zu jenen Sternen seyd geflogen;
Versenkte Körper, eilt herbey;
Brecht Riegel, Nied und Band entzwey,
Laßt Särg und Gräber offen stehen,
Kommt kluge Britten, folget mir,
Ihr alle viere sollet hier
In die bemooste Höle gehen.
[9]
Kommt her, und tretet nur herein,
Und seht wie hoch hat man euch geehret!
Ihr stutzt! wie hat ein todter Stein
Den muntern Blick so bald verkehret?
Jedoch, erstaunt nur immer nicht,
Indem ihr euer Angesicht
An diesen Bildersäulen schauet;
Wer ist des Werkes Stifterin?
Wißt, eure grosse Königin
Hat euch dies Denckmal aufgebauet.
O hochgepriesne Frauenhand
Die euch läßt diesen Tempel setzen!
Euch muste zwar ganz Engelland
Mit Recht vor weise Männer schätzen;
Man ehrt noch immer euren Kiel,
Der ihm und aller Welt gefiel;
Jedoch den Ruhm so kluger Schriften
Krönt nunmehr die Unsterblichkeit:
Denn Carolinens Seltenheit
Entzieht ihn der Verwesung Grüften.
Ihr Freunde, die ihr insgesammt
Euch edlen Wissenschaften weyhet,
Und von der Ehrsucht angeflammt
Minerven täglich Opfer streuet;
Verdoppelt Eifer, Müh und Fleiß!
Was gleicht wohl diesem hohen Preis,
Wenn gar gesalbte Königinnen
Eur Wissen rühret und ergötzt,
Und man euch solch ein Denkmal ätzt?
Ist wohl was grössers auszusinnen?

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Oden. 2. Ode. 2. Ode. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B25F-4