4. Zugabe
Num. 2314. 1

Mel. Du wollest uns das etc.

1.
Des Lammes Gottes arme Sünder-Chöre, die geben Ihm alleine preis und ehre.
2.
Sie rühmen seine heilige fünf wunden für alle welt, zu allen zeit- und stunden.
3.
Besonders ist die aufgespaltne Seite, da ihm sein leib bis in das eingeweide
4.
Mit einem speere wurde durchgegraben, der text, den sie in allen reden haben.
5.
Ich kan davon zu zeugen auch nicht lassen, und wenn es auch nicht völlig sollte passen:
6.
So zielen dennoch alle meine worte unfehlbarlich nach diesem gnaden-orte,
7.
Aus dem das Blut und Wasser ist geflossen, und unser herz zum segen hat begossen.
8.
Wie gehts doch zu, daß unser sünder-orden so heftig ist darauf erpicht geworden?
9.
Daß wir von keiner sache wollen wissen, als wie man kan die Seiten-Wunde küssen?
10.
Wie steht es um die andern theuren knechte, die man doch auch mit allem fug und rechte
11.
Kan unter unsers
[2213] Gottes diener zehlen, an denen man erblikket sein erwehlen,
12.
Die auch auf Jesu freye gnade deuten, und mit der wahrheit ihre seele weiden;
13.
Und denen nur das sünder-pünctgen mangelt, und daß ihr herz nicht nach dem Seitlein angelt?
14.
Geschwister! wenn ihrs wollet recht verschweigen, so will ich euch wol eine ursach zeigen.
15.
Wie unser Herr den ersten menschen machte, und durch den mann mit einer frau bedachte;
16.
So nahm er eine ribb' aus seinem leibe, und machte ihm die Eva draus zum weibe.
17.
Die andern thiere waren vor dem falle dem menschen zum gebrauch gegeben alle.
18.
Was aber aus der seite war gekommen, das wurde zur gehülfin angenommen.
19.
So ist es auch mit unserm Kirchen-Manne, der löste zwar die ganze welt vom banne.
20.
Dem sind die creaturen alle eigen, und selbst der teuffel muß sich vor ihm beugen.
21.
Und mit der ranzion der missethaten hat Er die ganze menschen-schaar berathen.
22.
Daß, wenn sie ihn auf dieser ekke fassen, er sich niemals kan unbezeuget lassen.
23.
Doch hat er sich ein häufflein auserkohren, das eben so, wie andre, war verlohren.
24.
Das sich, wie andre, unterm fluche quälte, und dem es in der that an allem fehlte.
25.
ER, der so herzlich gern aufs niedre schauet, hat auch sein Weib aus seiner Seit erbauet.
26.
Als Er am creutze für uns busse thate, und alle menschen im gericht vertrate:
27.
So ließ Er sich auch in die Seite stechen, damit da blut und wasser könnt durchbrechen,
28.
Und aus derselben auf die erde fliessen, und dieses sünder-häuffelein begiessen.
29.
Wenn nun das blut und wasser uns benetzet, so wird das herz in einen band gesetzet.
[2214] 30.
Indem der strom das sünder herz berühret, so wird es in das braut-revier geführet.
31.
Es wird ein mitglied an dem heilgen leibe, an unsers Marter-Leichnams Ehe-Weibe.
32.
Ich kan davon vor beugung wenig sagen, doch muß ich es mit heilgen zittern wagen.
33.
Ich bin sein glied, ich arme sünden-made, ich würmelein, allein durch seine gnade.
34.
Das Blut der Seite hat mich eingenommen, mein herz ist von der wunden-glut entkommen.
35.
Und ich kan an des Lammes wunden-ritzen gebeugt und sünderhaftig ruhn und sitzen.
36.
Und wenn die erd und himmel untergangen, kan doch mein herz an seiner Seite hangen.
37.
Die Seite ist der fels, draus wir gegraben, daraus die sünder alle gnade haben.
38.
Ihr ruhe-plaz, des herzens stete freude, des geistes kraft, der seelen trank und weide.
39.
Wer wills uns denn dabey nun noch verdenken, daß wir uns ganz in seine Seite senken:
40.
Und von nichts anders sonsten reden können, als wie die herzen gegen Jesum brennen?
41.
Wie guts die armen sünder können haben, wenn sie sich an des Lammes wunden laben?
42.
Wir gönnen andern ihre gute sachen, die es in ihrem theil aufs beste machen,
43.
Und sich auch einen gnaden-lohn verdienen, wir gönnen es von ganzen herzen ihnen;
44.
Und freuen uns, wenn sie von gnade lehren, und alle wahrheit ordentlich erklären.
45.
Besonders, wenn sie zu gewissen zeiten, recht herzlich auf des Lammes leiden deuten.
46.
Wer weiß, obs ihnen nicht noch auch gelinget, und sie das Lamm auch endlich dahin bringet,
47.
Daß sie so rechte arme sünder werden, und sich und alles auf der ganzen erden
48.
Vergessen, und als sünder zu ihm nahen, und unsre seligkeit auch mit empfahen.
[2215] 49.
Indessen da mein herze nun schon brennet, und ihn als glied an seinem leibe kennet;
50.
So will ich bey den blutgen wunden bleiben, und diese simple lehre ferner treiben.
51.
Mein Heiland, hilf du mir das baß bekennen, und laß mich nichts, als das alleine, nennen.
52.
Als dich, und Jesu deine tieffe wunden, mein Lamm, das schwör ich dir zu allen stunden.

Fußnoten

1 Dieses Lied ist schon Anno 1742. verfasset, und zeither nicht bey handen gewesen. Damals hatten aber die frommen leute noch nicht die welt zum schieds-mann zwischen uns und ihnen gemacht, noch ihr das decisum über die heilige Seiten-Wunde aufgetragen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Zugaben 1-4 zum Herrnhuter Gesangbuch 1743. 4. Zugabe. 2314. [Des Lammes Gottes arme Sünder-Chöre]. 2314. [Des Lammes Gottes arme Sünder-Chöre]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B632-8