12. Gedichte

Ueber die Verstellung der Menschen.


Ja, ja, das ist schon recht, daß man nicht leicht entdeckt,
Womit der Sinn sich trägt, was uns im Herzen steckt.
Wer zwingt uns im Gewerb, in täglichen Geschäften,
Daß wir an unsre Stirn die Tafel sollen heften,
Auf der zu lesen ist, was man im Busen hegt,
Und ehe man es zeigt, erst reichlich überlegt?
Ein Kluger, der die Welt und ihre Sitten kennet,
Läßt, weil er hier das Kind nicht bey dem Namen nennet,
Sich von den andern nicht leicht in die Karte sehn,
Denn weis man etwas nur, so ists um ihn geschehn.
Er sucht den wahren Grund, das Innerste der Seelen,
Wie Bienen ihren Seim in Zellen zu verhelen.
Doch die Verstellung muß nicht so wie insgemein,
Zu sichtbar und zu grob, nicht plump und albern seyn,
Denn sonst merkt jedes Kind, das noch im Laufzaum gehet,
Wie schlecht es um das Lack geborgter Larven stehet.
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Glaubt nicht, ihr, die ihr euch in solche Maske hüllt,
Daß dieser eur Betrug auch bey den Klugen gilt.
Ihr werdet ihnen nicht das Auge gleich verkleistern,
Und durch die schlaue Kunst das starke Herz bemeistern.
Der Wahn betrüget euch; ihr machts zu offenbar;
Was euch im Herzen steckt, das wird man gleich gewahr,
Man weis es, wenn ihr euch auch noch sehr bezwinget,
Wie eure Kreide schreibt, was für ein Vogel singet.
Schaut mir von weitem nur dort den Rufillus an,
Wie fromm sich der Tartüff, wie heilig stellen kann,
Wir sähen, dürfte nur Saturn itzt Kälte hauchen,
So wohl aus Nas als Mund die fromme Andacht rauchen.
Schaut, wie sein Haupt gesenkt, die Hand gefalten ist,
Was der mit lauter Ach und Weh hochschwangre Christ
Für Seufzer ohne Zahl auf jedem Stein gebiehret,
Den sein gezwungner Fuß so leis und still berühret.
Er schleicht, als ob der Welt ihr Pflaster giftig sey,
Als wär die Luft voll Pest; und thut so fromm dabey,
Als hätt er, da wir doch ganz andre Schulen wissen,
Den Heiligen durchaus die Zehen abgebissen.
Traut ihr dem Heuchelschein, so seyd ihr wahrlich blind,
Prüft der Gedanken Kern, wie die beschaffen sind,
Da sieht es eitel aus, da wird euch erst entdecket,
Was hier vor schwarze Brut in weissen Federn stecket.
Der Erden Luft haucht ihn so süße als Moschus an,
Der Afterheilige, der fromm beschriene Mann
Hat unsre Welt so lieb, daß, sollt er einst erblassen,
Er mit gekrümmter Hand sie suchete zu fassen.
Wie gern vergäß er doch der zugefügten Schmach
Und zög dies Schneckenhaus, vor grosser Liebe nach,
Damit die Flucht ihn nicht von seinem Götzen trennte,
Und er sein Herze noch im Grabe weiden könnte.
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Wie zwinget Titius sich durch Verstellung nicht?
Was braucht er nicht für List, damit ein jeder spricht:
Wie gastfrey ist der Mann! da doch auf dieser Erden
Kein grössrer Knicker kann, als er, gefunden werden.
Versuch es, sprich ihm zu, da wirst du zwar wohl sehn,
Wie schön, denn dieses muß dem Wohlstand nach geschehn,
Er dich empfangen wird; er springt dir recht entgegen,
Und thut, als wollte sich sein Blut für Freuden regen;
Er ruft den Augenblick nach Caffee, Wein und Bier,
Und setzt dir auch dazu Bisquit und Zwieback für,
Wo nicht die kalte Gans; allein mit was für Herzen?
O dies ist Zentner schwer; es blutet ihm für Schmerzen.
Führst du das Glas zum Mund, so giebet jeder Schluck,
Den du im Trinken thust, ihm einen solchen Druck,
Der ihm durch Mark und Bein, ja durch die Seele gehet;
Gieb Acht, wie dieser Filz das Aug im Kopf verdrehet;
Wie seufzt er nicht dabey? welch innerliche Pein!
Warum? du schluckst zugleich sein Herze mit hinein,
Das am Getränke klebt; nimmst du sodann den Bissen,
Zu welchem er verstellt dich leider bitten müssen,
So schling ihn ganz hinein, und kaue hier nicht viel
Weil sonst der Gaumen Druck bey diesem Trauerspiel,
Dem armen Titius den Ohrenzwang erwecket,
Und ihn wohl gar der Schlag zu deinen Füssen strecket.
Siehst du nicht, wie geschwind er in die Tasche fährt,
Wenn er vor seiner Thür den Bettler flehen hört?
Wie gütig weis er sich, wie mildreich anzustellen?
Doch must du, rath ich dir, nicht gleich das Urtheil fällen;
Als gäb er, was er reicht, aus frommer Seele hin;
Der Mann betrüget dich; er denkt in seinem Sinn:
[273]
Bin ich Bedrängter denn mit Geben gar behexet?
Und wünscht den Armen dort, allwo der Pfeffer wächset.
Laß doch getäuschtes Volk, dir nicht den falschen Schein,
Bey der Beurtheilung, statt einer Richtschnur seyn;
Denn dieser trüget dich. Sonst müste man auch schliessen,
Ein Körper davon itzt die langen Schatten schiessen,
Sey gleich so groß als sie; der doch, wenn man ihn mißt,
Und gegen jene hält, unstreitig kürzer ist.
So pflegt es öfters auch mit Menschen her zu gehen,
In deren Umgang wir nothwendig müssen stehen.
Hier täuscht das Aussenwerk. Stellt in der Nymphen Chor
Euch, bitt ich, Clelien, mit ihrem Wesen vor:
Wie meisterlich hat sie die Kunst nicht ausstudieret;
Weil sie durch falschen Glanz fast jedermann verführet.
Verehrer, waget es bey ihr so leichtlich nicht,
Daß einer nur von euch nach ihr sein Auge richt.
Ihr hartes Herze will den Kieselsteinen gleichen,
Kein Paris, kein Narziß kann selbiges erweichen.
Und stieß auch euer Mund die besten Wörter aus,
So lockt ihr doch kein Ja, zu eurem Trost heraus.
Verschwendet nicht den Blick, den Odem eures Lebens,
Die Seufzer sind umsonst, die Sehnsucht ist vergebens.
Eur blosser Schatten ist schon Clelien verhaßt,
Die Reihen werden ihr an statt der Lust zur Last,
So bald ein Mannsbild sich hier suchet einzuflechten;
Sie würde, gieng es an, gern mit dem Himmel rechten,
Daß er zu ihrer Schmach zugleich auf diese Welt,
Dergleichen Creatur und Schreckenbild gestellt.
Seht nur wie Männerscheu man diese Vesta findet,
Die sich zu letzt wohl gar die Augen noch verbindet,
So wie die Göttin thut, die Recht und Satzung schützt.
Doch fürchtet euch nur nicht; so still und fromm sie sitzt,
[274]
So ist es doch nur Trug; gedenk: ach gute Dirne!
Schmink wie du immer willst, die gleißnerische Stirne
Mit Glanz der Unschuld an; wir wissen doch dabey,
Wie viel der Seiger schlägt, und welche Stund es sey.
Dein Herz, so spröd es scheint, steht gar wohl anzupacken,
Du stämmst und sträubest dich, und hegst den Schelm im Nacken.
So geht es ebenfalls in andern Sachen zu,
Mann will, als spielten wir, wie Kinder, Blindekuh,
Uns durch ein starkes Tuch das Angesicht verhüllen;
Bald setzt man wiederum uns schön gefärbte Brillen,
Die man mit Kunst gemacht, uns zu verblenden auf.
Dies ist der schlauen Welt mehr als verkehrter Lauf.
Doch stellt euch, wie ihr wollt, ihr Heuchler und Betrüger?
Den ihr zu fangen meynt, der ist vielleicht weit klüger
Als ihr euch selbst bedünkt; sucht allen Firniß vor,
Sprecht, wie die Unschuld selbst; dies täuscht nicht unser Ohr,
Schwert heilig noch dazu, laßt heisse Thränen rollen,
Wir glauben dennoch nichts, und denken, was wir wollen.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. 12. Gedichte. 12. Gedichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B329-3