[1156] [1173]1303.

Mel. 68.


1. Ich weis ein wort, das geist und seele stärket, ein wort, das auf einmal was ganzes gibt, wenn man nur erst die sanften sachen liebt, und auf die regungen im herzen merket. Das, was ich weis, gehört auch nur vor die, die ihren freund so suchen in der früh.

2. Es ist das wort, das dort Maria hörte, als sie bey ihres meisters grabe stand, sie suchte ihn, und ward nur mehr entbrant; fand aber nicht was ihre seel begehrte. Sie fragte einen, den sie gärtner hieß, sie dachte: wenn er mir den HERREN wieß!

3. Auf einmal hörte sie das wort: Marie! da wurden ihr die augen aufgethan, sie sahe ihren freund gar sehnlich an, sie kante ihn, sie grif nach ihm, und siehe, es wird noch eine ganze rede draus: Rabbuni, o mein meister! rief sie aus.

4. Wer weis, wie die Maria ausgesehen, ist jemand da, der ihn wol eh' gesucht mit vieler müh, doch ohne alle frucht, und [1173] im begrif gewesen fortzugehen, und dem der freund wol auch so nahe stand, doch daß er ihn mit keinem auge fand.

5. Wem ist alsdenn das wort vors herz gekommen: kind, bruder, sünder oder höllenbrand? wenn endlich nur der freund fein nahe stand, wird mit dem titel leicht vorlieb genommen. Wie war dem menschen erst, wie ward ihm hie? gewiß gerade so, wie der Marie.

6. O seelen, fülts, es ist nicht auszusprechen, die sach ist wichtig und unendlich groß, wenn man auf einmal einer angst wird los, die uns gedrohet hat das herz zu brechen, wenn man den Heiland suchte und nicht fand, und er auf einmal vor der seele stand.

7. Da ist das herz den augenblik gebunden, und denkt: nun halt ich was ich halten kan. So machts Maria mit dem seelenmann, sie hatte ihn auch ängstlich gnug gefunden, sie bliebe nun so gerne bey ihm stehn. Der Petrus wolt auch nicht vom berge gehn.

8. Nein, spricht der HERR, nun muß gepredigt werden; geh, schwester, geh und sags den brüdern erst, was du von deinem meister siehst und hörst, ich bin mich schuldig allen meinen heerden. Du denkst: GOTT lob und dank! ich seh den HERRN; fünf hundert brüder sehen mich auch gern.

9. Getreuer fürst, das wollen wir uns merken, daß, wenn wir dich so inniglich gespürt, und du das herz aufs innigste gerührt, daß man da muß sein mitgesinde stärken. Gut, kom uns nur fein oft ins herz hinein, es sol für alle unsre brüder seyn.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Erdmuthe Dorothea von. Gedichte. Geistliche Lieder. 1303. Ich weis ein wort, das geist und seele stärket. 1303. Ich weis ein wort, das geist und seele stärket. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B3C3-7