[340] Dritte Fabel
Der Adler und der Molch

Ein Adler schwunge sich bey Titans frühem Schein
Von seinem Nest herab, das er sich insgemein
Auf den erhabensten der Felsen pflegt zu bauen,
Um desto füglicher der Sonne zu zuschauen.
Die grosse Hungersnoth trieb ihn aus seinem Sitz;
Drum trug ihn auch sein Flug so schnell als wie der Blitz
Nach einer Höle zu; weil ihm die Spur endeckte,
Daß ein verrecktes Aas unfehlbar drinnen steckte.
Dies fand er wirklich auch. Drum fiel er es gleich an;
Kaum aber, daß er nur den ersten Biß gethan,
So kroch ein Molch hervor, der sich zu diesem machte,
Und ebenfals vor sich was anzutreffen dachte.
Doch was für ein Gelerm und ängstlich Mordgeschrey
Erhob sich nicht so gleich bey der Schmarutzerey;
Wie? fuhr der Adler auf mit grimmigen Geberden,
Muß meine Tafel hier durch dich entweyhet werden?
Durch dich, du greuelhaft und recht verwünschtes Thier?
Scheut deine Niedrigkeit den Odem nicht von mir?
Fürchtst du den Adler nicht, den König der Geflügel,
Dem Recht und die Natur der Hoheit wahres Siegel
Auf jeden Kiel gedrückt, dem nichts am Adel fehlt
Weil ihn selbst Jupiter zu seinem Träger wehlt?
Und du verworfner Wurm, wagst dich zu meinen Füssen?
O solltst du nicht mit Recht dergleichen Frevel büssen?
Vom fünften Tag der Welt geht schon mein Adel an,
Erwege nun, wie viel ich Ahnen zehlen kann,
Was mir Geburt und Blut hier in der Welt zu leben,
Für einen Rang gegönnt, für Vorzug hat gegeben.
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Mein Stamm und mein Geschlecht, das nicht kann edler seyn,
Macht mit Geschöpfen sich, wie du bist, nicht gemein;
Wir halten Nachbarschaft nur mit den hohen Sternen;
Von deren Glanz du dich must in der Tief entfernen.
Kreuch Scheusal! in den Sumpf, den dir mit Vorbedacht
Der Wille der Natur zum Aufenthalt gemacht.
Es dürfte sonst mein Volk, mein edles Volk wohl sagen;
Ich hätte, weil ich nur den Hauch von dir ertragen,
In unserm hohem Haus den grösten Sturm erregt,
Und selbigem dadurch ein Schandmal eingeprägt;
Geschöpfen, welche nur aus schlechtem Holz geschnitzet,
Gönnt man das Auge nicht, wenn man erhaben sitzet.
Er hätte weiter noch von Stolz und Zorn gerührt,
Des hohen Hauses Ruhm in dem Gespräch vollführt,
Wenn solches nicht der Molch noch endlich unterbrochen,
Und bey erlittner Schmach dies gegen ihn gesprochen:
Ists möglich, daß du dich, du hochgebohrnes Thier!
Durch deinen Stamm erhebst, hingegen aber mir
Die Tiefe, die mich ließ das Licht der Welt erblicken,
Und meine Niedrigkeit so frech suchst vorzurücken?
Wie wär es, wenn ich dir ohn daß es prahlhaft ließ,
Die Hoheit meines Stamms weit herrlicher erwies?
Du machst so viel Geplerr, und rühmest dein Geschlechte,
Daß jeder, der es hört, gewiß dabey gedächte,
Ob hätten dich wohl gar die Götter dieser Welt
Auf ihrem Schooß gezeugt und über uns gestellt;
Schweig; mein Geschlechte zeigt der wahren Hoheit Spuren;
Die alleredelste von allen Creaturen,
Die Sonne, welcher nichts an Glanze gleichen kann,
Giebt sich, wie klingt dir dies? zu meinem Vater an.
Sag, ob ein Stammhaus wohl im ganzen Kreis der Erden,
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Als wie das meinige, kann angetroffen werden?
Die hat durch ihren Strahl, der sich so weit erstrecket,
Und alle Welt erhitzt, mich wirklich ausgehecket.
Und dennoch will das Volk bey so gestalten Sachen
Aus mir, als ihrem Sohn, auch nicht das mindste machen.
Ich bleibe, wer ich bin, das ist, gering und schlecht,
Mein Adel und mein Haus ertheilet mir kein Recht,
Und hat mir nie Gewalt und Vollmacht zugesprochen,
Auf mein ererbtes Blut, wie du, vor Stolz zu pochen.
Merkt, Kinder! dieses wohl, die ihr auf solches trutzt,
Und mit erborgtem Glanz von euren Vätern stutzt,
Der Eltern Trefflichkeit auf eure Rechnung schreibet,
Und bey der Ahnen Zahl allein nur stehen bleibet.
Berufet euch ja nicht auf eurer Häuser Glanz,
Und ihre Herrlichkeit; der Väter Ehrenkranz,
Ziert nur ihr edles Haupt, nicht aber eure Scheitel,
Ihr Ruhm geht euch nicht an, und eurer ist ganz eitel.
Dies nutzt euch alles nichts, wofern ihr nicht den Pfad,
Den ihr entflammter Fuß von Jugend auf betrat,
Auch edelmüthig sucht, die Tugend mit ererbet,
Und durch Verdienste Ruhm und eignes Lob erwerbet.
Der blosse Name schenkt euch wenig Schmuck und Licht,
Wofern die Würde nicht euch Lorberreiser flicht,
Und ihr mit eigner Faust, von Großmuth angefeuret,
Der Väter Helm poliert, das alte Schild verneuret.
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Cantaten und Fabeln. 3. Fabel. 3. Fabel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B323-F