79. Auf seiner Gräfin Namens-Tag, Dorotheä

1729.


Hier werfen wir uns vor Dir nieder,
Und singen Dir geringe Lieder,
Der Du, nach abgelegter Last,
Den Namen über alle hast.
Die übrigen vom Weibes-Samen
Sind Menschen unbekante Namen,
Ihr hoher Stand ist Geist von Geist,
Kein Fleischlicher weiß, was das heißt.
Der aber über alle thronet,
Und in den stillen Seelen wohnet,
Der weiß um die Gelegenheit,
Und kennet sie von Ewigkeit.
Er selber hatte sie gezogen,
Da sie die Welt noch überwogen,
Als Seine Kraft, die unsichtbar,
Den Seelen noch zuwider war.
Doch hatte Seine Helden-Stärke,
(Der Handgrif aller Seiner Werke,)
Ihn nach durchbrochner Sünden-Nacht,
Zum Meister über sie gemacht.
[219]
Er hatte sie auf Seinem Throne
Dem bis zum Tod getreuen Sohne,
Den aller Seelen Elend kränkt,
Zu einem Eigenthum geschenkt.
Der Sohn, der vor Erbarmen brennet,
Und hellig 1 nach den Seelen rennet,
(Unangesehen ihres Falls,)
Fiel den Verlornen um den Hals.
Er sprach: Ich sitz ans Reiches Ruder,
Doch bin ich Joseph, euer Bruder.
Zu euerm Nutz ans Creutz verkauft,
Für euch mit Gottes Zorn getauft.
Ich habe euch bey Gott vertreten,
Und von dem Teufel los gebeten.
Die Schuld ist dißmal gut gemacht,
Und eure Freyheit wiederbracht.
Des Starken Wohnung ist zerbrochen,
Sein Anspruch ist ihm abgesprochen,
Er zeucht dahin; ich klopfe nun,
Seyd ihr bereit, mir aufzuthun:
Der Feind durchwandelt dürre Stätte,
Sucht Ruh und Raum für sein Geräthe;
Er findet aber nirgend Ruh,
Bald spricht er wieder bey euch zu.
Da mögt ihr euer Haus bewachen,
Sonst wird er euch zu Sclaven machen;
Werft ihm, was sein ist, gar hinaus,
Und sprecht: Mein Herz ist Christi Haus.
Ach! rett uns von dem Widersacher,
Sohn Gottes, unser Seligmacher!
[220]
So schreyn die Seelen-Tag und Nacht
Zu Jesu, der sie los gemacht.
Da greifft Er zu, und in der Kürze,
Eh sie der Feind zu Grunde stürze,
Nimt Jesus, ihm zu Hohn und Trutz,
Die Seelen ein in Seinen Schutz.
Er wandelt auch der Seelen Namen,
Die ihnen vom Verderben kamen,
Dabey sie Satanas genennt,
Nachdem er ihre Art erkennt.
Mit diesem neuen Namen schriebe
Er sie, zum Zeugnis Seiner Liebe,
Und ihrer Freyheit von dem Fluch,
Vor aller Zeit ins Lebens-Buch.
Er nante sie bey diesem Namen,
Als sie vor Seinen Vater kamen;
Da ward ihr Schuld-Buch ausgethan,
Da nahm sie Gott zu Kindern an.
Dann ist der Vater derer Lichter
Ihr Vater, und Sein Sohn ihr Richter;
Wenn sie beym Sohn in Gnaden stehn,
Kans ihnen niemals übel gehn.
Wie selig sind, wie reich an Gaben,
Die einen neuen Namen haben.
Du Pfleger über Gottes Haus,
Ach! theil uns solche Namen aus!
Hier liegen wir in unserm Staube;
Jedoch ergreifft Dich unser Glaube,
(Den wir nicht sehn, als säh'n wir Dich,)
An Deiner Treu erhält er sich.
Ach Jesu! einger Mensch in Gnaden,
Der Du uns auf den Hals geladen,
[221]
Und unsre Sünden-Bürde trugst,
Bis Du der Sünden Schloß zerschlugst;
Ach! neige Deines Herzens Güte
Zu unserm schmachtenden Gemüthe,
Und hilf uns aus der Bangigkeit,
Darinnen unser Inners schreyt.
Wir können Dir nicht Worte machen
Geschikt genug zu unsren Sachen;
Das aber, Herr! verstehest Du,
Theils haben, andre suchen Ruh.
Die zu der Ruhe eingegangen,
Die brennen alle vor Verlangen,
Und diß Verlangen wird zur Quaal,
Erfüllt zu sehn der Brüder Zahl.
Die aber nach der Ruhe ringen,
Und zu der engen Pforte dringen,
(Der Eingang aber ist noch zu,)
Derselben Elend siehest Du.
O Liebe! laß Dichs herzlich jammern.
Dein Haus hat ja so manche Kammern;
Ist ihnen diese noch zu gut,
Wer weiß, obs nicht die andre thut.
Nur halte Niemand an der Pforte,
Gib Deinem Vater gute Worte,
Die Züge zu beschleunigen,
Zum guten Theil, zum Einigen.
Der Du die Todes-Thore sprengtest,
Und Dich durch Sünd und Hölle drängtest,
Ertrotze durch Dein Siegs-Gericht
Die Seelen von dem Bösewicht.
Laß unter unsren lieben Brüdern,
Die sich der Züchtigung nicht wiedern,
[222]
Die Stimme bald gehöret seyn:
Die Thür ist offen, gehet ein!
Gedenke des gerechten Samens,
Und Deines Seligmacher-Namens,
Und rufe den und jenen raus,
Aus seinem Kerker in Dein Haus.
Bald laß uns diesen kommen sehen,
Bald jenen in Dein Reich erhöhen,
Hier einen Durchbruch, dorten Sieg,
Nach treuer Sehnsucht auf den Krieg.
Ein Kind bis zur Geburt gedrungen,
Dems nur aus Ohnmacht mißgelungen,
Laß unter unserer Gemein
Ein unerhört Exempel seyn.
Insonderheit sey aller Samen
Der Seelen, mit dem neuen Namen,
An die man heute frölich denkt,
Dir itzt und ewiglich geschenkt.
Ihr Name bey der Welt vergehe,
Damit er dort beschrieben stehe,
Hier unbenennt und unbekant,
Dort vor des Vaters Thron genant.

Fußnoten

1 Ist so viel als eifrig, und eine biblische Redens-Art.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 79. Auf seiner Gräfin Namens-Tag, Dorotheä. 79. Auf seiner Gräfin Namens-Tag, Dorotheä. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B5B4-A